30
Augen immer voll Wasser. Aber dieser Abend machte
mich um viele Jahre älter. Limberger's Reden giengen
tief in mein Herz; denn es war, als wenn er nur für
mich spräche. Es wurde mir diesen Abend auch klar, daß
Gottfried und Lene ein Paar waren, dem die Eltern
ihren Segen ebensowenig wie mir und Sabinen vorent—
halten würden, wenn Zeit und Stunde kämen.
Es wurde spät, ehe wir Abschied nahmen; denn ich
zögerte so lange als möglich. Endlich, es war schon
Mitternacht, verließ ich, in Thränen gebadet, von den
Segenswünschen meiner Lieben begleitet, das Haus, um
mit Limberger auf die Mühle zu gehen, von wo morgen
früh die Wanderschaft angetreten werden sollte. Lim—
berger sprach wenig; auch am andern Morgen war er
sehr gemessen in seinen Worten; aber sie wogen um so
schwerer. Er geleitete mich noch ein gut Stück; dann
kniete er mit mir neben dem Wege hinter einer Hecke
nieder und betete zum Vater im Himmel wie ein treuer
Elieser. Dann stand er rasch auf und gab mir die
Hand mit den Worten: „nun, Knappe, sei treu in allen
deinen Wegen Gott dem Herrn und deinem Herzen!
Der Herr geleite deinen Ausgang und Eingang!“
Hierauf wandte er sich rasch um und ließ mich stehen,
ohne auch nur einmal nach mir umzublicken.
Ueber meine dreijährige Wanderschaft gehe ich schnell
hinweg. Ich überwand bald mein Heimweh, lernte
etwas Tüchtiges und kehrte nach drei Jahren wohl—
gemuth heim. —
Ach wie fand ich Alles verändert! Es war ausgemacht
worden, ehe ich auf die Wanderschaft gieng, daß Briefe
nicht gewechselt werden sollten; denn so hatte es mein
Vater auch gehalten. Nur an Limberger hatte ich einmal
geschrieben, nachdem ich in einer Muͤhle eine Stelle ge—
funden, aber keine Antwort erhalten. Jetzt erfuhr ich
also Vieles auf einmal. Limberger hatte nicht antworten
können; denn bald nach meiner Abreise hatte er durch
einen Sturz in den Mühlengraben eine Erkältung sich
zugezogen, der ein hitziges Fieber folgte, und nach acht
Tagen war seine Seele eingegangen zu seines Herrn
Freude.
Der Vater hätte mich gern zurückgehabt; aber da er
nicht wußte, wo ich mich aufhielt, so gieng er selbst in
die Mühle und überließ Gottfrieden die Bäckerei. Aber
der alternde Vater konnte das neue Leben nicht gewohnt
werden; er zog wieder zurück und gab endlich die Mühle
in Pacht. Gottfried hatte geheirathet, und die Eltern hatten
sich in Ruhe gesetzt. Lenzes und meine Sabine fand ich
unverändert, nur daß letztere, jetzt 18 Jahre alt, schöner
und kräftiger geworden war, als ich's erwartet hatte.
Wie strahlte die Freude aus ihren Augen, als sie meiner
ansichtig wurde! Wie erröthete sie, als ich ihr die Hand
reichte und die ihrige so recht in aller Liebe drückte. Es
war kein Wort von unserer Liebe geredet worden; aber
wir waren in unsern Herzen Verlobte, und der Eltern
ZSegen hatten wir auch. Wie gern hätten sie es gesehen,
venn wir auch ein Paar geworden wären wie Gottfried
ind Lene. Aber das gieng nicht. Die Mühle war noch
iuf drei Jahre verpachtet, und der Pächter war zu keinem
Abstand zu bewegen; die Brauerei von Lenz konnte ich
ticht übernehmen; denn ich verstand nichts davon, batte
uuch keine Lust dazu, da ich mit Leib und Seele Müller
var und bleiben wollte. So herum zu lungern, war nun
rst recht mir zuwider, und so beschloß ich denn mil
zustimmung aller Angehörigen, noch einmal hinaus zu
sehen, nicht gerade als Knappe, sondern in der Absicht,
»as Mühlenhandwerk in verschiedenen Ländern kennen zu
ernen. Zwar der Gedanke an eine Trennung von Sabine,
die mittlerweile meine erklärte Braut geworden war,
hat mir wehe; aber ich war 20, sie 18 Jahre alt; das
Wandern hatte mir gefallen; heirathen konnte und wollte
ch doch noch nicht; — so wurde überwunden und geschieden.
Vom Grabe meines treuen Limberger aus schied ich
zum zweiten Male. Jetzt aber gedachte ich zunächst nach
Rußland zu reisen; denn in Smolensk hatte ich einen
VBetter, der Bäcker war. Den wollte ich besuchen und
dabei doch das Müllerwesen kennen lernen. Die Reise
vollte ich über Hamburg und Lübeck und von da zu
Schiffe nach Riga machen. Ich gelangte ohne Anstoß
iach Lübeck, fand auch bald ein Schiff, auf welchem ich
zie Ueberfahrt machen konnte. Aber ein anhaltender
tarker Ostwind hinderte das Auslaufen von Tag zu Tag
von Woche zu Woche. Ich logierte auf der Bäckerherberge,
veil ein Bäckergeselle Namens Rumpf aus Wettesingen
m Hessischen, der ebenfalls nach Rußland wollte, mich
nit dorthin genommen hatte. Aber ich konnte es nach
4 Tagen nicht mehr aushalten, und meinem Kameraden
var's ganz recht, als ich ihm den Vorschlag machte,
vir wollten selbander zu Fuße nach Rußland gehen. Wiu
nachten uns auf der Stelle auf und zum Thore hinaus—
Kielleicht gieng zu derselben Stunde ein Brief mit der
Post zum Thore hinaus, in welchem ich meiner Sabine
jemeldet hatte, daß folgenden Tages das Schiff sichern
abgehen, und ich mit demselben nach Osten fahren würde
Kaum waren wir eine Strecke gegangen, als mein
damerad, der ein gar getreuer Mensch war, und dem ich
ille meine Umstände, namentlich meine Liebe zu Sabinen
erzählt hatte, stehen blieb und sagte: „höre, Kamerad,
nan sagt, Bettelleute und Spaziergänger machen keinen
Umweg. Da wir nun beide so eine Art Spaziergänger!
ind, wie wär's, wenn wir unsern Weg über Cinbech
iähmen, und du mir erst einmal deinen Schatz zeigtest?
Wie jubelte mein Herz über diesen Vorschlag! Aber doch
onnte ich nicht Ja dazu sagen. „Ei was?, entgegnete
ch schmunzelnd, „was würden meine Leute dazu fagen?
Ich würde ausgelacht werden wie Peter in der Fremde—
Rein, Kamerad, kommen wir von unserm Spaziergange
zurück, dann sollst du mit bei der Hochzeit sein, j
Brautführer werden, wenn du meiner Sabine anstehst.
uuch von der jungen Frau einen Kuß in Ehren haben;
iber jetzt vorwärts nach Morgen.“
9
J
94