Full text: Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1874-1884)

Unterhaltendes und Belehrendes. 
In der Grundmühle. 
(Eine Geschichte aus Niederhessen.) 
Unser liebes Hessenland ist schön überall und immer. 
Es gibt für mich in der ganzen weiten Welt kein 
schöneres Plätzchen Erde, als dieß mein liebes Hessen— 
land mit seinen kräftigen Wäldern, seinen saftigen 
Wiesen, seinen Höhen und Gründen, mit seinen 
Flüssen und Bächen und mit den alten tapfern 
Hessenherzen und treuen Hessenseelen. Das kann 
ich nicht leugnen, die mächtigen Wälder und die 
Gründe an ihren Füßen hatten mir schon in der Kind— 
heit das Herz gestohlen und halten es heute noch 
fest. Wenn aber irgend wo, wo Wald und Wiese, 
wo Berg und Thal an einander stoßen, so an einer 
Ecke ein hohes Mühlrad sich dreht, und ein Gickelhahn 
auf der Miste schreit, da zieht's mich hinein; da muß 
ich horchen auf das Klipp Klapp und auf das Rauschen 
des Baches und das Seufzen des alten müden 
Rades; da muß ich sitzen, auch wenn ich keine Zeit 
habe; da muß ich mit den Müllersleuten einen recht⸗ 
schaffenen Schwatz halten, auch wenn's ihnen pressirt; 
da rieche ich den Geruch des Mehles und trinke 
seelenvergnügt ein Schälchen Kaffee, wenn mir's an— 
geboten wird. — — O, du liebe Grundmühle! 
Ja, in der Grundmühle, da habe ich oft gesessen 
und vom alten Umbach Geschichten gehört, die sicher 
Manchen erfreuen würden, wenn sie nur geschrieben 
und gedruckt wären. 
Dießmal eine Geschichte vom alten Umbach selbst, 
die er mir nicht erzählte, von der es ihm auch nicht 
lieb war, daß ich sie wußte. 
Der alte Umbach stammte nicht aus der Grund⸗ 
mühle. Sein Vater hatte jenseits des Berges ein 
kleines Mühlchen, in welchem während des einen 
halben Jahres das Wasser, während des andern die 
Mahlgäste dünn waren. Die ältern Brüder waren 
deshalb schon längst aus dem Vaterhause fort in die 
Welt gegangen; er, der jüngste von sieben, sollte 
nicht fort, so gern er auch gegangen wäre. 
Bald jedoch sollte seine Sehnsucht befriedigt werden. 
Der Müller Krug in der Grundmühle war krank 
geworden und hatte über den Berg herüber geschickt: 
der Valentin sollte doch auf ein vierzehn Tage 
kommen und ihn, derweil er krank sei, vertreten in 
seiner Mühle. Natürlich war Valentin sofort parat; 
denn Grundmüllers und seine Eltern waren Ge— 
vattersleute. Und hatte es auch so eilig, daß er 
gar nicht mehr in's treue Mutterauge sah und weg— 
rannte, ohne dem Vater die Hand zu drücken. 
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Der Bote und die beiden alten Leute sahen ver— 
wundert dem Valentin nach; der Vater schüttelte 
den Kopf; die Mutter wischte mit dem Schürzen 
zipfel an den Augen; der Bote aber sprach: na, dem 
pressirts! Das ist ja gerade, als wenn die beiden 
ungen Leute schon Braut und Bräutigam wären! 
Ei behüte, sprach die Mutter, unser Valentin und 
Grundmüllers Marie haben sich ihr Lebtage nod 
nicht gesehen. 
Habt Ihr unsere Marie auch noch nicht gesehn, 
Wase? fragte Schnellenpfeil, der Bote. 
Ist's denn wirklich ein solches Staatsmädchen, wi 
seine Eltern meinen? 
Ja, Wase, unsere Marie, das ist ein Mädchen, 
vie's nicht viele gibt; ja, jedes Loth an der Marie 
ist einen Ducaten werth! Aus den Augen guckt's — 
ach Herr du meines Lebens, rief Schnellenpfeil, alb 
er die Müllerin ansah, na, Wase, so was ist noch 
nicht dagewesen; unsere Marie guckt aus den Augen 
zerade wie Ihr, nur natürlicherweise, wie Eins guckt, 
wenn's 40 Jahre jünger ist, aber sonst doch accurat 
vie Ihr; und Ihr habt auch die Haare so gehabt. 
so eigen, wie wenn Gold druuter glitzerte, oder Asche 
d'rauf gestreut wäre, und Zähne und Backen — 7 
Alter Schnellenpfeil, rief der Müller Umbach, 
macht Euch nicht lächerlich; Ihr hasselirt ja, als 
wenn ihr ein junger verliebter Bursche wäret! 
Jung bin ich freilich nicht mehr, aber verliebt in 
unsere Marie — ja, aber gerade so wie alle, die 
sie kennen; denn sie ist nicht nur das schönste, son⸗ 
dern auch das beste Mädchen weit und breit, so 
ꝛeinfam und still, so gehorsam ihren Eltern, se 
freundlich gegen Alle, so weichmüthig gegen die 
Armen uͤnd in allen Theilen so stricto und in det 
Arbeit, nal Ja, wenn das Mädchen nicht ein liebes 
Bottes⸗Kind wäre, man sollte meinen, es hätte den 
Teufel! 
Na, nun ist's aber genug! Den Teufel laßt uns 
weg, Schnellenpfeil! rief Umbach unwillig, und mag 
das Mädchen immer gut und tüchtig sein, da drüben 
habt ihr nur das eine und könnt mit andern keinen 
Vergleich anstellen. 
Mittlerweile hatte Frau Umbach ein Päckchen mit 
dleidern für Valentin, und in ein Papier sorgfältig ein⸗ 
geschlagen, das Neue Testament Valentins, sein Gesang 
zuch und sein Habermaͤnnchen, herbeigebracht. Dazn 
prach sie: nun grüßet mir Eure Leute und auch sn 
Marie schoͤn und dem Valentin gebt das alles. Hau 
zuch ein bischen acht auf den Wildfang; es ist bn 
ste Mal, daß er in die Welt guckt unß sagt ihm, e
	        
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