Full text: Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1874-1884)

Unterhaltendes und Belehrendes. 
Wie man ohne Kosten zu einem Hause 
kommen kann. 
Der schönste Hof in der schönen Waldau ist der des alten 
Homburg droben am Pferdeteiche. Daran ist zu lesen: 
Andreas Homburg und dessen Ebefrau Eüuisabeth geb. 
Müller haben Goit vertraut und dieses Haus gebaut.“ 
Ja, auf Gott bat das liebe alte Paar vertraut, und darum 
Jehört der schöne Hof mit dem ansehnlichen Gute noch 
schuldenfrei der Familie Homburg, und der Urenkel des Er— 
»auers reitet darauf herum, wenn auch einstweilen nur noch 
auf einem Stocke. 
Neben jenes freudige Bekenntnis von seinem Gottver—⸗ 
rauen hatte aber der alte Homburg auch einen herzlichen 
Stoßseufzer setzen laßen: „das Bauen ist meine Lust; daß 
z8 aber viel Geld kostet, hatte ich nicht gewußt.“ 
An den Häusern, welche seit einigen Jahren bier in 
Tassel, dicht wie Disteln auf dem Brachfelde, aufschossen, steht 
zin Wort von Gottvertrauen nirgends zu lesen. Das ist gut; 
denn es wäre ja doch nur eine Lüge gewesen. Sehr viele 
Erbauer dieser Häuser vertrauten beim Bauen auf Narren, 
welche bald herbei kommen und die Häuser übertheuer be⸗ 
zahlen sollten. Wie aber die Milliarden sich verltefen, so 
derllefen sich auch die Speculanten, und viele, welche noch 
nicht haben laufen können, liefen lieber heute wie morgen. 
Und doch kann ich nicht leugnen, ich hätte auch gern ein 
eignes Haus. 
Denn es ist doch gar so uneben nicht, wenn man wie 
der alte Homburg seinen Kindern, Enkeln und Urenkeln so 
ein schönes, festes Plätzchen hinterlassen kann. Nur sollte zu 
deter Mahnung an meinem Hause der Spruch nicht fehlen: 
Wir bauen Häuser schön und feste 
And sind doch hier nur fremde Gäste. 
Wo wir sollen ewig sein, 
Da bauen wir nur wenig ein. 
Aber wie zu einem Hause kommen, wenn man nicht mit 
Tausenden um sich werfen kann? 
Auf diefe Frage, die mich oft quälte, erhielt ich uner— 
wartet die Antwort. Und da ich mir denke, daß ich viele 
Kameraden habe, die auch gern ein Haus hätten, wenn's 
nur nicht so viel, oder gar nichts kostete, so will ich die 
Antwort in den Kalender setzen laßen. Ich mustater etwas 
amständlich erzählen, auf welche Weise ich die Antwort auf 
neine Frage, wie man ohne Kosten zu einem Hause kommen 
kann, erhielt. 
Es war im vorigen Jahre an einem schönen Sommer⸗ 
rage. Ich hatte mich mit mehreren Bekannten zu einem 
Hange auf die elf Buchen verabredet. Wir wollten uns 
bei Schulz in der obersten Gasse versammeln. Da ich nicht 
zern Jemanden auf mich warten laße (ich halte das für 
ine große Tugend), so ging mir's heute wie oft; ich war 
der Erste am Stelldichein, nämlich bei Schulz in der obersten 
Gasse. Zu einem Schoppen war mir's noch zu früh; ich 
stellte mich deswegen an's Fenster, stocherte in den Zähnen, 
obgleich ich kein Fleisch, sondern Pastorenbraten, nämlich 
Pfannluchen gegessen hatte, ärgerte mich über meine Bekannten, 
die auf sich warten ließen, guckte lints in der Gasse hinaus 
nach der großen Kirche, dann auf meine Uhr, ärgerte mich 
iber mich, daß ich zu früh von Hause weggegangen war, 
zuckte wieder rechts in der Gasse hinaus, zählte die Fenster 
in den Häusern, musterte Jeden, der vorüberging, und wat 
nan so alles treibt, wenn man Langeweile hat und sich ärgerh 
Da klingelte es drüben bei Scholl's, und aus dem Lader 
rat ein Mann, den ich gleich für einen Pfarrer hielt. E 
zing nach der großen Kirche hin. Aber kaum war er einigt 
Schritte gegangen, da, gerade mir gegenüber, stürmte ein 
inderer Mann, ein Handwerker, wie leicht zu erkennen, auf 
hn ein, faßte ihn bei der Hand und wollte den Pfarre 
smarmen und küssen. Der stängelte sich, und man sah ihm 
in, daß ihm diese Begegnung unangenehm war, und daß 
er ben Andern nicht kannte. Dieser aber schrie laut: „ag 
nein lieber Herr Pfarrer, wie freue ich mich, daß ich Sit 
inmal wieder sehe; ach, das ist ja doch gar zu schön; wit 
ange habe ich doch auf das Glück gehofft, meinem größten 
Wohlthäter nach so langen Jahren einmal wieder die Hand 
drücken zu können! Ach, wie freue ich mich!“ 
Der Pfarrer war, wie man ihm ansah, in großer Ver⸗ 
legenheit. Er blickte den Mann, der vor ihm stand und 
mmer fort hasselierte, an, als wenn er ihn fragen wollte: 
„sind Sie denn auch recht bei Troste?“ DTann schaute er um 
ich her, ob ihm denn Niemand Hülfe bringen könne gegen 
den Zubringlichen, und endlich erhob er auch seine Augen 
u dem Fenster, an welchem ich stand und meinen Spaß an 
Zer Begebenheit deutlich in meinem Gesichte erkennen ließ 
Zerr Gott, Hermann! fo entfuhr es meinen Lippen; gbiß 
Zu es denn?« Wieder kam der Pfarrer in fichtliche Ver—⸗ 
egenheit; ich aber eilte hinaus und umarmte den Jugend⸗ 
reund und Schulkameraden, mit welchem ich Jahre lang 
nuf einer Schulbant gesessen, den ich aber seit Jahren nicht 
jesehen hatte Dann wandte ich mich drohend an den jetzt 
zuch verblüfft dastehenden Fremden und schnauzte ihn an: 
Mann, was wollen Sie denn? Scheren Sie sich Ihrer 
Wege; Sie sehen, daß Sie der Herr Pfarrer nicht kennt!“ 
J Ja, ich kenne ihn aber, und ich will nichts von ihm, 
ich will ihm nur danken dafür, daß er mir mein Haus 
Jebaut hai. Er wird mich wohl auch kennen, wenn ich ihm 
age, daß ich der Schuhmacher J. aus W., bin, wo der 
derr Pfarrer vor 20 Jahren gestanden hat.“ 
Und damit wolte er meinem Freunde wieder die Hand 
chüttein. Der batte die Hand über die Augen gelegt und 
ann nach. Bald aber ergriff er die dargebotene Hand und 
prach berzlich: „ja jetzt erkenne ich Sie wieder. Aber Sie 
nüssen mich entschuldigen — auf ein halb Stündchen nur — 
ch muß nothwendig zum Herrn Generalsuperintendenten; au⸗ 
3 Uhr bin ich bestellt, und Sie haben gehört, daß die Glockt 
eben geschlagen hat.“ 
„uͤnd auch mit Dir, lieber Fritz, wandte er sich zu min 
möchie ich gern einmal nach langer Zeit wieder etwa 
laudern. Ich fah, wie Du aus Schutz kamst. Hast, Du 
Zeit, fo geh' mit Meister J. hier hinten in das Stübchen, 
Du kennst's ja wohl noch, Fetzte er schmunzelnd hinzu, „und 
vartet auf mich; in höchstens einer balben Stunde bin ic 
wvieder da. Auf Wiedersehn.“ 
Somit drehte er sich um und eilte der großen Kirche zu 
„Na, Meister J., wenn Sie mir nicht uͤbel nehmen, deh 
ch Sie vorhin so anranzte, so kommen Sie mit. Ich bit 
reugierig, über meinen Freund, den ich, wie Sie bören, auch 
ange nicht gesehen und gesprochen habe, etwas zu hören, und 
es sheint, als könnten Sie mir eine schöne Geschichte erzählen 
Der Schuhmacher fah noch, wie mir schlen, mit feuchter 
Augen dem Freunde nach; dann wandte er sich zu mir mit 
en Worlen: Ich babe auch eigentlich keine Zeitz aber wenn
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.