30
Unterhaltendes und Belehrendes
Althessische Erinnerungen.
Landgraf Wilhelm der Neunte (Kurfürst Wil
helm der Erste) und das Haus Rothschild.
Im Jahre 1800, es kann auch ein wenig früher
oder später gewesen sein, suchte der Landgraf Wil
helm der Neunte von Hessen für seinen Dienst einen
neuen Hofagenten, daß heißt einen Mann, der ihm
seine Geldgeschäfte besorgen sollte (und der Land
graf, als einer der reichsten deutschen Fürsten, hatte
deren sehr viele zu besorgen). Zu einem solchen
Amte Pflegten die hohen Herren ehemals meist Juden
zu wäleu, deren Klugheit und Geschäftßgewandtheit
sie für derartige Angelegenheiten vorzugsweise empfahl.
Unter den Personen, welche der Landgraf wegen An
stellung eines neuen Hofagenten zu Rate zog, befand
sich auch der hannoversche General von Estorsf, ein
dem hessischen Fürsten vertrauter und nahe befreundeter
Mann. Der nun schlug ihm einen Juden in Frank
furt am Main vor. „Ich habe", sagte der General,
„diestn Menschen in einem Bankhause zu Hannover
kennen gelernt, in welchem ich wegen meiner Güter
viel aus und eingehe, und habe ihn als einen gescheidten,
gewandten und zuverlässigen Mann erfunden; Maier
Amschel Rothschild heißt er."
In Frankfurt in der engen Jut engaffe, von der
bald keine Spur mehr vorhanden sein wird, da man
im Begriffe steht, die letzten ihrer elenden gichtbrü
chigeu Häuslein abzubrechen, (ohnehin wohnen jetzt die
Frankfurter Juden meist ganz wo anders und die
eigentliche Judengasse ist heutzutage die „Zeil", die
prachtvollste Straße der Stadt) sieht man zur Stunde
noch eine finster ausschauende Behausung, nicht mehr
als sechs Schritte breit, eng und niedrig, aus nun
morsch gewordenem Gebälk mit Fachwerk erbaut. Darin
wohnte seit zwanzig Jahren der Handelsmann Maier
Amschel Rothschild, als er die Aufforderung erhielt,
nach Cassel zu reisen und sich dem Landgrafen von
Hessin vorzustellen.
Maier Amschel war dazumal zwischen fünfzig und
sechzig Jahre alt. Der Sohn ein 's Frankfurter Han
delsmannes, hatte er schon als kleiner Junge im Auf
trag seines Vaters Geschäfte zu machen gelernt. Mit
einem Geldsäckchen mußte er bei den Banquiers her
umgehen und größere Geldstücke in klein Geld" um
wechseln; wobei ihm zuweilen seltene Münzen in die
Hände und vor die Augen kamen, die er genau ken
nen lernte, so daß er später durch den Tauschhandel
mit dergleichen Stücken manchen guten Gewinnst machte.
Als er in's Jünglingsalter getreten war, schickte ihn
sein Vater, der ihn zum Rabbinm bestimmt hatte,
nach Fürth, damit er dort jüdische Theologie studiere.
Jedoch das warte nicht lange. Maier Amschel war
zum Kaufmann geboren, wenn jemals einer. Er ließ
die Gelehrsamkeit bald im Stich, ging auf kurze Zeit
nach Frankfurt zurück und trat dann als Handlungs
diener in das Oppenheimsi'che Bankhaus zu Hannover,
wo ihm bald die wichtigsten Geschäfte anvertraut
wurden, und wo ihn auch, wie schon bemerkt, der Ge
neral von Estorsf kennen und schätzen lernte. In
seine Vaterstadt heimgekehrt, gründete er dann ein
selbständiges Geschäft, war als Geldwechsler, Makler,
Münzhändler u. s. w. tätig und rürig, kaufte 1780
das Häuschen in der Judengasse (außerhalb derselben
durste damals in Frankfurt seit Jahrhunderten kein
Jude wohnen, noch sich ankaufen) und wohnte darin
mit seinem frommen Weibe Gutta, geborenen Schnap
per, die er 1770 heimgeführt hatte.
Als Maier Amschel in Kassel eingetroffen war,
wurde er dem Landgrafen angemeldet, wärend dieser
mit dem mehrgenaunien General von Estorsf eine
Partie Schach spielte. Der Landgraf ließ den Juden
eintreten, beachtete ihn aber, in's Spiel verliest, eine
Zeit lang gar nicht. Endlich blickte er im Unmut über
das für ihn sehr schlecht stehende Spiel um sich und
sah den ihm zum Hofagenteu vorgeschlagenen He
bräer. „Versteht er auch das Schachspiel?" redete
er ihn an. Rothschild antwortete mit Ja, bat um
Erlaubniß, seinen Rat zur Rettung der Partie (die
er, hinter dem Rücken des Fürsten stehend, statt, wie
mancher andere an seiner Stelle, gedankenlos in die
Lust zu starren, aufmerksam beobachtet hatte) er
teilen zu dürfen und gab dann mehrere Züge an,
durch welche das Spiel zum Vorteil des Fürsten
entschieden wurde. Dies und die darauf folgende Un
terhaltung des Landgrafen mit Maier Amschel machte
einen so günstigen Eindruck auf Ersteren, daß er zu
Estorsf sagte: „Herr General, Sie haben mir keinen
dummen Manu empfohlen!"
Es dauerte nicht lange, so hatte sich Maier Am-
schel durch seine Klugheit und Zuverlässigkeit das un
begrenzte Vertrauen des Landgrafen, der seit 1803
den Titel Kurfürst Wilhelm der Erste fürte, erwor
ben, und dies Vertrauen wurde wiederum der Grund
für den unermeßlichen Reichthum des Rothschild'schen
Hauses. Als nämlich der Kurfürst im November 1806,
von den Franzosen vertrieben, sein Land verlassen
mußte, wußte er den größten Teil seines gewaltigen
Vermögens nicht sicherer zu bergen, als indem er