Unterhaltendes und Belehrendes.
Der Sprung in die Firnskuppe.
Es mögen etwa 70 und mehr Jahre her sein, da wohnte
in Heckershausen ein dicker Bauer, der gern, wenn's kühl
war, auf seinem dicken Bauche mit den Fingern trommelte
und sich ordentlich was darauf zu Gute that, wenn Fremde
berdutzt wurden bei seinem Anblick. Wenn's freilich
heiß war und die Sonne auf sein Bäuchlein schien, dann
war's ihm weniger lieb; dann drückte er sich gern in ein
kühles Eckchen. Aber wenn's bitter kalt war, dann war seine
befte Zeit. Dann sah man ihn wohl in Hemdsärmeln
Stunden lang auf dem Hofe und in den Ställen herum⸗
gehen und lachen, daß sein Bäuchlein sich schütterte, wenn
er sah, wie die Weibsleute die Hände unter die Schürzen
steckten und die Knechte in die hohle Hand hauchten. Am
Schlachtetage war neben der Wurstsuppe und dem Schlach⸗
tekohl das sein besonderes Plaisir, sich auf der großen Wage
zu wiegen, wenn die Schweine gewogen waren. Zu seiner
Beruhigung setzte er jährlich einige Prund zu und fröhlich
lobte er dann jedesmal seine Frau für die gute Pflege, die
er von ihr gehabt.
Daraus kann man schon schließen, daß Jörg, so hieß der
Bauer, seinen Sinn so einigermaßen auf's Irdische gerichtet
hatte. Er war ein dicker, stolzer Bauer, der alle Andere
neben sich, wenn auch nicht verachtete, doch geringer schätzte
als sich selbst. Wäre er allein auf dem Hofe gewesen,
er würde wohl nur am Schlachtetage viel Gäste gesehen
haben, solche nämlich, die den Löffel mitbringen, im Stehen
essen, ungeladen kommen, heute in dies Haus, morgen in
jenes, wo's am Morgen gequieckt hat.
Aber so war's auf Jörg's Hofe nicht; es war im Winter
fast jeden Sonntag Nachmittag voll bei ihm; denn er hatte
eine gar gute Frau, die gern sah, wenn auf den Bänken
rings an der Wand her Nachbarn und Nachbars Kinder
saßen, die Jörg's Grobheiten vertuschte und den Aufent⸗
halt in ihrer Nähe möglichst angenehm machte. Aber der
eigentliche Lockvogel war Jörg's Marie Sophie. Ein
schöneres Mädchen soll weit und breit nicht gewesen sein.
Daher kam's, daß nicht blos junge Bursche von Heckers⸗
hausen, von Weimar und Obervellimar regelmäßige Gäste
in Jörg's Hause waren, sondern auch junge Herrn von
Cassel kamen und schnüffelten, ob der Braten nicht etwa
für sie sei; das war er nun nicht; so erfuhren sie immer gar
hald; darum zogen sie sich auch bald wieder zurück.
Aber auch der Schwarm der Bauernbursche wurde dün⸗
ner. Die getraueten sich freilich nie so gerade herauszu—
gehen. Hinten herum das schien sicherer. Aber wenn dann
eine Goihel oder eine Base einmal abgeschickt wurde, hin—
zuhorchen, wie der alte Jörg auf Christoph oder Heinrich
zu sprechen sei, so gab's immer so ziemlich denselben Be—
icheid. Schmunzelnud hörte er. wie der Freier angepriesen
ward; er ließ das Alles gelten, am Ende aber hieß es
„Base, oder Gothel, es muß sich doch Alles so ein Bischer
haffen! Aber dies Ding da, wobon ihr sprecht, paßt nicht.
Seht, mein Marie Soͤphie kriegt mein Werk schuldenfre
und braucht Niemand etwas herauszugeben, hat keinen
Bruder und keine Schwester, aber vier Hufen und sech
Gaule, wie sie der Laudgraf nicht besser hat. Da will it
nun, daß mein Schwiegersohn dazu auch ordentlich paßt!—
Der armen Anue Giedert, der Frau Jörg's, ward alle
mal bänglich, wenn der Jörg anhub: „es muß sich doch Allet
so ein Bischen passen.“ Dann drückte sie sich ab, macht⸗
ich in der Küche zu thun und suchte nur durch einen freund
lichen Abschied an der Hausthür die Freundschaft der Wen
gehenden sich zu erhalten.
Daß der Freier weniger wurden, das betrübte die gut
Frau freilich nicht, noch weniger Marie Sophie; denr
keiner der Bursche hatte ihre Gunst und Liebe sich zu er
werben gesucht. Alle blickten nur auf den alten Jörg; den
aufrichtig geftanden, die Burschen waren damals mei
nicht viel besser als jetzt. Die hübsche Marie Sophi
leuchtete ihnen wohl in die Augen, viel mehr aber noch
die vier Hufen und die sechs Pferde Jörg's.
Einen Burschen aber kannten Anne Giedert und Mari
Sophie, der war anders. Das war der Schäfer Martin
der in dem kleinen Häuschen neben der Kirche, Jörge
gegenüber, wohnte.
Martin war der Nachtmahlskamerad ihres einzigen Bru
ders gewesen, der in seinem sechzehnten Jahre an einer s chle
henden Kraukheit gestorben war. Während dieser Krankhen
hatte ihn Martin fast allein gepflegt; ja der Kranke hatt
zicht gelitten, daß er eine Stunde von seinem Siechbett
wich. Sein Bette hatte er sich vor des kranken Konra
Beite immer auf die Erde machen müssen, damit er aud
in der Nacht um ihn fei und in den laugen schlaflosen
Nächten ihm die Zeit verkürze durch Erzählungen, woven
Martin einen reichen Schatz von seiner Großmutter ge
rbt hatte. Als Konrad starb, wußte Martin auf so tre
herzige Weise Vater, Mutter und Schwester zu trösten
vie sonst Niemand, und es war fast, als nehme Marti
Lonrad's Stelle in Herzen und im Hause Jörg's ein
Sein Vater war Jörg's Schäfer und Maͤrtin hatte in
Winter die Schafe füttern und tränken helfen, im Somme
ber oft den Vater beim Pferch abgelöst. Jetzt aber wurt
Jörg's Haus seine andere Heimath, und der Platz am Vist
wo früher Konrad gesessen, wurde ihm ein für alleme
angewiesen; Konrad's Geschäfte hatte er schon wahren
dessen Krankheit zum Theil besorgt und jetzt gehörten
ihm, wie von Rechtswegen, zu. —
Martins Eltern sahen das und wenn sie's auch uig
zerade gern sahen, so mußten sie doch so thun; denn
hingen ganz von Jörg's ab. Wenn Martin einmal wied
inem Vater half.vann freute sich dieser und sagn