Full text: Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen // Amtlicher Kalender für Kurhessen // Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1860-1873)

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Trübsinn, unsere Armut und unser Reichthum — 
das Alles und noch weit Mehr wird bestimmt und 
geregelt, erzeugt und vernichtet, vermehrt und ver 
mindert durch die guten oder schlechten Launen des 
despotischen Herrschers im Lustreich, den wir Wetter 
nennen. 
Wer wollte sich da wundern, daß die Menschen 
von jeher bemüht gewesen sind, die Natur dieses 
Herrschers, der bei ihnen eine so große Rolle spielt, 
zu ergründen, seine Launen womöglich im Voraus zu 
berechnen, und danach ihr Tun und Laßen einzurichten. 
Es hat auch von jeher Leute gegeben, besonders unter 
den Kalendermachern, welche behaupteten, sie wüßten 
um das Wesen und die Tücken und Ruppen besagten 
Luftherrschers genauen Bescheid. Am weitesten hatte 
es, wenn man seinen Versicherungen glaubte, der 
Verfasser des sogenannten hundertjährigen Kalenders 
gebracht. Denn dieser kluge Mann gab vor, zu wissen, 
nicht nur, wie das Wetter heute und morgen und 
übermorgen, sondern wie es das ganze bevorstehende 
Jahr und noch neunundneunzig Jahre weiter beschaffen 
sein werde. In Wahrheit aber verstand sich dieser 
Wetterprophet nur auf den Wind und zwar nicht auf 
das Windwehen, sondern auf das Windmachen. Das 
aber verstand er gründlich und er hat mit seiner 
Windmacherei zahllosen leichtgläubigen Leuten ihr gutes 
Geld aus den Taschen geblasen. 
Es ist noch gar nicht lange her, daß die gelehrten 
Naturforscher den Geheimnissen der Witterung ein 
Wenig auf die Spur gekommen sind. Die eigentliche 
Wissenschaft vom Wetter ist noch sehr jung. Sie 
weiß zwar trotz ihrer Jugend schon gar Vieles und 
Merkwürdiges, wovon unsere Großväter noch keine 
Ahnung hatten, aber vom Zukünftswetter weiß sie 
noch so wenig wie nichts, und wenn man den größten 
Wettergelehrten, der gegenwärtig lebt, den Professor 
Deve in Berlin, fragt: wird es morgen regnen oder 
wird die Sonne scheinen, so antwortet er: das weiß 
ich nicht. Wol ist es möglich, daß die Wissenschaft 
noch einmal dahin gelangt, daö Wetter auf einige 
Tage im Voraus für einen bestimmten Ort zu be 
rechnen. In Nordamerika und neuerdings auch in 
andern Ländern sind an den Meeresküsten elektrische 
Telegraphen errichtet, mittels deren von zahlreichen 
Wetterstationen Nachrichten gegeben werden können, 
ob ein Sturmwind im Anzug ist. Denn da der 
elektrische Telegraph schneller ist als der Wind, so 
gewinnt er diesem den Vorsprung ab, und die Schisse 
auf dem Meer erhalten oft von fünfzig Meilen weit 
Kunde, daß und woher ein Sturm kommt, und treffen 
danach ihre Vorkehrungen. Gar mancher Mutter 
! Kind ist durch solche wirklich^ zuverlässige Wetter- 
! Prophezeiungen vor dem Ertrinken in der salzigen 
Meerflnt behütet worden. Wenn einmal Stationen 
zur Witterungskunde durch das ganze Festland Europas 
vorhanden und diese durch elektrische Telegraphen ver 
bunden sind, — eine Einrichtung, die wahrscheinlich 
gar nicht wehr lange ans sich warten lassen wird — 
so kann man zum Beispiel in Kassel am Sonnabend 
Nachrichten von vielen Stationen in Nähe und Ferne 
haben, wie es um die Luftströmungen (denn die machen 
die Haupt-Ursache alles wetterwendischen Wesens aus) 
steht, und dann werden die Wirte auf der Wilhelms 
höhe s. w. mit ziemlicher Sicherheit wissen können, 
ob sie für den Sonntag viele Spaziergänger erwarten 
und tüchtige Einkäufe machen dürfen oder nicht. 
Einstweilen aber steht es mit dem Vorauswissen 
des Wetters noch schlecht und töricht ist es, auf die 
Weissagungen derer, die sich für Wetterpropheten aus 
geben, zu vertrauen. Auch die meisten unter den 
sogenannten Bauernregeln über die Witterung sind 
gänzlich trügerisch und treffen nur dann zu, wenn 
es gerade nicht anders kommt. Am sichersten außer 
den erwänten des Telegraphen sind bis jetzt noch die 
Prophezeiungen, welche manche Tiere, die beständig 
im Freien leben und für die Aenderungen im Lust 
reich besonders feine Empfindung haben, für das 
Wetter auf einige Stunden hinaus liefern. Diese 
Prophezeiungen sind seit uralter Zeit bekannt; aber 
die Wissenschaft ist erst viel später dahin gelangt, 
sie zu erklären. Die Spinnen verkriechen sich vor 
einem Regen und bessern ihr Netz nicht aus, die 
Schafe springen ungewöhnlich viel, wenn Regenwetter 
naht, die Häne krähen, die Pfauen schreien unauf 
hörlich. Anzeichen gut werdenden Wetters sind: wenn 
die Lerchen hoch fliegen, wenn sich die Bienen weit 
von ihrem Stock entfernen u. dergl. mehr. Die 
Weisheit dieser Wetterpropheten ist zwar nicht weit 
her, oder, richtiger gesagt, sie reicht nicht weit hin, 
das heißt in die Zukunft. Dafür wird aber auch 
Niemand, der sich auf sie verläßt, betrogen wie von 
der hundertjährigen Kalenderweisheit, für deren Wind 
macherei heutiges Tages kein vernünftiger Mensch 
mehr gibt als sie wert ist, nämlich: Nichts. 
Ein wenig Himmelskunde. 
Wer hätte nicht schon an einem sternhellen 
Abend, wenn der Himmel gleich einem demantbe- 
säeten Königsmautel flimmert und strahlt, die Frage 
aufgeworfen: Wie groß mag die Zahl dieser goldnen 
Zeugen von Gottes wunderbarer Allmacht sein, die
	        
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