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Chronik des deutschen Krieges gegen Frankreich Lm Jahre 18 t0 /7i.
(Fortsetzung und Schluß.)
Am 28. Octbr. wurden vom König Wilhelm der Kron
prinz von Preußen Friedrich Wilhelm und sein Vetter Prinz
Friedrich Karl zu General-Feldmarschällen ernannt, und der
roße ^chlachrendel.ker General v. Mo Ltke in den Grafen-
and erhoben.
Am 29. Octbr. Besetzung der Festung Metz, welche zwei
Lage zuvor kapituliert hatte, durch deutsche Truppen.
Am 30. Octbr. fand tut Nordwesten von Paris (welche
Riesenstadt seit dem 20. September vollständig von den
deutschen Truppen eingeschlossen war) ein heftiges und
blutiges Gefecht in drm Dorfe Le Bourget Statt. Aus
diesem Dorf war am 26. Octbr. eine Compagnie der 2.
Oarde-Jnfanterie-Division durch Pariser Truppen verdrängt
worden. Es galt, dasselbe zurückzuerobern. Die Aufgabe
war eine sehr schwierige, weil Le Bourget innerhalb der
Schußlinie der Pariser Festungswerke liegt, und weck die
Franzosen sogleich nach Einnähme des Dorfes sämmtliche
Häuser verbarricadiert und in Verteidigungszustand gesetzt
hatten. Nach einem blutigen Handgemenge in den Straßen
war eine Abteilung des'Regiments Königin Augusta eben
im Begriff in eines der Häuser von Le Bourget einzu
dringen, da befahl Oberst Graf Waldersee, der Com
mandeur jenes Regiments, welcher eben erst, kaum von
einer bei G r a v e l o t t e erhaltenen Verwundung hergestellt,
zu demselben zurückgekehrt war, Halt zu machen, weil aus
den Fenstern des erwänten Hauses mit weißen Tüchern das
Zeichen freiwilliger Uebergabe gegeben wurde. Graf
Waldersee selbst sprengte gegen das Haus, um mit den
Bewohnern zu sprechen. In diesem Augenblick tödtele ihn
eine Kugel aus einem der Fenster desselben. Ein Officier
eilte hinzu, um den Entseelten in seinen Armen aufzu
fangen , als auch er die Todeswunde empfing. Als die
Truppen dies sahen, ergriff sie furchtbare Erbitterung und
sie warfen nun mit unwiderstehlichem Anprall den Feind
aus allen seinen Stellungen. Um 12 Uhr Mittags war
Le Bourget wieder den Franzosen cntrißen.
Am 30. Octbr. hatte der ehemalige französische Minister
Thiers mit dem Grafen Bismarck im deutschen Haupt
quartier eine Unterredung, in welcher jener um einen
Waffenstillstand von 28 Tagen nachsuchte. Da aber der
französische Exminister dabei unter Anderem die Bedingung
stellte, daß wärend dieser Zeit die französischen Festungen
(vor Allem Paris selbst) sich sollten verproviantieren dürfen,
sagte der „eiserne Graf": Nein! denn (dachte er) wocu be
lagert man Festungen, als um sie durch Hunger und sonstige
Annehmlichkeiten zur Uebergabe zu zwingen? Und einen
solchen Waffenstillstand bewilligen, bei dem sich die Pariser
wieder einmal satt effcn und noch für so und so lange mit
Mundbedarf versehen können, das wäre dumm. (Dumm
heiten aber macht der eiserne Graf nicht, sondern läßt sie
lieber seine Gegner machen, die es denn auch daran nicht
haben fehlen lassen.)
Am 31. Octbr., als am nächsten Tage, spielte einmal
wieder eines der belicbtesten Stücke auf der Pariser Welt-
büne. Eine große Anzahl der dort befindlichen Weltkomö-
dianten wünschte, daß^die im September gewälte vorläufige
Regierung von der Scene abtreten und ihnen selbst den
Platz räumen möchte. Ein Haufen dieser Leute drang am
Nachmittag des 31. Octbr. in das Pariser Nathhaus (das
sogenannte Stadthütei) und erklärte die Ncgierung für ab
gesetzt. Sämmtliche Mitglieder derselben wurden von den
Aufrürern verhaftet, bis auf Eins. Dieser Eine, Herr
Picard, ein entschlossener Mann, traf sofort Maßregeln,
in Folge deren seine Collegen befreit, und der Ausstand mit
Gr walt unterdrückt wurde. Einige Tage später fand eine
Abstimmung der Pariser Bevölkerung Statt darüber, ob sie
die Septembermänner (die Herren Trochu, Arago,
Favre u. s. w.) einstweilen zu ihren Regenten behalten
wollten oder nicht; 557,976 Stimmen antworteten mit Ja,
62,638 mit Nein.
(an dem Tage der Pariser Revolte) spielte sich
im Südoften von Frankreich eine ernsthaftere Begebenheit
ab. Genera! v Beyer nahm die durch Wälle und Gräben
befestigte Stadt Dijon unter heftigen Kämpfen. Die
tapferen Grenadiere der Brigade Prinz Wilhelm von Baden
drangen unaufhaltsam in die Stadt ein, wo sie nicht nur
von den feindlichen Soldaten, sondern auch von wütendem
Pöbel, darunter bewaffn ten Weibern, mit offener und
hinterlistiger Gegenwehr empfangen wurden. Die Vorstädte
wurden in Brand gesteckt; gegen Abend standen viele Teile
der Stadt selbst in Flammen. Um 9 Uhr zog dieselbe die
weiße Fabne auf; am nächsten Morgen hielten die deutschen
Truppen, voran General v. Bc^er, unter klingendem
Spiel den Ein ug in die eroberte ^>tadt.
Am 5. Novbr. wurden die in Metz erbeuteten 53 fran
zösischen Adler \n das Berliner Zeughaus übergefürt.
Am 8. Novbr. ergab sich die Festung Verdun den
Belagerern. 2 Generale, 11 Stabsoffiziere, 150 Osfickere
und 4100 Mann wurden gefangen genommen, 136 Ge
schütze und 2300 Infanterie-Gewehre erbeutet.
Am 10. Novbr. capitulicrte die Festung Neu-Brei
sach. Gegen 100 Osfiziere und 5000 Mann Franzosen
wurden Kriegsgefangene, gegen 100 Geschütze erobert.
Am 15. Novbr. wurde der Vertrag über Gründung
eines Deutschen Bundes zwischen dem Norddeutschen
Bunde, Baden und Hessen - Darmstadt in Versailles unter
zeichnet.
Am 17. Novbr. siegreiches Gefecht gegen die Loire-
Armee bei D reux. An dem Loireflusse und anderer Orten
hatte der französische, in einem Luftballon aus dem belagerten
Paris entwichene Minister (ehemals Pariser Avvocat)
Gambe tta drei Armeen aus sehr kunte.bunten Bestandtheilen
zusammengebracht, welche — so versicherte Gambetta
alle Tage — die Deutschen binnen Kurzem vernichten, das
belagerte Paris entsetzen und das arg zerfetzte Banner
des französischen Weltruhms wieder gänzlich ausbessern
sollten. In der Tat batte Gambetta in verschiedenen
Gegenden ganz ansehnliche Streitmächte, man möchte sagen
zusammen gezaubert. Die bedeutendste derselben stand an
der Loire. Ihr entgegen war ein Teil des Pariser Be-
lagerungsbeeres unter General v. d. Tann geschickt, dabei
auch die 22. Division, uns wohlbekannt. Im October
war die Stadt Orleans durch jenes Truppencorps ein
genommen worden; im November aber sah sich General v.
d. Tann genötigt, weil inzwischen die französische Loire-
Armee der seinigen an Zahl und 'L Weckmitteln bei Wertem
über den Kopf gewachsen war, die erobertg Stadt wieder
zu räumen. Der kluge, besonnene und vorsichtige deutsche
Heerführer zog sich langsam zurück. In dem erwänten
Gefechte bei Dreux aber wurde durch den Großherzog von
Mecklenburg, welcher zur Unterstützung v. d. Tanns herbei
kam, ein von Westen der Stadt Paris heranziehender