Full text: Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1874-1884)

Unterhaltendes und Belehrendes. 
Unsre Hessen im Kampfe wider die 
Türken (1717). 
J. Von einem alten Liede in stets neuer 
Auferstehung — zur Einleitung! 
„Prinz Eugenius, der edle Ritter, 
Wollt' dem Kaiser wied'rum kriegen 
Stadt und Festung Belgarad. 
Er ließ schlagen eine Brucken, 
Daß man kunt hinüber rucken 
Mit d'r Armee wohl für die Stadt.“ 
Dies Lied ist nun schon über 14 Jahrhunderte 
alt. Aber die unverwüstliche Lebenskraft, welche den 
Volksliedern innewohnt, hat es auch eben dadurch 
bewährt, daß es trotz seiner überaus rauhen, holperigen 
Form bis heute unvergessen geblieben ist. Denn wo 
in Soldatenkreisen gesungen wird, da ertönt neben 
einem weichwehmüthigen: „Morgen muß ich fort von 
hier“, oder: „Steh' ich in finst'rer Mitternacht“ ꝛc. 
auch heute noch zwischendurch einmal der alte 
„Prinz Eugenius“, dessen mannhaft kräftige Soldaten— 
weise wie ein Sturmmarsch klingt, unter dem 
das Geschütz wider die Festungsmauern donnert, 
während die Verse daherrasseln, als ob man die 
zertrümmerten. Mauerstücke in die Festungsgräben 
hinunterpoltern hörte. 
Und bei diesem Liede ist in der That die Melodie 
wie der Baumstamm, der stehen bleibt, wenn auch 
die Generationen der Schlinggewächse, die sich an 
ihm hinaufranken, wechseln. — Fast ein Jahrhunder! 
war vergangen, seitdem Prinz Eugenius die Christen⸗ 
—DD00 
diesem „Stadt und Festung Belgarad“ abgenommen, 
und die Macht des Halbmondes war so geschwächt, 
daß die Christenherzen, wenigstens in unserm deutschen 
Vaterlande, längst aufgehört hatten, vor den Türken 
zu zittern. Aber ein gefährlicherer Feind, als es je 
der Türke gewesen, hatte unser Volk in drückende 
Fesseln geschlagen, aus denen es sich aber nun zu 
befreien mit edlem Manneszorne aufgestanden war. 
Da sang Max v. Schenkendorf sein Todeslied 
über „die schönste Heldenlanze“, die sich wider den 
Dränger Napoleon erhoben, über den Mann, der 
dem gewaltigen Schlachtenkaiser das Geheimniß seiner 
Schlachtenkunst abgelernt hatte und es nun wider ihn 
spielen ließ, — über Scharnhorst, der „auf dem 
Feld von Lützen“, wo er „lustig Freiheitswaffen 
hatte blitzen“ sehen, „von des Todes Stahl“ selbsi 
getroffen ward. Aber sein Todeslied sollte nich! 
wie Klage und Trauer, sondern wie siegesgewisse 
Schlachtgesang, ja wie Sturmmarsch gegen Napoleon' 
Zwingburg klingen. Darum ließ er sein „In den 
wilden Kriegestanze“ erschallen nach der alte 
Sturmmarsch-⸗Melodie des „Prinz Eugenius 
edler Ritter“. — Und als in unsern Tagen wiede 
von einem Napoleon unserm Vaterlande Gefah 
drohte, aber freilich, um schon nach den ersten Tage 
alles ängstliche Baugen in das Hochgefühl zuversich 
licher Siegeshoffnung übergehen zu lassen; da san— 
ein Vater*) in seines mitkämpfenden Sohnes Name 
enes kecke foldatische Spottlied, welches seine beißend 
dauge über allen französischen Größenwahn, wi 
seine innige Freude an den deutschen Siegen in s 
mübertroffen volksthümlicher und naiver Weise zun 
Ausdruck bringt, daß es — nach dieser Seite hin— 
vohl unbestritten als die Perle der gesammie 
dichterischen Produktion aus jener Zeit betracht 
verden darf; — wir meinen das köstliche: „Köni— 
Wilhelm faß ganz heiter ꝛc.“ Aber wem he 
dies Lied jenen so unnachahmlich volksthümlichen, 
der Derbheit seiner Sprache, in der Holperigke 
seiner Verfe, in der Ungefügigkeit seiner Reime grad 
o urkomisch⸗ergötzlichen Ton abgelernt? Die Melod 
sagt es uns. Nach „Prinz Eugenius, der edl 
Ritter“ haben wir's herausgesungen, oder 
weilen auch herausgelacht: „König Wilhelm sa 
ganz heiter ꝛc.“ 
So hat das alte Lied denn schon zweimal sen 
Auferstehung gefeiert, indem der Staum der alte 
Melodie jebeomal von dem neuen Schlinggewäd 
eines in großer Zeit geborenen Liedes umrankt wurdi 
Wird es nicht auch jetzt noch einmal, zum dritte 
Male, auferstehen? Nicht wahr, lieber Leser, dan 
wünschten wir aber: nicht nur die alte Melodi 
sondern auch der alte Inhalt nur mit neuen 
Helden-Namen. Denn wer könnte ein Christenhen 
haben, dem es nicht in allen Gliedern prickelt 
wenn er hören muß, wie die asiatische Rauberhord 
des Türkenvolkes, die zur Schande Europas se 
num schon mehr denn 400 Jahren ihr Raublage 
in unferm Erdtheil aufgeschlagen hat, noch imm 
raubt und mordet, sengt und drennt, verwüstet un 
niedermetzelt und noch immer nicht hinausgejagt win 
vbohin sie gehoͤrie Nicht wahr das wünfchiest — 
mit mir, daß wir einen neuen Prinz Eugenius erleb 
dürften, der den wüsten Barbaren nicht allein „Sta 
und Festung Belgarad⸗ abnähme, sondern all di 
*) Der waldeckische Arzt Wolrad Kreusler.
	        
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