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tung, alles deutsche Gebiet, welches auf dem linken
Rheinufcr liegt, gehöre von Rechts wegen zu Frank
reich. Besonders im Jahre 1840 verkündigten die
Schreier über dem Rhein, die den Frieden nicht ver
tragen können, diese freche Forderung. Damals ant
wortete ihnen ein deutscher Mann (er hieß NicolauS
Decker) mit einem Gedichte, welches bald in allen
Gauen unseres Vaterlandes von Alt und Jung gesungen
wurde. Es hob an mit den Worten: „Sie sollen
tim nicht haben, den freien deutschen Rhein, ob sie
wie gier'ge Raben sich heiser darnach schrei'n". Und
auch eines anderen Deutschen Lied ist in jenen Tagen
entstanden, welches aber erst volle dreißig Jahre
später zum deutschen Volkslied und in den letzten
Monaten für Millionen der Ausdruck ihrer Liebe zum
Vaterland geworden ist: es ist das Lied von der
„Wacht am Rhein", gedichtet von Max Schnecken
burger, der schon seit 1848 in der külen Gruft
ruht, in Musik gesetzt von unserem hessischen Lands
mann Carl Wilhelm (geboren in Schmalkalden und
jetzt dort wohnhaft), der durch seine Tonweise zu
jenem Lied über Nacht zum weltberümten Manne
geworden ist. Wer hat in diesem Sommer nicht
hundert- und aberhundertmale gehört anstimmen den
Gesang:
Es braust ein Ruf wie Donnerhall,
Wie Schwertgeklirr und Wogenprall:
Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein!
Wer will des Stromes Hüter sein?
Lieb Vaterland, kannst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht am Rhein.
Zu dem alten Ingrimm der Franzosen über die
Niederlagen von 1813 und 1815 war vor einigen
Jahren ein neuer Ingrimm gekommen. Die glän
zenden Siege der Preußen in 1866, vor Allem der
bei Königgrätz, ließen die Neidharte über'm Rhein nicht
ruhen. Zum Kampfgeschrei „Rache für Waterloo"
gesellte sich der Ruf „Rache für Sadowa" (so nennen
die Franzosen die Schlacht bei Königgrätz), und der
Kaiser Napoleon III. harrte, um seinem kriegswütigcn
Volke den Willen zu tun, auf die erste beste Gelegen
heit, den Frieden Europas zu brechen. Wer aber
Gelegenheit zum Hader sucht, der findet sie leicht.
So hat sie auch französische Lügenhaftigkeit und
Frechheit im Juli 1870 gefunden.
Das spanische Volk hat im vorigen Jahre seine
leichtfertige Königin weggejagt, und seitdem stand der
Tron von Spanien leer. Er sollte aber wieder besetzt
werden; mancherlei fürstliche Herren waren dafür in
Vorschlag gebracht worden; aber keiner davon war
den Männern, welchen die Spanier einstweilen die
Regierung über ihr Land anvertraut haben, genehm.
Da verbreitete sich plötzlich im Anfang Juli 1870 die
Nachricht, jene Männer hätten die Krone von Spanien
dem Erbprinzen Leopold von Hohenzollern, einem Ver
wandten unseres Königs Wilhelm von Preußen, an
geboten, und der Prinz habe sich bereit erklärt, die
selbe anzunehmen, falls die spanische Nation ihn zutn
Könige wälen werde. Natürlich ging dieser ganze
Handel nur die Spanier und den Erbprinzen Leopold
etwas an; die französische Regierung aber behauptete,
sie habe dabei ein Hauptwort mitzureden, und sie
werde es nicht geschehen laßen, daß ein Zetter des
Königs von Preußen sich auf den spanischen Tron setze.
Ja die Franzosen — Kaiser Napoleon III. und seine
Minister voran, die Zeitungsschreiber und alle Frie
densfeinde und Preußenhaßer in Frankreich hinterher —
verlangten, der preußische König solle seinem Vetter,
der inzwischen aus freien Stücken auf die Annahme
der spanischen Krone verzichtet hatte, dieselbe auch
für alle Zukunft verbieten. Das war einfach unver
schämt. König Wilhelm hielt sich im Ansang des
letzten Juli in Ems auf, um eine Badecur zu brauchen.
Dort stellte ihm der französische Botschafter am 13tcn
des Monats im Namen seines Kaisers jene freche
Forderung. Der greise Monarch lehnte sie in wür
diger, ruhiger Weise ab. Diese Ablehnung war, was
man in Paris wollte. Es entstand dort in den
Zeitungen und in der französischen Ständekammer
ein wüstes Geschrei, untermischt mit Lügen und
Verläumdungen elendester Art. Die Ehre Frankreichs
(so hieß es) sei von dem preußischen Herrscher ge
kränkt, und nur Blut könne die Schmach abwaschen.
Eine ungeheure Aufregung entstand über die frevel
hafte Bedrohung des europäischen Friedens in der
ganzen civilisirten Welt und steigerte sich zum Aenßer-
sten, als die furchtbar gewichtigen Worte durch den
Telegraphen in alle Weltgegenden getragen wurden:
Paris 15. Juli, Nachmittags 2 Uhr 2 Minuten:
Der Krieg ist erklärt (nämlich von Frank
reich gegen Preußen).
3.
Chronik des Kriegs.
Am 15. Juli 1870 reiste König Wilbelm (am
zweiten Tage, nachdem er die auf der Promenade
zu Ems unverschämter Weise an ihn von dem fran
zösischen Gesandte,t gestellte Forderung abgelehnt
hatte) nach Berlin zurück; hier wie überall auf der
Reise von Ems — besonders auch in Cassel —