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Unterhaltendes und Belehrendes.
Ein Handwerker nach dem Herzen Gottes.
Daß der Kalenderschreiber unser liebes Hessenland die
dreuz und die Quere oft durchstreifte, braucht er wohl
laum zu versichern. Eine Geschichte, die er einst auf einer
solchen Streife erlebte, will er heute erzählen.
In dem heißen Sommer 1857 trat ich aus dichtem
Walde in ein frisches Thälchen, das mir bis dahin unbe—
kannt geblieben war. Hier war Alles frisch und grün,
während allerwärts sonst die Hitze verderbend gewirkt hatte.
Daß diese Wiese so saftig und frisch war, kam daher, daß
eine über derselben entspringende Quelle, die niemals ver⸗
siegt, von dem Besitzer getheilt an beiden Seiten der Wiese
unter dem Schatten des angrenzenden Waldes herab und
in unzähligen kleinen Gräbchen in die Wiese geleitet worden
ist. Waͤhrend die Quelle siark aus der Erde tritt, ist sie
unterhalb der Wiese nur ein ganz schmales, schwaches
Streifchen, da sie ihr Bestes an die Wiese abgeben mußte.
Außerdem war aber die Wiese mit so kräftigen Berg—
pflanzen bewachsen, daß auch bei mangelnder Feuchtigkeit
wohl die Spuren der Hitze nur unbedeutend hätten sein
können. Der glückliche Besitzer sorgte aber nicht bloß für
seine Pferde und Kühe, indem er diese Wiese pflegte;
er genoß sicher selbst hier Stunden reiner Freude und
stillen Gluͤckes.
Zwar von einer Anlage, die zu diesem Schluß berech⸗
tigt haͤtte, war, oberflächlich betrachtet, nichts zu sehen;
aber als ich eine Weile geruhet, entdeckte ich doch unver⸗
kennbare Spuren einer ordnenden Hand, gerade an dem
Plätzchen, wo ich saß. Die Felsstücke bildeten ein ver—
worrenes Durcheinander; aber doch waren sie so gelegt,
daß sie überall bequeme Sitze bildeten. Bequem waren
sie; denn sie waren mit Moos reich überwachsen, und einige
Epheuranken schmückten sie sogar. Auch an der starken
Buche, die ihre Aeste über dies Plätzchen ausstreckte, war
Moos und Epheu hinangeklettert, die gewöhnlich lieber
an Eichen und alten Mauern sich anklammern.
Das Platzchen war aber auch wunderschön nicht bloß
der nahen uͤnd nächsten Umgebung wegen, sondern auch
die weitere Aussicht von hier war erquickend und reizend.
Der Blick schweifte über den niederen Vorwald hinaus,
zunächst auf einen Basaltkegel, der mitten im Felde des
nächsten Dorfes sich erhebt; über den hinaus prangte der
Hochwald in üppiger Frische seiner Buchen und Eichen,
und gerade aus öffnete sich dem Blicke die Aussicht in eine
reiche mit Dörfern und einzelnen Höfen besäete Lands chaft.
Wahrend ich mich so ganz dein Wohlbehagen hingab,
aahete ein graues Maͤnnlein, aus dem Walde kommend.
Er war klein, gebückt, ganz grau gekleidet und mit einer
rroßen Spitzhacke ausgerüstet. Das Männlein schien mich
erst gar nicht zu bemerken; ich rief ihn aber an: „guter
Leund, wo hinaus?“ Das Mäannlein richtete sich auf und
kam auf mich zu. Er war so gar klein nicht, aber das
Besicht zigeunergelb, das Haar pechschwarz und struppig
anter der Mütze herunterhängend, und ein paar glänzend
schwarze Augen schauten unter dunkeln und struppigen
Brauen heraus. Der Mann grüßte freundlich und fragte
urück: „Gefällt's Euch hier, mein Herr?« Als ich
hm diese Frage freudig bejahete und auf die Schönheiten
aieses Punktes hinwies, erheiterten sich sichtlich seine Züge,
md zutraulich ließ er sich in meiner Nähe auf einer der
Moosbänke nieder.
„Ach jau, sagte er, „hier hat der liebe Gott ein gar schönes
Fleckchen seiner Welt. Hier kann man die Menschen ganz
dergessen!“ Dabei schaute er mit einem Blicke in das Laub—
dach, in welchem sich Schmerz und Dank zugleich aussprach.
Der. Mann ging bereitwillig auf ein Gespräch ein,
velches ich mit ihm anknüpfte. Er nannte mir die Orte
der vor uns liegenden Landschaft, die einzelnen Berg⸗
uppen und Waldreviere und wußte überall Bemerkungen
einzustreuen, die den erfahrenen Mann erkennen ließen.
Aber der Mann hatte eine Art zu sein und eine Aus⸗
Pprache, wie sie bei unsern Bauern nicht gewöhnlich ist;
cch bemerkte bald, daß er ein geborener Niederdeutscher
sein müsse; denn wenn er auch nicht das reine Plattdeutsch
sprach, so war doch die reinere Aussprache der Vocale
ind Zischlaute ein unverkennbares Merkmal seiner Mutter⸗
prache.
Als ich ihm diese Bemerkung mittheilte, antwortete er:
allerdings bin ich hier nicht geboren; meine Wiege stand
n Einbeck im Hannover'schen. Und wenn Sie gerade hier
iber den Berg da hinblicken, schauen Sie in die Gegend
»on Einbeck; etwas weiter rechts kann man oben auf dem
Berge bei hellem Wetter und mit gutem Auge die blaue
—AAV
ange Jahre nicht mehr gesehen; denn wenn ich hinschaue,
ritt mir eine Thräne in's Auge, und es wird mir trübe
m Herzenu.
Und wirklich wurde auch jetzt des Alten Auge feucht,
und ein Seufzer ließ sich nicht unterdrücken. —
Nach einer längeren Pause redete ich meinen Alten
vieder an und richtete an ihn die Frage, wie es doch ge⸗
tommen sei, daß er von Einbeck hieher ausgewandert.
„Gerne will ich Ihnen das erzählen“, versetzte er, „wenn
Sie Geduld haben wollen, eine lange und traurige Ge—
chichte zu hören“. Und ohne meine Antwort zu erwarten,
jub er also an:
„Ich bin, wie ich Ihnen schon erzählte, in Einbeck
zeboren; mein Vater war Bäcker und ein sehr wohl—
tehender Mann; die Mutter war eine sanfte Frau, die
zuweilen von des Vaters Heftigkeit zu leiden hatte, aber
doch eigentlich das Regiment fuͤhrte, wenigstens in Ver⸗
legenheiten, aus welchen der Vater sich nicht zu helfen
oußte, das Wort sprach. Finen ganz besonderen