Full text: Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1874-1884)

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willen, wo nicht Haß hatte mein Vater auf die Müller 
geworfen; die nähmen dem Bäcker den Profit immer vor 
dem Maule weg; dem Bäcker werde seine Waare von 
der Polizei nachgewogen, und jedes fehlende Quentchen 
koste ihn schwere Strafe; aber der Muͤhlenstaub lasse sich 
nicht wiegen, und doch sei er schwerer als Gold und auch 
werthvoller. Er war bei den meisten Müllern in der 
Stadt und der Umgegend umhergezogen und von jedem 
in Unfrieden geschieden. Endlich hatte er in einiger Ent⸗ 
fernung selbst eine Mühle gekauft, in der Hoffnung, der 
Plackereien mit den Müllern nun überhoben zu sein. Aber 
zum Frieden kam er doch nicht; denn nun glaubte er von 
dem Müllerburschen sich betrogen, und da er gegen den 
noch weniger mit seinen Reden auf der Hut war, als 
gegen die Müller, so hatte er noch mehr Zank und wech— 
selte jetzt noch häufiger den Burschen als früher die 
Mühle. Einst kam er voll Aerger nach Hause und schwur, 
ich solle Müller werden, oder er wolle kein Bäcker mehr 
sein. Der Gedanke, der ihm so durch den Kopf gefahren 
war, wurde ihm nicht wieder leid. Besonders wurde er 
durch unsern Nachbar darin bestärkt. Der war ein Bier⸗ 
brauer und hieß Lenz. Ein eben so biederer Mann als 
mein Vater, aber viel gelassener, hatte er zwar keinen 
Streit mit dem Müller, der ihm sein Malz schrotete, aber 
denselben Verdacht auf ihn wie mein Vater auf alle Müller. 
Als nach einigen Abenden Nachbar Lenz mit meinem 
Vater auf der Ofenbank saß, erzählte dieser seinen 
noch nicht verwundenen Aerger; denn er hatte den Muͤhlen⸗ 
burschen auf frischer That ertappt, wie er einer Fremden, 
vielleicht seinem saubern Schatz, wie mein Vater meinte, 
vom feinsten Semmelmehl ein ganzes Klutchen zusteckte. 
Nachdem beide ihren Unmuth über die Müller gründlich 
ausgesprochen, fuhr mein Vater mit lauter Stimme auf: 
„und was meinst du dazu, wenn ich meinen Friedrich 
einen Mühlenknappen werden lasse? Der Junge hat zu 
Allem Geschick; so sollte ich denken, es müsse ihm ein 
Leichtes werden, einmal so einen dummen Mühlensack ab⸗ 
zugeben. Treibt dann der Gottfried, so hieß mein älterer 
Bruder, die Bäckerei, und Friedrich die Müllerei, so wüßte 
ich nicht, wie es zugehen sollte, wenn die nicht allen An— 
dern etwas zu rathen aufgeben sollten! Was meinst du?“ 
„Wenn der Herr seinen Wohlgefallen daran hat und 
seinen Segen dazu gibt!“ schaltete die Mutter bedenklich 
und wohlweislich ein. 
„Das versteht sich“, bekräftigte Nachbar Lenz, während 
mein Vater seinem Käppchen einen Stubs gab, daß es 
auf dem linken Ohr saß, was er jedesmal that, wenn die 
Mutter etwas sprach, was ihm nicht recht war, dem er 
jedoch nicht widersprechen konnte. 
„Das versteht sich, Frau Nachbarin“, wiederholte der 
Bierbrauer, „denn an Gottes Segen ist Alles und allein 
gelegen; aber nach menschlichem Ansehen zu urtheilen, 
müßte das Ding allerdings ein Echo kriegen, wenn der 
eine Bruder Baͤcker, der andere Müller wäre. Dann 
lollte mein Malz auch nicht mehr dem dicken Untermüller 
einen Haustrunk so gut machen; denn, wenn Friedrich 
jeute Müller wird, so thue ich morgen bei ihm ein“. 
Die Sache war abgemacht, und am andern Morgen 
heilte mir mein Vater seinen Entschluß mit. Mir wan 
das ganz Wasser auf meine Mühle; denn mit Gottfried 
neinem ältern Bruder, konnte ich mich nicht recht ver 
ragen, seitdem ich als Bäckerlehrling aufgedingt, wäh— 
rend er schon als Geselle losgesprochen war. Wir hatten 
ins recht brüderlich lieb; aber, wie das so oft geht, der 
Ieltere wollte gern befehlen und der Jüngere nicht ge— 
zorchen. Daß es nicht zu offenem Bruderkriege zwischen 
ins kam, verhinderte die gute Mutter, die uns beiden 
zleich theuer und von beiden gleich geachtet, ja ich kann 
vohl sagen, verehrt war. Wir sahen, wie oft sie von des 
Gaters Heftigkeit verletzt wurde und doch immer voll 
tiebe und Geduld blieb und dadurch gar manches Un⸗ 
vetter auch von uns Brüdern abwendete. Des Vaters 
Heftigkeit machte sie nicht unglücklich; das rasche ent⸗ 
chlossene Wesen des Vaters war's ja gerade, was sie zu 
hm hingezogen hatte, und so war sie auch im Stande, 
ein Uebermaß desselben zu ertragen. Was sie schmerzte, 
war der Tod eines lieben Töchterchens, dessen sanftes 
Wesen sie über die Wildheit der Söhne zu trösten ver— 
sprach, und gar oft habe ich sie in stillen Thränen gesehen, 
die sie dem lieben Kinde nachweinte. Wenn ich dann 
heilnehmend sie fragte, was ihr sei, dann strich sie mir 
die Haare aus der Stirn, schaute mir in die Augen ties 
hinein und sprach: a„du bist doch mein lieber Junge!“ 
Dann kamen auch mir die Thränen, und ich hing oft laut⸗ 
chluchzend an ihrem Halse. Ach, die liebe Mutter, sie 
ist längst ihrem Töchterlein nachgegangen und sicher ein— 
zegangen in ihres Herrn Freude, obgleich auf ihr Grab⸗ 
mal wohl wenig Thränen gefallen sind«. — 
Der Alte hielt inne. Er kämpfte mit seinem Schmerz 
aber eine Thräne konnte er nicht unterdrücken. 
Nach einer Pause fuhr er fort: „verzeiht Herr, daß ich 
weich wurde. Die Liebe zu meiner Mutter hat mir die 
Welt, die mir so Vieles nahm, nicht nehmen dürfen! 
Also ich that die Bäckerschürze ab und die Müllerjacke 
an. Zunächst kam ich in unsere eigene Mühle, in welche 
mein Vater jetzt glücklich einen ehrlichen und frommen 
Knappen gewonnen hatte. Er hieß Limberger, war eines 
Pfarrers Sohn und hatte bei des Vaters frühem Tode 
das Studieren aufgeben müssen. Er war Schreiner, 
dann Müller geworden, jetzt meines Vaters Knappe und 
nein Lehrer. Von ihm lernte ich nicht nur das Schreiner⸗ 
und Mühlenhandwerk, was ein tüchtiger Müller immer 
zusammen kennen sollte, gründlich, sondern lernte auch, 
was alle Menschen wissen sollten, Religion. Ach, ich ver⸗ 
gesse des treuen stillen Menschen nie, wie er Alles that, 
aim mich zu einem frommen Jüngling zu erziehen, und 
wie er oft in der Nacht, wenn er frisch aufgeschütiet hatte, 
nir in's Gesicht leuchtete und dann, wenn er glaubte, ich 
chlief, ein lautes Gebet über mich sprach. So gern ich 
Müller war und so willig ich mich allen Arbeiten diesee
	        
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