Full text: Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1874-1884)

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dandwerks unterzog, war doch der Sonntag mein bester 
ag. Dann gingen wir früh zur Stadt, herzlich bewill⸗ 
mmt von den Eltern und Gottfried und so recht ge— 
flegt mit Liebe und Freundlichkeit. Gemeinschaftlich 
ing's dann zur Kirche, gemeinschaftlich darnach zu Tische. 
ẽs war jetzt so still und friedlich im Hause, die Mutter 
dlieb und der Vater so gut, daß jevesmal beim Scheiden 
mm Abend mir das Herz schwer wurde, wenn mir die 
iltern das Geleite bis vor die Stadt gaben. Gottfried 
har auch freundlich; aber er verließ in der Regel nach 
»er Mittagskirche das Haus, um mit seinen Kameraden 
en Nachmittag und Abend zuzubringen, während Lim— 
erger mit den Eltern und mir daheim blieb. Limberger 
onnte gar schön erzählen; denn er war weit herum ge⸗ 
ommen, und all' seine Erzählungen hatten so was Eigenes; 
war immer so etwas von Heimweh nach dem himm⸗ 
ischen Vaterlande darin, was Vater und Mutter und 
uuch mir sehr nahe ging. Als es Winter wurde, kam 
egelmäßig Nachbar Lenz hinzu, und wenn seine Frau 
yn abrufen mußte, so blieb sie an seinem Platze sitzen 
ind mußte nicht selten auch gerufen werden; denn sie 
atten auch Bierschank. Die Mutter wurde immer durch 
sre kleinere Tochter Sabine gerufen, die noch nicht in 
er Wirthschaft helfen durfte; denn sie sollte erst naͤchste 
Itern confirmirt werden. Bald kaim Sabine nicht erst, 
m die Eltern zu rufen, sondern sie nahm gleich nach der 
Nittagskirche ihr Plätzchen zu der Mutter Füßen ein, 
ährend diese am Fenster auf der Pritsche saß, um zum 
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vurden. 
So gingen mit wenig Abwechselung meine drei Lehr⸗ 
ahre herum. Mein Vater sah mit Freuden den Zeit⸗ 
unkt herannahen, wo ich selbständig die Mühle versehen 
ollte, und an einem Sountage sprach er diesen seinen 
Wunsch dem Limberger aus. Es wurde ihm recht schwer, 
em guten treuen Menschen gewissermaßen den Abschied 
mzukündigen. Der aber half ihm über seine Aengst— 
ichkeit hinaus, indem er folgendermaßen das Wort nahm: 
„Mein lieber Meister Anton, ich habe Euch nun drei 
ahre gedient, und, wie Ihr mir oft gesagt, zu Eurer 
vollen Zufriedenheit. Ich könnte mich auch nicht darauf 
wesinnen, Euch das Geringste veruntreuet zu haben. 
Venn ich aber jetzt auf Euren Wunsch einginge, so wäre 
»as Untreue gegen Euch und Euren Friedrich. Wir 
aben die Jahre her immer so viel zu mahlen gehabt, 
ils beide Gange nur zu mahlen vermochten. Dabei hat 
Friedrich auch grundlich gelernt die Mühle zu stellen und 
u reparieren und überhaupt Alles, was er in einer solchen 
infachen Mühle nöthig hat. Aber die Mühle könnte das 
doppelte und Dreifache von dem einbringen, was sie jetzt 
inbringt, wenn, wie ich Euch schon oft vorgeschlagen und 
vie Ihr einseht, daß es sehr leicht geht, der Erlebach, der 
interhalb der Mühle mundet, oberhalb in die Rodebach, 
belche unsere Mühle treibt, geleitet, und neben den beiden 
Rahlgängen noch Graupengang aund eine Schlag— 
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der Schneidemühle angelegt würde. Ihr habt in den 
dahren die Mühle durch ihren Ertrag bezahlt und noch 
iin gut Stück Geld übrig behalten; wendet's daran, dem 
Friedrich ein tüchtiges Erbe zu hinterlassen, und schicht 
hn auf einige Jahre in eine Mühle auf einer der könig— 
ichen Domänen, damit er lerne auch Graupen machen 
ind überhaupt ein gewürfelter und erfahrener Müller in 
eder Beziehung werde. Gottfried bekommt doch an der 
Bäckerei ein besseres Erbe. Das ist meine Meinung. 
Macht's aber, wie Ihr wollt. Ich bin jede Stunde bereit 
u gehen.“ 
Der Vater antwortete nichts, und da heute die anderen 
Hespräche nicht recht mehr ziehen wollten, so gingen wir 
rüher als sonst und ohne Geleite. Ich fragte Limberer 
toch einmal über die Einrichtung der Mühlen auf den 
Domänen, und gutmüthig, wie er war, setzte er mir die 
Zache noch einmal, wie er schon oft gethan, auseinander. 
Das gefiel mir wohl; aber die Sache hatte doch ihren 
Zaken, und ich konnte den meinem treuen Lehrmeister 
nicht verbergen. Die Sabine Lenz hatte mir das Herz 
jestohlen, ohne daß ich's wußte, und ohne daß sie's vlel— 
eicht selbst wußte. Jetzt aber, da es zu scheiden galt, da 
am's an den Tag mit Macht. Limberger that durchaus 
nicht verwundert und äußerte überhaupt nichts, und so 
singen wir zur Mühle und bald zu Bette; aber ich 
chlief nicht. 
Am andern Morgen kam mein Vater früh zu uns 
sinaus, und während ich die Mühle besorgte, ließ er sich 
»on Limberger an Ort und Stelle dessen Pläne aus— 
inander setzen. Ich guckte, so viel ich konnte, durch's 
yenster, und immer sah ich den Vater mit dem Kopfe 
chütteln. Nachdem Alles durchgesprochen war, und beide 
iuf die Mühle zukamen, blieben sie plötzlich stehen; Lim— 
erger sprach, mein Vater horchte aufmerksam, und endlich 
eichte er Limberger die Hand. Jetzt kamen sie heim, und 
yon Limberger erfuhr ich, daß mein Vater die Vorschläge 
'o gut wie angenommen habe, nur noch mit der Mutter 
Rücksprache nehmen wolle. Er gestand mir auch, daß er 
zem Vater meine Beichte von gestern Abend verrathen, 
ind daß dies den Ausschlag gegeben habe. Ich wollte 
ürnen, konnte es aber nicht, da mir Limberger so ernst 
ind so liebevoll noch einmal mein wahres Glück und die 
Nothwendigkeit der Trennung auseinander setzte, daß ich 
war weinte, ihm aber doch dankbarlichst die Hand drückte. 
Nach kurzem Berathen mit der Mutter hatte auch diese 
ꝛingewilligt, und nach vier Wochen schnürte ich meinen 
vohlversorgten Ranzen, um als Knappe zu wandern. 
Am Abend vor der Abreise war Limberger und die Fa— 
nilie Lenz, die aus den bekannten drei Personen und der 
ilteren Tochter Lene bestand, bei uns versammelt; auch 
Bottfried war daheim. Es war so recht behaglich still 
zei uns, und mir schien's, als könne ich nicht scheiden. 
Ich konnte nicht sprechen; wenn ich gefragt wurde, so 
onnte ich kaum eine Antwort mit thränenschwerer Stimme 
orbringen; denn auch Sabinen standen die beiden blauen
	        
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