19
denkt;: „Du willst doch in deinem Alter nicht noch
den Schnupfen kriegen,“ und schließt die Thüren,
klopft seine Pfeife aus und legt sich in's Bett.
Er mochte wohl so im ersten Schlummer liegen
und träumen von den Chinesen und ihren geschlitzlen
Augen und langen Zöpfen. Da hört er am Fenster
so etwas bohren, als ob Einer statt durch die Haus—
thür durch's Fenster kommen wollte. Er steht auf
und kann auch deutlich merken, daß Einer am Fenster
ist, der ihm nächtlings ohne Visitenkarte einen Besuch
machen will, notabene, weniger dem alten Seemann
als seinen goldnen Vögeln. — Da fällt's dem alten
Herrn siedend heiß ein, daß er leider seine Säbel,
Flinten und Pistolen in seiner Waffensammlung hat,
die weit drüben im andern Flügel des Hauses war,
und er nichts hatte, womit er sich wehren konnte
Der Dieb war schon nachgerade mit dem Los—
schrauben fertig und drückte die Scheibe ein; da war
aber der alte Seemann schon auf der Stelle. Hatte
derselbe nämlich auf seinem Nachttisch eine Flasche
mit Selterswasser stehen, fest zugepfropft und oben
mit Draht zu. Schnell hat er den Draht herunter
genommen, hält den Daumen auf den Pfropfen und
stellt sih an den Vorhang. Der Dieb setzt eben
seinen Kopf durch die Scheiben und denkt: „wo der
Kopf durchgeht, geht das Andere auch alles nach;“
da drückt der alte Herr an dem Pfropf der
Flasche (die er noch geschüttelt hatte); das knallt wie
ein Pistol, und der Pfropf mitsammt dem Selters⸗
wasser fährt dem Langfingrigen auf die Stirne und
in's Gesicht. Der glaubt nicht anders, als daß er
zum Tode getroffen, und das Blut ihm bereits über's
Gesicht laufe, und stürzt im Schrecken rücklings zum
Fenster hinaus in den Hof hinunter, der ein paar
Fuß tief unten lag. Der alte Herr wußte aus seiner
Seepraxis, daß man einem geschlagenen Feinde keine
Ruhe lassen darf, steigt dem Feinde nach, der am
Boden liegt, und bindet ihm den Hals mit seinem
Schnupftuch so fest zu, als ob's ein Halseisen wäre.
Dann bindet er seinen alten Tiras los von der Kette,
nimmt den Malefikanten und bringt ihn in heller
Mitternacht hinein nach Haarlem vor die Polizei.
Darob bekam er vom König von Holland ein Extra—
dankschreiben, daß er einen so gefährlichen Spitzbuben
eigenhändig gefangen.
Das Selterswasser ist ein gut Wässerlein, nicht
blos gegen den Durst und etliche andere Bresthaftig⸗
keiten, sondern auch um Diebe zu fangen. Notabene,
es muß es Einer aber verstehen, und das Selters—
wasser muß prima Qualität sein.
2. War zu B. ein neuer Bürgermeister gewählt
worden, im Jahre 18.. Das Wählen war nicht
gerade das Angenehmste bei der Sache; denn Wahl
macht Qual, und manchmal setzt es noch tödtlicht
Feindschaft ab, wenn der Gevatter nicht gewähl
worden ist, und zudem liegt Wählen und Wühlen
nahe bei einander und sind schier Geschwister-Kind.
Aber damals war's in dem Städtchen noch nicht so
Mode; man wählte ohne Ansehen der Person den
bravsten Mann in der Gemeinde. Das Beste kam
aber zuletzt, und auf das freuten sich die Raths
verwandten am meisten, nämlich auf das Essen beim
Löwenwirth, und auch auf seinen Wein, den er
extra vom Rhein geholt hatte. Der neue Bürger
meister wurde mit Reden begrüßt, und der Hen
Rathsschreiber oder Adjunkt hatte sich eine seint
Rede einstudirt und sie sich von seiner Frau über⸗
yören lassen, ob er sie auch richtig könne, und wan
vährend des Essens noch einmal mit seinem Papier
abseits gegangen an einen stillen Ort, um sich selbsl
noch einmal zu überhören. Als er wieder zurückkam,
schoß er los, und Alle meinten, so gut habe er ed
noch nicht gemacht. — Darob stieg ihm aber der
Hochmuth in den Kopf, und der Wein des Löwen—
wirths, den er im Magen hatte, sagte zu dem Hoch
muth: „Halt Bruder! nimm mich auch mit, wir
wollen miteinander gehen; denn zu Zweil geht sich's
besser.“ Also wandelten die Zwei miteinander hin—
auf in's Oberstüblein und guckten durch die gläsernen
Augenscheiben heraus. Als es gegen Abend wurde,
hob der Bürgermeister die Tafel auf, um so mehr,
als sein Adjunkt von einer Rede in die andere fiel,
denn, dachte er: „hast du's einmal mit Glück pro⸗
birt, wird dir's noch einmal gelingen.“ Aber seine
Frau hatte ihn nicht überhört, und so kam's, daß er
manchmal in seiner Rede die Hausthür nicht mehr
fand, wo's hinaus ging. Darum dachte der Bürger⸗
meister: „es ist am besten, man hört auf, wenn man
nichts mehr zu sagen hat.“ So trennte man sich,
aber die Rathsverwandten wollten nur nach Haust
zehen und den engen Rock ablegen und ihre großen
Pfeifen holen und sich dann noch Abends im weißen
—D
verwandten recht, war's dem Adjunkten doppelt recht.
denn er trug ein enges Fräcklein, das ihm der
Schneider schon gleich in feiner Jugend verpfusch!
hatte und das ihn nach allen Seiten hin beengte.
Also ging er nach Hause, sein Fräcklein abzulegen
und seine Pfeife zu holen. Daheim empfing ihn die
Frau Adjunktin, die bald die beiden Gesellen im
Oberstüblein ihres Herrn sitzen sah; aber sie empfing
ihn nicht mit Hharter diede sondern lobte ihn, daß
er so früh schon, wie's einer Amtsperson gebühre,
nach Hause komme, und kein bös Exempel den Leuten
gäbe. Sie half ihm mit freundlichen Worten aud
dem engen Frackgefängniß heraus. Als er ihr aber