Full text: Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1874-1884)

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des Fremden. Einige Hunde schlugen zwar an, als sie 
in's Dorf kamen, sonst aber lag schon Alles im tiefsten 
Schlafe. Nur als sie Klapps Hause in der Höhgasse 
nahe kamen, erblickten sie Licht. 
„Wir sind zur Stelle,“ sagte Klapp, „kommt in mein 
Haus, meine Frau wird Euch erquicken und morgen 
könnt Ihr, wenn Ihr wollt, Eure Straße ziehen.“ 
Der Fremde zögerte und sprach wieder in der fremden 
Mundart: „doch, wenn Ihr mir noch ein Stückchen Brod 
geben wolltet, so könnte ich gleich weiter!“ 
„Das wäre doch,“ sagte der Grebe, und öffnete die 
Thür, in welcher nun auch seine Frau mit dem Oel— 
lichte erschien. Der Fremde griff militairisch grüßend 
an seine Mütze. Dabei kläffte sein Mantel und der 
Grebe sah ein Stück Montur darunter hervorgucken. 
Das war ihm allerdings verdächtig; denn es hatte schon 
verlautet, daß desertirte Soldaten sich hin und wieder 
hatten sehen lassen. Deshalb sprach er: „wenn Ihr 
zut landgräflich seid, dann tretet nur ein, hier schlagen 
hessische Herzen.“ Der Fremde schaute freudig auf 
und trat rasch in's Haus. 
Alsbald brachte die Frau Greben Butterbrod und 
Käse auf den Tisch und ein Schüsselchen Suppe, welches 
sie vom Abendessen für ihren Mann zurück- und in ver 
Asche des Herdes warm gestellt hatte, und theilte sie 
zwischen beiden. Nachdem die Männer gegessen hatten, 
weckte die Frau ihre Tochter Sabyllchen, welche auf dem 
Ofensteine, ermüdet von schwerer Arbeit, eingenickt war, 
nahm den „Mell“, ihr Gebetbuch, vom Kammbanke und 
legte ihn ihrem Manne vor. Dieser betete heute den 
Abendsegen wie gewöhnlich, aber mit tieferer Herzens— 
bewegung als sonst. Dann führte er den Fremden hin— 
aus und wies ihm im Getenne seine Schlafstelle an. — 
Als die beiden Eheleute allein waren, erzählte der Grebe, 
wie und wo er den Fremden aufgerafft und was er in 
Cassel verrichtet hatte. Als aber die Frau noch mehr wissen 
wollte, besonders über den Fremden, da klopfte sie an eine 
oerschlossene Thür. Der Grebe hatte sich nach der 
Wand umgekehrt und schlief den Schlaf des Gerechten — 
Wenn man von der Firnskuppe kommend aus dem 
Walde über Harleshausen heraustritt, so liegt da eine 
freie Fläche, in welche jetzt einige Stücke Land gerodet 
sind, auch ein Kreis von Bäumen gepflanzt ist, um einen 
Tanzplatz zu beschatten. Damals aber war die ganze 
Fläche noch Triesch, auf dem die Schäfer von Harles— 
ausen gern ihre Heerden weideten; denn die guten Kräuter, 
welche hier wachsen, sind gar gesund und heilsam, und 
die Hirten meinten, wenn ihre Heerden auch wenig zu 
fressen fänden, so gedeihe das Wenige doch besser, als 
das fetteste Futter in den Gründen. Ja, der alte Schäfer 
Dippel, welcher jeden Tag, wenn's übest möglich war, 
über den Daspel zog, repetirte jedesmal die Geschichte 
don Abraham und Lot und meinte, der Herr habe es 
hm doch recht gnädig gemacht, hier auf der Höhe zu 
veiden; hatte auch ziemlich grob abgewiesen, als ihm 
inmal angetragen war, in einem Dorfe des fruchtbarer 
Fuldathales Schäfer zu werden; er hatte gesagt: „id 
will nicht nach Sodom — dort verderben die Menschen 
und die Schafe fressen sich faul. Hier will ich bleiben 
hier ist mir noch nie ein Schaf gefallen, und wenn meit 
Stündlein kommt abzuscheiden, dann will ich hier meiner 
Stab niederlegen; dann bin ich dem Himmel gleich 
1000 Fuß näher als drunten im Thale.“ 
Der Daspel, so hieß das Triesch, so heißt's noch 
jetzt, war aber nicht nur für die Schafe gesunde Weide, 
ex war auch für ganz Harleshausen ein hebes Fledcher 
Erde. Unter der steil abfallenden Höhe fließt ein Bächlein 
die „Geile, im Sommer ein gar dünn rieselndes Wäͤsser 
lein, bei Schneeschmelze und Gewittern aber ein wilt 
dahinbrausender Waldbach. Am Ufer standen damalt 
piele Weiden. Von denen schnitten die Jungens im 
Frühjahre die geraden, glatten, langen Aeste und machte 
sich Hummen und Pfeifen. Zum Klopfen der Schale 
daß sie sich löse, sangen sie: 
Humme Humme Wiede, 
Saft Saft Siede, 
Kätzchen lief den Berg 'nuf, 
Wie's wedder h'runger kam, 
Fiel's in den Keller, 
Fung zween rothe Heller. 
Was wett du mit dem Gelle machen? 
Ich well me 'nen Bütel köfen. 
Was wett du mit dem Bütel machen? 
Ich well me' en Stenchen lesen. 
Was wett du mit dem Stenchen machen? 
Ich well me en Völchen werfen. 
Was wett du mit dem Völchen machen? 
Das sall me mine Modder broden. — 
Glat uß, glat uß, wie'n Quetschenkern. 
Wenn aber die Weiden nicht mehr tauglich, weil si 
nicht mehr saftig waren, dann spielten die Jungen 
„Kriggen- oder „Anschlag« oder „Räuber und Schan— 
darmen/“. Da aber Niemand gern Gendarm werden 
wollte, so mußte vorher abgezaͤhlt werden, und wer 
die letzte Sylbe des Verses traf, der mußte Gendarn 
sein. Danu hörte man weithin das äiagenthümlich— 
Zählliedchen: 
Ane dane Dintenfaß, geh' in die Schul' und lerne was 
Lerne aut singen, lerne gut springen, lerne gut eu 
Stück Butterbrod schlingen. 
Die aber, welche aus der Schule waren, hatten dor 
ihren Tanzboden, den sie am Sonntag⸗Nachmittag 
versäumten. In bunter Reihe stellten fie sich im Krei 
herum, und wen die Endsylbe des Liedchens traf: 
One done dunke funke, 
Mene dene dippe dappe, 
Schebe Bene klippe klappe, 
Bele fele junke Unke, ßg 
der schritt im Kreise herum und sprach zu den Mädchen
	        
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