Full text: Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen // Amtlicher Kalender für Kurhessen // Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1860-1873)

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droben am Firmaments prangen? Wenn dem Ka 
lenderleser die Aufgabe gestellt würde, diese leuch 
tenden Himmelspunkte zu zälen, er würde verzagen 
und vielleicht meinen, den Sand am Meere zu ad- 
diren sei noch ein leichteres Stück. Und doch ist 
die Zahl der Fixsterne, welche wir mit unbewaffne 
tem Auge wirklich sehen, nicht so groß als es scheint. 
Vielmehr trügt auch hier der Schein, wie so oft 
in der Welt. Gerade das Flimmern und Glitzern 
der Sterne bewirkt, daß man bei längerem Hinauf- 
schauen auch da welche zu sehen glaubt, wo keine 
sind oder wenigstens wo man in Wahrheit keine 
sieht. Die Himmelskundigen haben die Fixsterne 
nach ihrer scheinbaren Größe in solche erster, zweiter, 
dritter Größe u. s. w. eingetheilt^ und sie steigen 
dabei bis zu zur zwanzigsten Klaffe herab, welcher 
die anscheinend kleinsten angehören. Mit bloßem 
Auge nun sehen die meisten Menschen nur Sterne 
der ersten sechs Größenklassen. Rur Augen von 
ausgezeichneter (ganz seltener) Sehschärfe erkennen 
auch noch Sterne der siebenten Klasse. Solche unge- 
wönlich scharfe Augen hat zum Beispiel der Professor 
Heis in Münster. Er hat sich viele Jahre hindurch 
mit dem Zälen der ihm wahrnehmbaren Sterne be 
schäftigt und dabei gefunden, daß die Summe der 
selben noch nicht volle 6000 beträgt. Ein Mensch 
mit gewöhnlichen guten Augen erblickt dagegen, wenn 
er etwa von der Berliner Sternwarte aus das Fir 
mament betrachtet, nicht mehr als ungesär 4000 der 
goldnen Himmelslichter. Diese Zahl ist erstaunlich 
viel geringer, als man in der Regel vermutet. 
Dagegen wächst die Ziffer der Sterne ins Un 
geheure, wenn man zu ihnen hinaufschaut durch ein 
vorzügliches Fernrohr (ein Teleskop). Die Gesammt- 
zahl der Sterne erster bis sechzehnter Größe am 
ganzen Himmel (wie er sich über der nördlichen und 
der südlichen Erdhälfte wölbt) ist von einem sehr kun 
digen und zuverläßigen Gelehrten auf 1283 Millionen 
berechnet worden. Das ist eine sehr große Summe, 
aber sie gewinnt erst ihre volle Bedeutung, wenn man 
in Anschlag bringt, durch welche Entfernungen diese 
leuchtenden Weltkörper von einander getrennt sind. 
Eine Locomotive, welche in der Stunde sechs 
Meilen durcheilt, würde bis zur Sonne (welche der 
uns nächste Fixstern und von der Erde nur die Klei 
nigkeit von etwas über 20 Millionen Meilen entfernt 
ist) etwa vierhundert Jahre fahren. Das Licht der 
Sonne dagegen — denn das Licht ist überhaupt der 
schnellste unter allen Boten der Welt — braucht bis 
zu uns nicht mehr als 8 Minuten und 18| Secun 
den. Denn es legt binnen einer Stunde ungefähr 
41,000 Meilen zurück. Hiernach kaun mail sich eine, 
obschon nur dunkle, Borstellung davon machen, wie 
groß die Wegstrecke ist, welche ein Lichtstrahl inner 
halb des Zeitraums eines Jahres durcheilt. Dieser 
Weg ist 63,280 mal so lang als der Weg von der 
Erde zur Senne. Wie aber wird dem Leser zu 
Sinne, wenn er, nach sicherer Berechnung erfärt, 
daß die Entfernung von uns zu dem nach der Sonne 
zweitnächsten Fixstern über viermal so groß ist als 
die Strecke, die ein Lichtstrahl binnen einem Jahre 
zurücklegt; also über vier mal 20 Millionen mal 
63,280 Meilen. Und dann gar, daß di • nächsten 
Sterne der Milchstraße noch über tausendmal weiter 
von uns fern sind. 
Bei solchen Zahlen überläuft einen wol ein Schauer 
unendlicher Ehrfurcht und aus dem tiefen Gefül unserer 
eigenen Kleinheit stimmen wir demütig ein in des 
Psalmisten lobpreisendes Wort: Herr, wie sind deine 
Werke so groß und viel! 
Allerlei kleine Geschichten. 
1. 
Ein Pechvogel fuhr auf der Eisenbahn. Der Zug 
jagte, ohne anzuhalten, an einer kleinen Station 
vorüber, auf deren Perron Jemand fortwährend 
„Meyer! Meyer!" brüllte. Unser Herr steckt den 
Kopf zum Fenster heraus und — erhält eine tüchtige 
Ohrfeige. Grimmig beklagt er sich bei dem Zug- 
fürer. Ganz gelassen fragt dieser: „heißen sie denn 
Meyer"? „Nein," lautet die Anwort. „Nun," 
erwiedert jener ruhig: „dann geht die Sache Sie ja 
gar nichts an!" 
2. 
Zu einem steinreichen Banquier kommt in etwas 
schäbigem Anzug ein Herr, dem man ansieht, daß 
er guter Leute Kind ist und nur das Unglück hat, 
viel mehr Geld zu brauchen als er hat. „Ich gebe 
mir die Ehre" (redet er den Geldmann an) „Ihnen 
meine Aufwartung zu machen, um Ihnen ein vor 
teilhaftes Geschäft rorzuschlagen; ein Geschäft, bei 
dem Sie binnen fünf Minuten eine halbe Million 
gewinnen können, und das ganz sicher und ohne Ge 
fahr". — „Das wäre!" antwortete mit ironischem 
Lächeln der Börsenkönig und bietet dem Gast einen 
Platz auf dem Sopha und eine seiner feinen Cigar 
ren an. „Die Sache ist ganz einfach," färt der 
Besucher fort, indem cr'ö sich bequem macht und die 
Havannah anbrennt. „Wie man bestimmt versichert, 
beabsichtigen Sie Ihrer Fräulein Tochter eine Million 
Taler zur Mitgift zu geben. Ich bin gern erbötiz,
	        
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