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1649 — das Haupt seines Oheims, König Karls des
Ersten von England auf dem Blutgerüst gefallen war
In Kassel, wo der Pfalzzraf die Landgräfin Amalie
Elisabeth begrüßen wollte, die in den Zeiten der Not
am treusten und uneigennützigsten zu seinem Haus
gehalten hatte, lernte Karl Ludwig die einuudzwanzig-
järige Tochter der Landgräfin, Prinzessin Elisabet, ken
nen und warb um deren Hand. Ein Jahr später
fürte er sie in seine Residenz heim; aber das Glück
und der Frieden der Ehe zog nicht mit ihnen ein in
das schöne Heidelberg. Das fürstliche Paar lebte,
woran der harte, stolze und weltluftige Sinn der Psalz-
gräfin die Hauptschuld trug, in immer zunehmenden
MiShelligkeiten, bis es endlich zu gänzlicher Trennung
der Gatten kam.
Aus dieser trübseligen und schmerzensreichen Ehe
war eine Tochter entsprossen, die in ihrem Wesen
nichts von der unharmonischen elterlichen Verbindung,
welcher sie das Leben dankte, verriet, und die sich zu
einer d r merkwürdigsten und vortrefflichsten Frauen
ihrer Zeit entwickelte. Elisabeth Charlotte, oder wie
sie ihr Vater und wie sie darach sich selbst lebens
lang zu nennen pflegte, Liselotte, Prinzessin von der
Pfalz, war im Mai 1652 geboren, brachte einen Teil
ihrer Kindheit in Hannover bei ihrer Tante, der
Kurfürstin Sophie, zu. lebte dann in Heidelberg und
wurde später von ihrem Vater aus übd berechnten
politischen Gründen an den ^Herzog von Orleans,
den sittenlosen Bruder des damals allmächtigen Kö
nigs von Frankreich, Ludwigs des Vierzehnten, ver
heiratet. Liselotte trat in diese Ehe in kindlichem
Gehorsam,aber milsehr widerstrebendem Herzen, Noch
dreißig Jahre später schrieb sie aus Frankreich an
ihre Schwester: "Unter uns gesagt, man hat mich
wider meinen guten Willen hier hergesteckt." Im
Jahre 1671 ging sie in die neue Heimat, die ihr
niemals zur rechten Heimat werden konnte. Ihr Vater,
an dem sie mit inniger Liebe hing, begleitete sie bis
Straßburg. Als sie dort Abschied von ihm nahm,
den sie so wenig als ihr teueres Vaterland wieder-
stehen sollte, schied sie zugleich von dem ganzen reinen
Glück ihrer harmlosen Jugend. Damals rief die
Prinzessin in schmerzlicher Entsagung: „so bin ich renn
das politische Lamm, das für den Staat und das
Land soll geopfert werden; Gott gebe, daß es wol
anschlage."
Am französischen Hofe fand die junge Gattin Um
gebungen und Sitten, die ihrer Natur und ihren
Gewohnheiten gleich zuwider waren. Mit ihrem
schlichten deutsche^ Wesen, ihrem ehrbaren, kräftigen
und züchtigen Sinne stand sie inmitten eines ent
nervten, schaun- und zuchtlosen Hofkreiseö, mit ihrer
derben, gesunden Natürlichkeit inmitten eurer auf den
leeren, blendenden Schein, auf Lug und Trug ge
gründeten Gesellschaft. Da ist es nun eine Herzens
freude, zu beobachten, wie dem deutschen Herzen alle
feinen Künste französischer Höflichkeit nichts anhaben
konnten, wie der gesunde Sinn eines ächtdeutschen
Weibes in der giftigen Luft des Pariser und Ver
sailler Hoflebeus sich frisch und kräftig bewahrte,
wie ein Stück deutschen Lebens ein Menschenatter
hindurch im undeutschesten Lande unverrümmert trotz
aller Anfechtungen gediehen ist.
Dies zu beobachten, geben die zahlreichen Briefe
der Prinzessin nach Deutschland, die uns als ein wah
rer Schatz erbalten sind, reichliche Gelegenheit. In
ihrer Vereinsamung in der Fremde, wo nicht Eine
Seele sie verstand und ihr nahe stand, war ihr ein
reger Briefwechsel mit der Heimat ein Bedürfnis,
das sie nach Herzenslust befriedigte. Sie fürte eine
sehr flinke Feder und brachte, wie sie selbst erzält,
ganze Tage, in ihr Cabinet eingeschlossen, mit Schrei
ben und Lesen zu, so daß ihre Briefe, gesammelt, viele
Bände füllen würden. Ein Teil davon ist gedruckt, und
man kann kaum etwas lebendiger und munterer Geschrie
benes lesen. Da plaudert Liselotte ihren Tanten,
Schwestern und vielen andern bochgestellten Personen,
ebenso aber auch ihrer alten Gouvernante in unge
zwungenster Natürlichkeit und mit ächt rheinländischem
Humor Alles vor, was ihr an Erlebnissen, Erinne
rungen, Gedanken und Empfindungen durch Kopf und
Herz geht; da schreibt sie sich ihr Heimweh und ihr
Emsamkeitsgefül, ihren Zorn und Kummer über das
liederliche Treiben um sie her und Alles, was sie sonst
noch drückte und beklemmte, von der Seele, und nir
gends begegnet bei ihr Gemachtem und Geschro
benem; Alles ist gesunde Natur, unverwüstliches deur-
sches Geistes- und Gemütsleben. >
In diesen Briefen schildert die Prinzessin den
ganzen Abgrund der Sittenverdsrbenhcit jener Zeiten
und jener Kreise, in welchen sie zu leben verurteilt
war, mit schonungslosen, starken Pinselstrichen, derb,
natürlich und getreu, wie die niederländischen Maler
damals zu malen pflegten. Sie selbst aber erscheint
als das leibhaftige Gegenbild zu der Gesellschaft, die
sie darstellt. Der Gegensatz zwischen der guten alten
und der schlechten neuen Zeit, zwischen Natur und
Unnatur, zwischen schlichter Wahrhaftigkeit und glän
zender Lüge, aber auch zwischen deutschem Wesen
und französischem Wesen ist kaum irgendwo schärfer
und deutlicher wahrzunehmen, als in jenen Episteln.
Sie hatte ein Recht, zu sagen, daß sie für Frank
reich ein allzudeutscheS Herz habe. Denn nach einem
mehr als dreißigjärigen Aufenthalt war sie dort noch
fast ein Fremdling. Deutschland sei ihr, schrieb sie,
viel lieber und ihrem Sinne angenehmer, weil es