38
Denn rasch, wie der Gedanke, war der Rittmeister herbei—
zesprengt, hatte im Fluge den Kleinen bei einem Arme erfaßt
und vor sich auf den Sattel gehoben. Wie das Alles geschah,
konnte sich Niemand recht erklären, nicht einmal der Rittmeister
selbst; freilich war er tin Reiter, wie solche selten sind.
Als er dann den Kleinen vor sich auf dem Pferde zurecht—
setzte und das krauslockige Köpfchen an sich drückte, leuüchteten
seine Augen und wurden ganz feucht; er schien zufrieden,
als ob er ein Königreich erobert hätte. Die ganze Schwadron
jauchzte ihm zu; ein Hurrah erscholl, und fort gieng es mit
geschwungenem Säbel gegen die Franzosen. Es kam zu
einem blutigen Zusammenstoße und begann eine schwere
blutige Arbeit. Eine Stunde später wurde diese Schwadron
durch Kürassiere abgelöst und durfte ihren Marsch in's Bivouak
antreten. Freilich fehlte so Mancher, der vor kurzer Zeit
noch frisch und wohlgemuth mit ausgezogen war.
Nachdem einige, dem Andenken dieser gefallenen Helden
geweihte Augenblicke verstrichen waren, erinnerte man sich
auch des Knaben, und unter dem Vorwand einer gleichgiltigen
Meldung beschloß ein Mann, zu dem Riltmeister vorzureiten,
um sich zur Befriedigung der eigenen und der Kameraden
Neugier nähere Keuntniß über das Befinden des Knaben
zu verschaffen. Loch war die Meldung vergessen bei dem
sich darbietenden traurigen Anblicke; — der Knabe ließ den
Kopf und die Glieder schwer hängen; — er war todt! —
Der Rittmeister war leichenblaß und schaute unverwandten
Blickes seinen armen Schützling an, den er noch immerfort
vor sich im Arme hielt; man sah deutlich, daß er nur mit
Anstrengung die Thränen zurückhielt. — Als die Schwadron
das Bivsouak bezog, drängte sich alles um die Leiche des
Kleinen. Sonderbar! Diese Männer hatten doch so viele
liebe Kameraden zu betrauern, und doch erregte dieser kleine
HNnabe die allgemeine Theilnahme in ganz besonderem Maße.
Mehr oder weniger erachtet es der Soldat als seine Be—
stimmung, im Schlachtgetümmel zu sterben; — aber warum
auch dieses unschuldige Kind?
Aeußerlich schien es gar keine Verlehung zu haben; doch
zeigte sein Gesicht jenen Ausdruck der Schwäche, der immer
die Folge einer tödtlichen Schußwunde ist. Die nähere
Untersuchung ergab, daß eine Revolverkugel die Brust des
Kieinen zerschmettert hatte; sie stack noch in der Brust. Eine
zweite Revolverkugel war durch des Knaben Unterleib ge—
brungen und unter dem Kreuze wieder herausgekommen.
Letztere zog der Rittmeister aus seiner Tasche; sie hatte ihn
selbst noch unbedeutend am Unterleibe verletzt und war
zwischen den Kleidern stecken geblieben.
Beide Kugeln hätten dem Rittmeister den Tod gebracht,
wenn er nicht den Knaben vor sich auf dem Pferde gehabt
hätte. In tiefster Erregung kniete er an der kleinen Leiche
des Franzosenkindes auf dem Boden und bedeckte das schöne
Besichtchen mit Thränen. Manchem der Garde⸗Reiter ward
so weh um's Herz, daß er sich abseits schlich und weinte.
Kurz darauf übergab der Rittimeister seinen kleinen Schützling
dem alten Bedienten, um ihn seiner in einem am Rhein
gelegenen Orte wohnenden Mutter zu überbringen, damit sie
die Leiche des ungekannten armen Knaben, den Schutzengel
ihres Sohnes, in der Familiengruft beisetzen lasse. Wer muß
bei dieser Geschichte nicht an Schriftworte wie Ps. 34, 8 und
Matth. 18, 10 denken: Der Herr der Heerschaaren, der Seine
Engel Seine Befeble ausrichten läßt, heißt Wunderbar.
4. Die weiße Rose von Gorze.
Die gewaltige Schlacht von Mars-la⸗Tour war geschlagen;
je hatte auch dem 4. Thüringischen Infanterie-Regiment
——— —
ser. 72 reiche Lorbeeren eingebracht; seine zweite Kompagnn
illein hatte nebst fünf Offizieren 172 Todte und Ver—
pundete, unter letzteren den Premier-Lieutenant Ewald von
Zedtwitz. Derselbe ward nach Gorze zum Invaliden Antoin So
zebracht, dem bei Magenta das Bein abgeschossen worder De
var. Der Held wußte den Helden zu ehren. Dem todeswunden Zur
Krieger ward hier die liebevollste Pflege zu Theil, und des Der
Wirthes Töchterlein brachte ihm, der auf einem Strohlager ——
m offenen Kaufmannsladen zu ebener Erde lag, täglich die
chönsten Sachen zur Erquickung. Es war am i9. Äuguft Un
rachdem Tags vorher der König Wilhelm auch die Schlach „T
bei Gravelotte siegreich geschlagen und die Nacht auf den
Schlachtfeld zugebracht hatte, als der greise Held vor Zedt
witz's Hause vorbeifsuhr. Durch das heranbrausende Geraͤusch T
das donnernde Hurrah von ungefähr 600 Verwundeten, di De
auf den Straßen lagen, auf das Nahen des Königs auf —
merkfam gemacht, fchickte v. Zedtwitz, der von seinem Strot So
ager bercits die ersten Pferde des königlichen Wagens sah Unt
hin durch den Hornist Ficker die schönste Rose mit der De
Worten: „Ein schwer verwundeter Offizier, der wohl schwer Op
uͤch die nächsten Tage überleben wird, schickt Eurer Majestä
diese Rose als Siegesgruß für Gravelotte!“ Der König „1
tief erschüttert, befahl dem Kutscher, langsam zu fahren, nahn
die Rose, fragte nach des Gebers Namen, wünschte demselber
dankend Besserung, steckte die Rose in's Knopfloch, un
veiter ging es den unaufhaltsamen Siegeslauf. Ic
Ewald v. Zedtwitz genas langsam von seinen schweren Is,
Wunden und ward endlich als Hauptmann und stellvertretende
Zezirtekommandeur des 1. Bataillons (Halberstadth 3 Nagde Sa
urgischen Landwehr⸗Regiments Nr. bb hierher verfetzt. DeOb
traf ain 24. December v. J. (1871) von Berlin aus eu M
inniges Oelgemälde ein, darstellend einen reichen Lorbeerkranz
der einen Kriegshelm bedeckt und mit dem eisernen Kreuz“
zeziert ist. An dem prachtvollen vergoldeten Rahmen ist oben
ine massive silberne Rose eingelassen. Folgendes königlich
dandschreiben an Herrn v. Zedtwitz lag dabei:
„In dankbarer Erinnerung an den mir unvergeßlicher
Augenblick, wo Sie schwer verwundet in Gorze am 19e
August 1870 mir eine Rose nachsandten, und ich, Sie nich
ennend, an Ihrem Schmerzenslager vorüber gefahren war
ende ich das beikommende Bild, damit noch in späteren
Zeiten man wisse, wie Sie in solchem Augenblicke Ihre
Königs gedachten, und wie dankbar er Ihnen bleibt. Weib
sachten 1871. Gez. Wilhelm Rex. 22. Dez. 1871“
5. Deutsche Treue.
Eine rührende Geschichte theilte ein Besucher des Schlach!
eldes von Saarbrücken, wie folgt, mit. Einer meiner Führe!
dessen zwei Söhne beim 40. Regiment mit im Kampf
tanden, erzählte mir Folgendes. Er fuhr bei beginnende
Dunkelheit mit seinen Pferden hinaus, um Verwundete
zielleicht die Seinigen, aufzunehmen. Fünf hatte er auf der
Wagen gebracht; der sechsste war der Hauptmann v. Winter
eld Kaum niebdergelegt, sagte dieser röchelnd: „Nun suche!
Sie noch meinen Feldwebel, einen braven Mann; den lass
ch nicht hier!“ Der Wagen war voll, und es war völli—
dunkel geworden. Mein Begleiter machte die Unmöglichkeit
den Verwundeten zu finden, geltend. „So laden Sie mit
wieder ab,“ war die Antwortz „dann will ich sterben, w
der Feldwebel stirbt.“ — Da war nichts einzuwenden; mi
hülfe von Zündhölzchen wurde der Feldwebel noch gefunde!
ind zur Siadt gebracht. Am anderen Tage waren beid
delden todt.
———— — — —— ————