Full text: Kurhessischer Kalender (1830-1835)

die Gelder wurden gezahlt, und die Lebens 
mittel aufgepackt. 
Wir setzten uns zu Tische. Es fiel mir auf, 
baß noch für einen Vierten gedeckt war, und 
ich wurde angenehm überrascht, als ein junges 
Mädchen in der Nationaltracht in das Zimmer 
trat und neben mir Platz am Tische nahm. — 
,, Vittorina!" sagte der Pfarrer, auf das 
Mädchen zeigend, „meine Nichte und die Ver 
lobte des Senor Alcalde. Sie pflegt mich mit 
kindlicher Liebe seit dem Tode ihrer guten Mutter, 
die mir als geliebte Schwester mein Alter ver 
süßte, und der ich — der Wille des Höchsten 
geschehe! — nun wohl bald folgen werde. Froh 
will ich diese Welt verlassen, da ich das mir 
so innig anvertrauete Pfand so gut versorgt 
weisst — Er brach ab und das Gespräch wen 
dete sich auf gleichgültige Gegenstände. 
Ich hatte nun Muse, das Mädchen näher 
zu betrachten. Die schönen Formen ihres Körpers 
waren mir nicht neu, sie sind den meisten Spa 
nierinnen eigen. Dieses Nymphenhafte und doch 
Graziöse, diese feinen Umrisse, und doch diese 
üppige Fülle, sah ich nur in diesem Lande. 
Aber die dunkelblonden Locken und ihr dunkel 
blaues Auge waren mir eine neue Erscheinung 
in dieser Zone; mehr aber noch als dies das 
Schwermüthige, Schwärmerische im Blick: 
nicht jenes Glühende, was unter dem Schleier 
der feurigen Spanierinnen hervor blitzt. Sie 
zog mich an und erinnerte mich an mein Vater 
land; sie zauberte mich an die Seite meiner 
Geliebten und meine Phantasie schwärmte auf 
heimathlichen Fluren. Ich sprach mir ihr voll 
inniger Herzlichkeit; der Ton meiner Stimme 
wurde weich, und mir war es, als wenn dieses 
holde Wesen mir näher angehörte; doch sie blieb 
einsylbig, in sich gekehrt und still, und was 
sie sprach, zeigte mir deutlich: diese Stimmung 
sey Wiederhall ihres Gemüths, nicht ihres 
Geistes. — Wir hatten unsere Mahlzeit bei 
nahe geendet, als die Thür sich mit einigem , 
Ungestüm öffnete, und ein junger Mann her 
eintrat, den Pfarrer, den Alcalden grüßte und, 
indem er sich gegen mich verbeugte, mich ernst, 
und fast möchte ich sagen, feindlich betrachtete. 
— Ich erfuhr bald, er sey der Sohn deö 
Alcalde und Vittorinens Verlobter. Auch er 
war ein schöner junger Mann, hager, aber 
kraftvoll. In seinem Gesicht war Leidenschaft 
der Hauptzug, und ein gewisses Unbändiges 
sprach vortretend sich finster aus. — Der Pfarrer 
machte ihn mit mir bekannt, lobte gegen ihn 
die Freundlichkeit, mit der ich mein Geschäft 
abgemacht habe; sagte ihm, daß ich ein Deut 
scher sey, und daß die blonden Locken Vittori 
nens und ihre blauen Augen mich schmerzlich 
an die dahelm gelassene Gattin und an meine 
Kinder erinnerten. — Bei dieser kurzen Erzäh 
lung, deren Absicht mir leicht klar werden mußte, 
erheiterte sich allmahlig das Gesicht des jungen 
Mannes; er näherte sich mir, drückte mir innig 
die Hand, Loch blieb das Wilde in seinem 
Gesicht und ganz verlor es sich nie. 
Er nahm zwischen Vittorinen und seinem 
Vater seinen Platz, tändelte mit ihren Locken, 
verglich ihr Auge mit dem azurnen Himmel und 
versicherte endlich, von dem inneren glühenden 
Gemüth fortgerissen: So selten als diese Locken, 
so selten dies Auge auf kastilianischem Boden 
rollte und glühte, so selten sey eine Liebe der 
seinen gleich. „Dich, Vittoria!" rief er, „oder 
den Tod!" und drückte das schmachtend an 
ihm aufblickende Mädchen an sein Herz. 
„Fernando!" sagte lächelnd der Alcalde; „Du 
hast Dich versprochen! Vittorina, wolltest Du 
sagen, und rufst Vittoria!" — „Auf dies!" 
rief der Jüngling, und stürzte einen Becher 
Wein hinunter. ,. Vittoria und Vittorina, nur 
nur durch euch Beide kann dieses stürmische 
Herz glücklich werden!" — „Senor Coronel!" 
so unterbrach der alte Pfarrer die Rede; „ver 
zeihen Sie einem jungen Verliebten den Ausbruch 
der Leidenschaft, der hier wohl nicht am rechte» 
Orte ist." 
Ich fühlte, was er sagen wollte, beruhigte 
ihn über meine Grundsätze und bald sprach der 
Deutsche zum Spanier. Unsere Herzen öffneten 
sich, der junge Mann wurde innig, herzlich, 
und ich, unvorsichtig, äußerte: daß jedem 
rechtlichen Deutschen das Herz blute, die Hen 
kers-Befehle gegen ein edles Volk vollziehen 
zu müssen, das durch seinen Muth, seine 
Standhaftigkeit unsere Bewunderung verdiente. 
Da ergriff er Vittorinens Hand, führte sie za 
mir und sagte mit feierlichem Ernst: „Mäd 
chen, holde Geliebte! laß zum ersten Mal eines 
Andern, als Deines Fernando Lippen, Deinen 
holden Mund berühren; Du dankst im Namen 
deö Vaterlandes!" — Ich küßte ihre Stirn, 
drückte das holde Wesen sanft an mich — sie 
ging schweigend aus dem Zimmer. 
Das Gespräch ward jetzt ein allgemeines. 
Plötzlich sah Fernando aufmerksam zum Fenster 
hinaus, winkte dem Pfarrer und Beide ent 
fernten sich. — Nach einiger Zeit kamen sie 
wieder, der junge Mann sah aus, wie Jemand, 
der mit sich nicht einig ist; der Greis lächelte 
wohlwollend. 
„Das Detaschement, was Sie bei sicl) 
haben " — sagte endlich der Pfarrer, während 
der junge Mann mit seinem Vater leise spracht 
„ das Detaschement scheint meist aus Deutschen 
zu bestehen?" — „Es sind lauter deutsche
	        
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