Full text: Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1874-1884)

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angebunden, daß er sich nicht los machen, auch nicht 
schreien, nur mit den Zähnen knirschen konnte. 
Nach einer Weile kam der Pfarrer wieder, hielt 
ihm eine verdiente Strafpredigt und fragte ihn, ob er 
gut thun wolle. Als der Kürassier ganz eingeschüchtert 
nickte, band ihn der Pfarrer los, führte ihn in die Stube 
an den Kaffeetisch und versorgte ihn auf's beste. Dabei 
erzählte er dem Kürassier dies und das und auch, weshalb 
der Grebe ihm falsch sei. 
Der Kürassier Bergmann war ein Erzgrobian, aber 
ein kreuzbraver rechtschaffener Kerl. Ihn wurmte es, 
daß er mit der Halfter an die Krippe gebunden worden 
war, und dem Greben, als dem eigentlichen Ursacher seiner 
Schande, schwur er Rache. 
Als die Schwadron andern Tages weiter rückte, gab 
er vor, noch etwas besorgen zu müssen und sprengte zurück 
auf den Hof des Greben, den er gerade traf, als er in 
den Pferdestall wollte. 
Was sie mit einander da verhandelt, hat der Grebe 
nie erzählt; der Pfarrer hat aber auch nicht mit dem 
Stöckelchen zu kommen brauchen. Bergmann hatte Alles 
richtig besorgt und die Frau Greben gedachte seiner dankbar. 
Räthsel. 
1. Es eilt und läuft, Niemand siehts laufen, 
Man kann's nicht halten, kann's nicht kaufen, 
Macht weder Schritt' noch Sprünge, 
Lehrt viel verborgene Dinge. 
2. Immer ist es nah, 
Niemals ist es da. 
Wenn du denkst, du seist daran, 
Nimmt es andern Namen an. 
3. Es ist die wunderschönste Brück'. 
Worüber noch kein Mensch gegangen; 
Doch ist daran ein seltsam Stück, 
Daß über ihr die Waßer hangen, 
Und unter ihr die Leute gehn 
Ganz trocken und sich froh ansehn, 
Die Schiffe segelnd durch sie ziehn, 
Die Vögel sie durchfliegen kühn; 
Doch stehet sie im Sturme fest, 
Keinen Zoll noch Weggeld zahlen läßt. 
4. Bin ich am Dache, so heiß ich ein Dieb 
Bin ich im Ofen, so hast du mich lieb. 
Zum Schlusse 
unseres vorjährigen Kalenders richtete ein ehrwürdiger 
Beteran eine ernsfte Mahnung an uns. Sie sprach aus, 
was bei den Gräuelthaten am 11. Mai und 2. Juni das 
Herz eines jeden patriotischen Deutschen erfüllte, den 
fiefssen Abschen gegen jene fluchwürdigen Attentate. Aber 
ie erhob auch die schwere Anklage, daß diese Verbrechen 
insere Gesammtschuld, daß darin Eiterbeulen aufgebrochen 
im Leibe des Volkes, die anzeigen, daß Blut und Saͤfte 
»esselben verderbt, daß diese Attentate die Frucht des 
ziftigen Samens, der längst mit vollen Händen in unver— 
vahrte Herzen gesäet worden. 
uͤnd das dürfen wir wol annehmen, daß unser Volk mn 
einer überwiegenden Mehrheit sich beugte unter diese Am— 
lage und sie zur Selbstanklage machte; denn sie begrüßte 
ie Auflösung des Reichstages, welcher das durch dat 
erste Attentat veranlaßte Ausnahmegesetz anzunehmen nich 
den Muth hatte, als eine Nothwendigkeit. 
Aber die volle Klarheit über das was geschehen müsse, 
aamentlich welche Männer am 30. Juli in den neuer 
Reichstag zu wählen seien, fehlte noch bei Vielen, so daß 
diese Wahlen zum großen Theile den gehegten Erwartungen 
nicht entsprechend ausfielen. Dennoch kam das fraglich 
Besetz zu Stande und trat am 21. October in Kraft. 
Wer sich aber der Hoffnung, daß nun keine Gefahr 
nehr vorhanden sei, hingeben, und darum in die alte 
Hleichgültigkeit und Sorglosigkeit zurücksinken wollte, der 
vürde sich bitter täuschen und vielleicht zu spät seine Thor⸗ 
seit bereuen. Nein, es gilt jetzt mehr denn je sich zu 
‚esinnen auf das was noth thut, auf die Rückkehr zu dei 
bäter heiligem Glauben, zu dem idealen Sinn —W 
Bolkes, zur deutschen Treue, zu ernster Arbeit und Ge— 
rügsamkeit; es gili den Materialismus, den Mammons 
ieuft, die Selbstsucht, den irdischen Sinn mit den Waffen 
des Lichts zu bekämpfen und nicht eher vom Kampfe zu 
assen, bis diese feindseligen Mächte in uns und um unt 
besiegt sind, bis „Güte und Treue einander begegnen, Ge 
rechtigkeit und Friede sich küssen,/ daß uns auch der Herr 
Butes thue, damit unser Land sein Gewächs gebe. 
Aber wir sind doch heute frei von einer großen Sorge 
welche um diese Zeit im vorigen Jahre die Herzen schwer 
drückte; das Leben des Kaisers ist gerettet, feine Wunden 
ind geheilt, und er erfreut sich einer für sein Alter wunder 
zaren Kraft und Frische. Wir haben uns davon selbst 
iberzeugt; denn bei dem großen Herbstmanöver hielt er 
Zoflager in Wilhelmshohe, und die Nachrichten aus Ems 
— das 
seltene Fest der goldenen Hochzeit gefeiert und sein Voll 
mit. Deß sind wir fröhlich. 
Aber noch einmal über der Freude und den Festen nich— 
»ergessen der ernsten strengen Arbeit im Berufe, an uns 
elbft und an den Brüdern. Gesetze mögen noch so 8* 
ein, sie allein können nicht helfen, wenn wir uns nich 
vollen helfen lassen. D'rum frisch an's Werk und wenns 
auer wird und Schweiß und Schmerzen kostet, — ie 
Hande und Herzen hinauf zu den Bergen, von welchen 
Zülfe kommt; die Rettung aus aller Noth und Gefahr 
st nicht nur möglich, sie ist gewiß. 
Gott befohlennn 
Auflösung der Räthsel ꝛc. im vorjährigen Kalender; 
vie Rullꝰ 2Grlaube. 3. Haustreuz“ 4. Welle, Elle. 
4.
	        
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