Full text: Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1874-1884)

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zut, weil er allen gut war. Und eifersüchtig war nun 
mal keiner der Bursche auf ihn; denn das Scharmuzieren 
mit den Weibsleuten war seine Art nicht. Er war ein grund⸗ 
ehrlicher und getreuer, ein frommer Mensch. Er machte 
es deshalb nicht so wie jetzt so viele und auch die Schäfer, 
die begierig jede Gelegenheit aufsuchen, die Kirche zu 
umgehen. In der Woche sah man ihn sicher früher als 
die übrigen Schäfer nach dem Pferch eilen, sobald nur 
der Thau es erlaubte; darum war er auch an den besten 
Weidestellen immer zuerst; aber Sonntags ging er nicht 
früher hinaus, bis die Kirche vorüber, und der Pfarrer 
Jordan, der damals in Heckershausen stand, meinte, es 
fehle ihm so die rechte Freude auf der Kanzel, wenn er den 
Martin nicht an seiner Stelle sehe. 
Wenn aber auch einmal einer der Bursche oder ein 
Mädchen dem Martin meinte falsch sein zu müssen, länger 
als bis zum Sonntag Nachmittag dauerte die Falschheit 
nicht; denn nach der Nachmittagskirche waren alle bei 
Martin eingeladen. 
Aber wozu und wohin lud er denn ein? Martin war 
jeden Sonntag Nachmittag an der Firnskuppe unter der 
Eiche zu finden, unter welcher sein Vater vom Blitz war 
getödtet worden. Da saß er auf einer Wurzel, mit dem 
Rücken an die Eiche gelehnt, und überließ seinen Hunden 
seine Heerde. Diese führten sie während des ganzen 
Nachmittags um die Firnskuppe herum; denn damals 
standen nur einzelne alte Eichen da, wie auf dem Lohr 
noch jetzt. 
Kaum aber saß Martin dort, oft schon früher, so kamen 
die Burschen und Mädchen aus dem Dorfe, Lieder 
singend, herangezogen und setzten sich, wie sie zusammen 
paßten, in den Schatten der großen Eiche um Martin her, 
und wenn einige Lieder gesungen, hieß es: „Martin, er⸗ 
zähle, erzähle!“ 
Jetzt zieh'n unsere Burschen auch wohl hinaus auf's 
Lohr oder dort auf die Haide; aber die damals nach der 
Firnskuppe zogen, das war ein anderes Völkchen. Sie 
waren zuvor zweimal zur Kirche gewesen, nicht um ihre 
Kleider zu zeigen oder zu schlafen, sondern sie waren mit 
ganzem Herzen und mit ganzer Seele dabei und dienten 
dem Herrn mit Freuden. Damit war denn auch der Nach— 
mittag gesegnet. Nicht die Geige und der Baß war ihnen 
nöthig zu ihrer Fröhlichkeit, noch auch der Branntwein, und 
ein Wirth würde sich geschämt haben, nach Marketender⸗ 
art ihnen nachzuziehen., 
Martin erzählte, was er wußte und konnte. Wenn ein 
Anderer etwas Liebliches gesehen oder gehört, so erzählte 
der es auch. Mit der Erzählung wechselten schöne Lieder, 
und der liebe Sonntag Nachmittag schwand hin viel zu 
rasch, und die Sonne neigte sich, ehe man's meinte. 
Klang aber die Abendglocke durch's Thal, dann ver— 
stummte der Gesang, die Hände falteten sich, und herzlich 
dankten die jungen Leute dem Herrn auf dem Himmels— 
thron, daß er ihnen einen so schönen Tag gegeben. 
Dann suchten sich zusammen, die auf dem Herwege sich 
nicht gefunden und zogen singend, langsam und froh de 
Heimath zu, in der Regel die Mädchen voraus, di 
Burschen hinterdrein. 
Martin hatte auch noch Wünsche auf dieser Erde. Di 
kannte Niemand als er selbst, Marie Sophie und ihr 
Mutter. Der alte Jörg ahnete so was; aber er wollte nicht 
sehen; denn den Martin hatte er lieb, und was der wolli— 
das wollte ihm Jörg nicht geben, das war seine Mari! 
Sophie. 
Aber wie schon gesagt, das Mädchen und seine Mutte am 
varen ihm herzlich gut; nur getrauten sie sich nicht davon⸗ 
dem Jörgen etwas merken zu lassen. 
Wie haͤtten sie auch den stillen, schönen Jungen nicht licb 
haben sollen, der eine Zeit war wie die andere? Im Som⸗ 
ner half er, sobald er vom Pferche kam, in Hof und Hau 
zetreulich und sorgte immer am meisten für das, was di 
Frauen anging. Die brauchten nie beim Feueranmache 
iber grünes oder zu grob gespaltenes Holz zu klagen 
Martin hatte immer in der Kuͤche reichlichen Vorrath. M 
Wasser ließ er's auch nicht fehlen und wo er ihnen etwat 
an den Augen absehen konnte, da that er's. Im Garten. 
auf den Jörg nichts hielt, da war erst recht sein Element, 
und Marie Sophie hatte sicher Sonntags den schönsten 
Strauß. Den hatte ihr Martin gebunden. 
Und im Winter war er nun gar unentbehrlich; da gab? 
zu haspeln für die vielen Spinnerinnen, die in Jörg's Hauß 
die Räder dreheten, und vor allen Dingen Abends zu singeln 
und zu erzählen, und darin war Martin der Meister. 
Wer aber meinen wollte, der Martin habe mit Mari 
Sophie unter Begünstigung der Mutter hinter des Vatert 
Rücken eine Liebschaft unterhalten, der würde sehr irren 
Was die beiden mit einander zu sprechen hatten, dat 
sprachen sie; aber fern war ihnen, von Liebe zu schwatzer. 
Ja, Martin wagte es niemals, Marie Sophie mit ihren 
Freiern zu utzen. Und doch hatten sich die beiden ven 
Herzen lieb; und doch wünschten die beiden sehnlich, ein 
— — 
den Vätern ererbte Sitte heilig. Nach ihr war es den 
sindern nicht verstattet, ein Liebesverhältniß anzuknüpfen— 
ohne der Eltern vorher erlangte Einwilligung. 
Und die beiden, Martin und Marie Sophie, die so o 
n Jörg's Hause, namentlich an den Winter-Sonntagen 
venn Fremde da waren, von Krieg und Kriegsgeschre 
yören mußten, hatten auch ihre Gevanken daruͤber, ihre 
Hoffnungen und Aengste und tauschten sie aus, wenn sie 
ja einmal allein waren. Marie Sophie dachte immer 
daran, wie es dem Martin gehen würde, wenn die Fon 
zosen wirklich kämen. Sie meinte: „der wird gewiß zuers 
zezogen zum Soldaten und muß dann als Flügelmann zu⸗ 
erft in's Grab; denn auf den werden die Feinde wohl zu⸗ 
erst zielen.“ ch 
Martin freute sich innerlich dieser Besorgniß. De 
prach er gern dem Mädchen Muth ein. Ihn, einer Wimn 
Sohn, habe ja der Landgraf auch nicht genommen. Un 
wenn der Bonaparte auch grausam genug sei, der armie
	        
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