Full text: Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1874-1884)

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Nacht brach im Hause seines Nachbars Feuer aus; 
dessen Wohnhaus und Scheune nebst dem am Sonn— 
tage heimgebrachten Heu und auch Rahlenbecks Scheune 
wurden von den Flammen verzehrt, und nur den 
eifrigsten Bemühungen der Ortseinwohner war es 
nächst Gott zu danken, daß sein Wohnhaus, in dem 
Vater und Großvater gewohnt hatten, in dem er 
als Kind gelebt und gespielt hatte, an dessen Räume 
sich so schöne Erinnerungen seines Lebens knüpften, 
der furchtbaren Gewalt des entfesselten Elements 
entrissen wurde. Wie dankbar war er dafür! Wie 
versüßte das dankbare Gefühl ihm und den Seinigen 
alle Angst der überstandenen schrecklichen Nacht! Den 
Werth der niedergebrannten Scheune bekam er durch 
die Versicherungs-Gesellschaft größtentheils ersetzt. 
Jetzt war es ein Gluͤck, daß das Heu nicht Tags 
zuvor hatte eingefahren werden können; denn es 
wäre ja mit verbrannt und verloren gewesen, wie 
bas des Nachbars. 
Am Werktag schaffe alle Ding', 
Am Sonntag höre, bet' und fing! 
II. 
„Unter den Männern, die trotz ihrer kleinen Kraft 
Broßes im Reiche Gottes gewirkt haben, verdient 
ein eben so demüthiger wie hochbegabter Mann, der 
bis zum Jahre 1861 in Schleswig-Holstein thätig 
war, in dankbarem Andenken behalten zu werden. 
Er war seines Handwerks ein Schuster und hieß 
Sommer. Der bekannte edle Goßner begann ein— 
mal einen seiner Briefe an ihn also: „O, lieber 
Bruder Sommer, der auch im Winter Sommer 
heißt; so soll der Christ sein und heißen, immer 
berselbe im Winter und Sommer, in Glück und Un— 
glück, im Hellen und Trüben, in Freud' und Leid, 
im Leben, Leiden und Sterben, immer ein seliges 
Kind Gottes, voll Friede und Freude in Christo 
Jesu; denn im Christen muß Christus wohnen, und 
der ist immer derselbe, heute und gestern und in 
Ewigkeit.“ 
Sommer, der natürlich nicht studirt hatte, hat 
doch studirt, und zwar mit solchem Eifer, daß er 
wohin wohl wenige seines Gleichen es gebracht 
saben) spat noch so viel Griechisch lernte, um das 
neue Testament im Grundtert lesen zu können. Als 
Reiseprediger des holsteinischen Vereins für innere 
Mission bewies er sich als ein Redner von Gottes 
Gnaden, dem Tausende, und unter ihnen auch viele 
Geistliche, mit Andacht lauschten; und auf die einzelnen 
Gemüther wirkte er im Privatgespräch so maächtig, 
daß z. B. ein Wirth, bei dem er geherbergt hat, von 
ihm sagte: „Der kann nicht bloß Schuhe flicken, sondern 
auch die Herzen, mein Herz hat er auch geflickt.⸗ 
Selbst solche, die dem lebendigen Christenthum ganz 
ferne standen, mußten ihn hochachten und sagten, sie 
hätten nichts gegen die „Heiligkeit«, wenn die „Heiligen“ 
oder, Frommen“ alle so wäͤren. — Aus dem Leben 
dieses Mannes möge der liebe Leser nun Folgendes 
beherzigen. 
Als im Jahre 1835 in der Stadt Husum, wo 
er seine Wohnung hatte, der Jahrmarkt beginnen sollte, 
kam Abends vorher sein Freund, der Pantoffelmacher 
A. aus einem benachbarten Dorfe, zu Sommer, um 
mit ihm Einiges zu besprechen. „Mein lieber Freund,“ 
prach er zu S., „du mußt mir heut' mit einem 
juten Rathe dienen. Ich bin meinem Gerber, der mich 
tets gut bedient, eine schöͤne Summe schuldig, und 
zie muß nothwendig jetzt, über den Markt bezahlt 
sein. Das Geld aber rechtzeitig aufzubringen, war 
nir nicht möglich, und ist nicht möglich, ohne meinen 
hedeutenden Vorrath von Pantoffeln verkauft zu haben. 
Nun ist ja morgen am Sonntag bekanntlich der beste 
Tag im ganzen Markt, wo immer am meisten abge— 
etzt wird. Die andern Tage ist der Handel, wie 
Du weißt, nur mäßig. Was soll ich nun thun? 
Morgen auf den Markt gehen und so den Tag des 
herrn in meinem Theile entweihen, oder bis zum 
Montag warten? Aber wie, wenn ich dann mieine 
Waare nicht verkaufen und also meine Schuld 
nicht abtragen könnte? Was soll ich da thun?“ 
Sommer entgegnete ihm, ohne lange sich zu besinnen: 
„Des Herrn Gebot ist ja einfach dieses: „Du sollst 
den Feiertag heiligen⸗; allein ob Du nun so viel 
Vertrauen zum Herrn hast, daß Du glaubst, Er werde 
Dich nicht stecken lassen, das hängt ja von Dir ab, 
und was sagt wohl Deine liebe Frau dazu?“ 
„Ja, sie ist's zufrieden,“ erwiderte er, „und mit 
dem einverstanden, was ich thue.“ „Gut,“ sprach 
Sommer, „thut was Ihr wollt, und was Euch gut 
dünkt; meine Meinung ist: wir können getrost dem 
Herrn vertrauen und bei der Befolgung Seines Ge— 
botes auch etwas wagen.“ Damit ging der Freund, 
und in seiner Seele stand der Entschluß fest: du be⸗ 
ziehst morgen den Markt nicht. 
Am folgenden Tage kommt ein andrer Freund zu 
Sommer, ein Schuster B. aus einem benachbarten 
Städtchen. „Du heute hier, am Sonntag schon?“ 
ragt S. ihn etwas verwundert. „Ja,“ war die 
Antwort, „Du weißt ja, daß heute der Haupt⸗Tag 
im Leder ist, und um vortheilhaft einkaufen zu können, 
bin ich dießmal schon heute gekommen.“ S. erwiderte 
aichts; allein in seinem Gesicht mochte B. wohl lesen, 
daß S. sein Vorhaben ernstlich mißbillige. Am Abend 
kam er wieder mit einem sehr fröhlichen Gesicht und 
erzählte, mit seinem Einkauf sei es ganz uͤber Er— 
warten gut gegangen. Auch dazu schwieg Sommer
	        
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