Full text: Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1874-1884)

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hat's mir zum letzten Weihnachten geschenkt, — lieber Gott 
ja, es ist mein letztes gewesen, und — das kleine Testament, 
vwo vorn mein Einsegnungsspruch drin steht, — das nehmen 
Sie an sich und geben Sie's ihnen zu Hause. — Gott 
und lohns Ihnen, Herr Lieutenant, daß Sie das thun wollen, 
ehen ich kann's Ihnen nicht vergelten; „aber daheim werden sie es 
wie Ihnen nicht vergessen, und die Mutter· — 
gen, „Die Stimme wurde immer schwächer; die letzten Sätze 
Fer hatte er schon in längeren Zwifchenräumen gesprochen; ich fab, 
es ging zu Ende. Ganz leise, fast unboͤrbar flüsterten die 
det bleichen on 
das „Wenn ich einmal soll scheiden“ — — 
ient, Ich betete laut weiter; sots 
eint So scheide nicht von mir“ ꝛc. 
iete, Beim ietzten Verfe wurde das Röcheln immer schwächer, 
und die Endzeilen hörte ich allein; mein tapferer Kamerab 
hlet war selig beimgegangen. 
F. .Wie still war's um mich; ich dachte an das ferne, kleine 
Dorf, wo jetzt vielleicht auch die Augen der alten Eitern, 
wes der liebenden Braut schlaflos jum leuchtenden Sternenhimmel 
ficht gusschauten und für den beteten, dessen treues Herz aufgehört 
hatte zu schlagen, dessen theures Angesicht sie Juf Erden' nie 
lũch 3 sehen soülten. Was für eine Wat voll Glück und Freude 
dem dppe sich mit diesem einen Augenpaar für sie geschlossen? — 
nn ch, und es waren Taufende, die da auf dem weiten, mond⸗ 
ich eglämten Schlachtfelde lagen, Freund und Feind, die der 
Pdesengel heute auf die bleiche Stirn gelüßt. Vielleicht 
rnen an er auch bald zu mir; — mir war, als fuͤhlte ich die 
den Lebenskräfte immer mehr zu Ende gehenz alle meine Glieder 
der Waren wie gelähmt; ich war sterbensmatt; die Nacht war so 
inir, AUnendlich lang; würde ich die Grüße des odten Kameraden 
rern Ausrichten lonnen ? Würde ich die eigene Heimath wiederfehen? 
— In der Ferne sah ich manchmaͤl Gestalten sich bewegen; 
afen. 5 waren Johanniter, welche die ganze lange Nacht“! die 
den. lerbenden und Verwundeten suchten; ich lag etwas abseits; 
en⸗, J ich die barmherzigen Samariter wohl auch noch finden 
dern Vrren Pluto wachte noch immer neben mir; es war 
Ipen wie still und bewegungslos er da lag und auf ein 
Aebe eet Wort von mir mit dem buschigen Schwange wedelie 
am — den Kopf mit den ugen, treuen Augen zu mir hin— 
*8 anee 83 wollte er sagen: „Du kannst ruhig sein, ich 
Das Dich.“ 
mit fli Endlich, endlich zog der Morgen herauf; immer bleicher 
igen elen die Sterne; immer klarer traten die Umrisse meiner 
Ibe — Umgebungen hervor. Plötzlich bellt der Hund laut 
v und springt in ungeheueren Sätzen davon; ich häne 
und ch gern umgewendet, um zu sehen, was er vor hatte, 
wer F jedoch unfähig mich zu rubren Gleich darauf börte ich 
9 Per schnelle Schritte und eine Stimme rufte, Gon se 
ge Fank, Herr Lieutenant, endlich bab' ich Sie gefunben“ Es 
Nir b mein braver Bursche, der mich die ganze Nacht gesucht 
—*9 Aun endlich gefunden hatte. 
—*— herla seh waren ein paar junge, freiwillige Felddiakonen 
lein dehet geholt, und ich wurde leife und schonend auf die Trag— 
ꝛ gelegt und in ein Lazaͤreth zu Gravelotte gebracht, 
ann Linderung und Hülfe finden follte. 
* rand?bald es mir meine Kräfte gestatteten, schrieb ich den 
umn rigen Brief an die Eltern meines Gravelotter Freundes; 
rme edade mir vorbehalten, selbst in das Dorf zu reisen und 
ber —38 das kleine Vermächtniß ihres Sohnes persönlich zu 
eute — * ich habe einen sehr rührenden Brief von ihnen, 
io e pelhem sie meinem Kommen mit schmerzlicher Freude 
oft ahegensehen; bin ich doch der Einzige, der ihrem lieben 
c ann in der Todesstunde nahe war, der seinen letzten 
an fie in Empfang nahm, ihn feinen lehten Seufzen 
shauchen hörte 
2. Eine Ueberraschung. 
Als das deutsche Hauptquartier einige Tage vor der 
Schlacht bei Sedan in Clermont lag, galt (wie immer im 
Hauptquartier) der Befehl, es dürfe nicht requirirt werden. 
An demselben Tage marschirten die Baiern durch Clermont 
in einem Hundewetter, dessen die Betheiligten sich wohl noch 
erinnern werden. Der Oberst der baierischen Reiter fühlt 
sich am Abend unwohl und wünscht eine Flasche Wein. Er 
gibt also seiner Ordonnanz einen Thaler mit dem Auftrage, 
zine Flasche zu kaufen, ja nicht zu requiriren. Der Soldai 
zeht die Straße hinab, während die Regimenter in dem tiefen 
Schmutz die Straße hinauf marschiren. Er sieht ein Gast⸗ 
zaus, vor welchem zwei Posten stehen, und klopft an die 
Thür. Die Posten haben die vorübermarschirenden Offiziere 
zu salutiren und winken ihm, er solle weiter gehen. Der 
gute Baier aber pocht weiter; er fühlt sich in seinem Recht; 
denn er hat einen Thaler in der Hand. Endlich öffnet ihm 
ein ältlicher Offizier selbst die Thür. Der Soldat verlangt 
ine Flasche Wein für seinen Obersten, der krank sei. Der 
Offizier geht fort und kommt mit einem jüngeren Offizier 
urück, der eine Flasche Wein in der Hand trägt. „Geben 
Sie das Ihrem Obersten,“ sagt der ältere Offizier. — „Ja“ 
agt der Baier, „ich soll nicht requiriren; hier ist ein Thaler,“ 
ind reicht ihm den Thaler. — „Schon gut,“ sagt der wohl⸗ 
wollende Herr; „bringen Sie die Flasche Ihrem Obersten; 
agen Sie, der König von Preußen schicke Sie ihm und lasse 
ihm gute Genesung wünschen.“ — „Der König von Preußen?“ 
fragt der Baier; „wo ist denn der König von Preußen?“ — 
„Der bin ich selbst,“ antwortete der Offizier. — Der Baier 
bringt seinem Obersten die Flasche und legt ihm den Thaler 
auf den Tisch. „Ich hab' Dir ja gesagt, Du sollst nit 
requiriren!“ fährt ihn der Oberst an. — „Ja, Herr Oberst,“ 
antwortet der Soldat, „es war ein Herr da, der hat mir 
die Flasche gegeben und mir gesagt, er sei der König von 
Preußen und lasse Ihnen a gute Genesung wünschen!““ 
3. Der Rettungs⸗Engel. 
Der Krieg entwickelt Leidenschaften, oft aber auch 
Edelmuth. So war am 16. August 1870 nach der heißen 
Schlacht von Mars⸗la⸗Tour einer Schwadron der sächsischen 
Barde⸗-Reiterei aufgetragen, den weichenden Feind durch ein 
zroßes Dorf zu drängen. Sie mußte zu diesem Behufe auf 
iner nur mäßig breiten Straße hinsprengen. Am Ende der 
Straße galt es, eine Kreuzung gegen französische Kavallerie 
zu behaupten. — Der Rittmeister, wie die Soldaten zu sagen 
flegen, ein wahrer Feuerteufel und doch seelengut dabei, 
prengte voran, und freudig folgte ihm die ganze Schwadron. 
In der Straßen⸗Kreuzung war ein schreckliches, unbeschreib⸗ 
iches Durcheinander von Pferden, Wagen und Geschützen 
des weichenden Feindes; mitten darin sah man plötzlich einen 
naben von drei bis vier Jahren, schmutzig, mit zerrissenen 
stleidern, aber engelschön von Angesicht. Weiß der Himmel, 
wie er dahin gekommen war! — In seiner Todesangst vor 
den Pferden der sächsischen Garde⸗-Reiter gerieth er, indem 
er diesen ausweichen wollte, zu nahe an ein Wagenrad; 
die Vorderachse riß ihn zu Boden; das Hinterrad mußte im 
aächsten Augenblicke über seinen Kopf hinweggehen; — er 
schien unrettbar verloren. 
Man vergegenwärtige sich eine solche Lage und man wird 
ermessen können, welchen Eindruck dieses Begebniß auf 
ene Reiter der vorderen Reihen, welche dies saͤhen, üben 
nußte. Sie hatten bereits viele Männer sterben gesehen; 
aber ein Kind, und eines solchen Todes — noch nie. Einen 
Augenblick stockte der Athem, stand das Blut still, um im 
nächsten Augenblicke einer freudigen Bewegung zu weichen
	        
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