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zut, weil er allen gut war. Und eifersüchtig war nun
mal keiner der Bursche auf ihn; denn das Scharmuzieren
mit den Weibsleuten war seine Art nicht. Er war ein grund⸗
ehrlicher und getreuer, ein frommer Mensch. Er machte
es deshalb nicht so wie jetzt so viele und auch die Schäfer,
die begierig jede Gelegenheit aufsuchen, die Kirche zu
umgehen. In der Woche sah man ihn sicher früher als
die übrigen Schäfer nach dem Pferch eilen, sobald nur
der Thau es erlaubte; darum war er auch an den besten
Weidestellen immer zuerst; aber Sonntags ging er nicht
früher hinaus, bis die Kirche vorüber, und der Pfarrer
Jordan, der damals in Heckershausen stand, meinte, es
fehle ihm so die rechte Freude auf der Kanzel, wenn er den
Martin nicht an seiner Stelle sehe.
Wenn aber auch einmal einer der Bursche oder ein
Mädchen dem Martin meinte falsch sein zu müssen, länger
als bis zum Sonntag Nachmittag dauerte die Falschheit
nicht; denn nach der Nachmittagskirche waren alle bei
Martin eingeladen.
Aber wozu und wohin lud er denn ein? Martin war
jeden Sonntag Nachmittag an der Firnskuppe unter der
Eiche zu finden, unter welcher sein Vater vom Blitz war
getödtet worden. Da saß er auf einer Wurzel, mit dem
Rücken an die Eiche gelehnt, und überließ seinen Hunden
seine Heerde. Diese führten sie während des ganzen
Nachmittags um die Firnskuppe herum; denn damals
standen nur einzelne alte Eichen da, wie auf dem Lohr
noch jetzt.
Kaum aber saß Martin dort, oft schon früher, so kamen
die Burschen und Mädchen aus dem Dorfe, Lieder
singend, herangezogen und setzten sich, wie sie zusammen
paßten, in den Schatten der großen Eiche um Martin her,
und wenn einige Lieder gesungen, hieß es: „Martin, er⸗
zähle, erzähle!“
Jetzt zieh'n unsere Burschen auch wohl hinaus auf's
Lohr oder dort auf die Haide; aber die damals nach der
Firnskuppe zogen, das war ein anderes Völkchen. Sie
waren zuvor zweimal zur Kirche gewesen, nicht um ihre
Kleider zu zeigen oder zu schlafen, sondern sie waren mit
ganzem Herzen und mit ganzer Seele dabei und dienten
dem Herrn mit Freuden. Damit war denn auch der Nach—
mittag gesegnet. Nicht die Geige und der Baß war ihnen
nöthig zu ihrer Fröhlichkeit, noch auch der Branntwein, und
ein Wirth würde sich geschämt haben, nach Marketender⸗
art ihnen nachzuziehen.,
Martin erzählte, was er wußte und konnte. Wenn ein
Anderer etwas Liebliches gesehen oder gehört, so erzählte
der es auch. Mit der Erzählung wechselten schöne Lieder,
und der liebe Sonntag Nachmittag schwand hin viel zu
rasch, und die Sonne neigte sich, ehe man's meinte.
Klang aber die Abendglocke durch's Thal, dann ver—
stummte der Gesang, die Hände falteten sich, und herzlich
dankten die jungen Leute dem Herrn auf dem Himmels—
thron, daß er ihnen einen so schönen Tag gegeben.
Dann suchten sich zusammen, die auf dem Herwege sich
nicht gefunden und zogen singend, langsam und froh de
Heimath zu, in der Regel die Mädchen voraus, di
Burschen hinterdrein.
Martin hatte auch noch Wünsche auf dieser Erde. Di
kannte Niemand als er selbst, Marie Sophie und ihr
Mutter. Der alte Jörg ahnete so was; aber er wollte nicht
sehen; denn den Martin hatte er lieb, und was der wolli—
das wollte ihm Jörg nicht geben, das war seine Mari!
Sophie.
Aber wie schon gesagt, das Mädchen und seine Mutte am
varen ihm herzlich gut; nur getrauten sie sich nicht davon⸗
dem Jörgen etwas merken zu lassen.
Wie haͤtten sie auch den stillen, schönen Jungen nicht licb
haben sollen, der eine Zeit war wie die andere? Im Som⸗
ner half er, sobald er vom Pferche kam, in Hof und Hau
zetreulich und sorgte immer am meisten für das, was di
Frauen anging. Die brauchten nie beim Feueranmache
iber grünes oder zu grob gespaltenes Holz zu klagen
Martin hatte immer in der Kuͤche reichlichen Vorrath. M
Wasser ließ er's auch nicht fehlen und wo er ihnen etwat
an den Augen absehen konnte, da that er's. Im Garten.
auf den Jörg nichts hielt, da war erst recht sein Element,
und Marie Sophie hatte sicher Sonntags den schönsten
Strauß. Den hatte ihr Martin gebunden.
Und im Winter war er nun gar unentbehrlich; da gab?
zu haspeln für die vielen Spinnerinnen, die in Jörg's Hauß
die Räder dreheten, und vor allen Dingen Abends zu singeln
und zu erzählen, und darin war Martin der Meister.
Wer aber meinen wollte, der Martin habe mit Mari
Sophie unter Begünstigung der Mutter hinter des Vatert
Rücken eine Liebschaft unterhalten, der würde sehr irren
Was die beiden mit einander zu sprechen hatten, dat
sprachen sie; aber fern war ihnen, von Liebe zu schwatzer.
Ja, Martin wagte es niemals, Marie Sophie mit ihren
Freiern zu utzen. Und doch hatten sich die beiden ven
Herzen lieb; und doch wünschten die beiden sehnlich, ein
— —
den Vätern ererbte Sitte heilig. Nach ihr war es den
sindern nicht verstattet, ein Liebesverhältniß anzuknüpfen—
ohne der Eltern vorher erlangte Einwilligung.
Und die beiden, Martin und Marie Sophie, die so o
n Jörg's Hause, namentlich an den Winter-Sonntagen
venn Fremde da waren, von Krieg und Kriegsgeschre
yören mußten, hatten auch ihre Gevanken daruͤber, ihre
Hoffnungen und Aengste und tauschten sie aus, wenn sie
ja einmal allein waren. Marie Sophie dachte immer
daran, wie es dem Martin gehen würde, wenn die Fon
zosen wirklich kämen. Sie meinte: „der wird gewiß zuers
zezogen zum Soldaten und muß dann als Flügelmann zu⸗
erft in's Grab; denn auf den werden die Feinde wohl zu⸗
erst zielen.“ ch
Martin freute sich innerlich dieser Besorgniß. De
prach er gern dem Mädchen Muth ein. Ihn, einer Wimn
Sohn, habe ja der Landgraf auch nicht genommen. Un
wenn der Bonaparte auch grausam genug sei, der armie