Full text: Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1874-1884)

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Inen 
mnd die Mägde in der Küche waren, fiel Marie Sophie 
er Mutter laut weinend um den Hals, indem sie schluch⸗ 
end ausrief: „Mutter, liebe Mutter, helft mir! Ach, Ihr 
abt's ja ausgesprochen, wie es ist: ich habe den Martin 
eb, und wenn ich einen Andern nehmen sollte, ich ginge 
eber in's Wasser, wo's am tiefsten ist! Ach, ich habe mich 
hon so gesorgt und geängstigt, wenn ich daran dachte, 
Nartin müsse Soldat werden und in den Krieg ziehen. 
ch hätte mein Leben keine Ruh und keine Rast gehabt. 
lber wie viel schrecklicher wäre es, wenn ich einen Mann 
reien müßte, den ich nicht leiden kann, und müßte dann 
en Martin täglich sehen! O Mutter, liebe Mutter, 
elft mir!“ 
Die Mutter weinte auch. Sie wußte aber keinen an—⸗ 
»ern Rath, als zu warten und Gott zu vertrauen. „Und 
ann,“ setzte sie hinzu, so schwer's ihr auch wurde, „be⸗ 
»enke das Gebot, welches die Verheißung hat: ehre Vater 
ind Mutter, auf daß dir's wohl gehe im Lande, das dir 
er Herr, dein Gott gibt.“ 
„Ach liebe Mutter, Ihr seid mein Zeuge, wie Gott mein 
Feuge ist, daß ich's gehalten habe mit Freuden; aber daß 
8wohl Niemand besfer gehalten hat und halten wird als 
Nartin, das wißt Ihr aͤuch. Aber sagt der Apostel nicht 
uch: „ihr Väter, reizet eure Kinder nicht zum Zorn?“ 
„O liebes Kind, rede nicht so! Das ist ein Wort, dessen 
inder sich niemals gegen ihre Eltern bedienen dürfen.“ 
„Aber wie, meine liebe Mutter, hat denn nicht der 
hater uns selber in dem Glauben bestärkt, daß ihm Mar—⸗ 
in lieber wäre, als die Andern, die da kamen? Die hat 
ralle bald abgefertigt; aber Martin durfte aus- und ein— 
ehen und mit mir sprechen, wie und wann er wollte.“ 
„»Nun, daraus ist noch nichts zu nehmen. Den Martin 
nag er wohl leiden als treuen Knecht und Schäfer, und 
aat sich an ihn gewöhnt; aber davon hat er nie etwas 
nerken lassen, daß er ihm lieb sei als Eidam.“ 
„Ach, wenn ich doch arm wäͤre, wie Bachpeters Trine! 
dann wäare ich doch nicht so unglücklich. Ach, mein 
rmes Herz! 
Weinend eilte sie in ihre Kammer, und am andern 
Norgen waren ihre Backen blaß wie die getünchte Wand, 
ind ihre Augen roth und trübe. 
gdie Mutter sah es und es ging ihr an's Herz; aber 
org wollte nichts bemerken. 
Ehe noch Martin auf den Hof kam, war Marie Sophie 
nit den Mägden in's Feld gegangen. Aber er erfuhr von 
en Knechten, wie viel Uhr es geschlagen hatte. 
c sollte es noch deutlicher erfahren; denn kaum hatte 
n Jörg auf dem Hofe gefehen, so rief er ihn herein. 
»Martin,“ redete er ihn an, „du kannst dich um einen 
dern Dienst umfehen; denn zu Martini ist dein Jahr 
ei mir aus!“ 
„Was habe ich denn gemacht, Vetterꝰ“ fragte Martin 
oller Beftürzung. 
—9 Schafer warest du mir gut, aber daß du um die 
carie Sophie herum scharmuzierest, das will ich nicht 
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haben. Und da ich nun bald einen Eidam kriege, so ist's 
am besten, du gehst!“ 
„Ach Vetter, das ist nicht wahr, was Ihr da sagt!“ 
„Das ist nicht wahr?⸗ rief Jörg im Zorne, „wenn du 
dich im Spiegel sähest, du würdest nicht so lügen können; 
denn du wirst ein über's andere Mal roth und blaß. 
Und die Marie Sophie hat's ja selbst gestanden .· 
„Was hat Marie Sophie gestanden?⸗ 
„Nun, daß sie dich gern hat und du sie, und daß Ihr 
so dumm seid, zu glauben, ich würde Ja dazu sagen!“ 
„Ja, das ist etwas Anderes. Gern und lieb habe ich 
Euer Marie Sophie, lieber als mein Leben; aber ich hab's 
ihr noch nicht gesagt. Ich habe Euch nun sechs Jahre treu 
zedient, und Ihr habt mir noch nie ein unvergoren Wort 
gegeben; Ihr habt mich noch nie auf einer Lüge oder Un—⸗ 
reue ertappt. Und so würdet Ihr mich auch gehabt haben 
als Eidam. Aber — — 
„Was aber?“ 
„Ich wollte sagen: was Euch aber ein Anderer sein 
wird, das weiß man nicht. Ach, Vetter, habt Barmherzig⸗ 
eit; macht uns nicht alle unglücklich! Da es nun einmal 
so weit ist, — so gebt mir Marie Sophie, und ich will 
Fuch alle drei auf den Händen tragen!“ 
„Dazu ist's zu spät!“ 
„Ach du lieber Gott, verkauft doch Euer Kind nicht!“ 
„Willst du wohl gleich zum Loche 'naus, du frecher 
Bursche! Du wagst zu sprechen von Verkaufen! Nimm 
dich in Acht!“ 
Martin war schon hinaus bei den letzten Worten. 
Seufzend that er seine Arbeit; sie war ihm aber noch 
nie so sauer geworden. 
Als er dann nach dem Pferche mußte, machte er einen 
Umweg nach dem Lande hin, wo er wußte, Marie 
Sophie arbeitete. 
Diese sah ihn von ferne, warf Alles von sich, eilte ihm 
entgegen und warf sich ihm in die Arme. Sie achtete nicht 
darauf, daß die Mägde sie sahen, daß die Nachbarn im 
Felde sie verhöhnen würden; sie fühlte nur Eins, die Liebe 
zu Martin und die Angst, ihn zu verlieren. 
Jetzt zum ersten Male sprachen sie von ihrer Liebe, 
Martin nur schüchtern, gleichsam abwehrend, Marie 
Sophie aber heftig und dringend. Er sollte ihr ein 
Mittel angeben, wie sie dem verhaßten Bewerber sich 
entziehen könne; er sollte helfen, retten. 
Martin suchte das Mädchen zu beruhigen, wiewohl sein 
Herz selbst der Beruhigung so sehr bedurfte; er erzählte, 
pas zwischen Jörg und ihm vorgefallen. Aber dadurch 
machte er's nur schlimmer. Er ermahnte zum Gebete; aber 
Marie Sophie wollte nichts davon wissen. Endlich sank 
das Mädchen erschöpft nieder. Martin rief die Mägde 
herbei, daß sie Marie Sophie heimbrächten; er selber ging 
zum Pferche. 
Marie Sophie war ohnmächtig geworden. Die Mägde 
krugen sie heim und legten sie in's Bett. Jörg war nach
	        
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