„Willkommen Kriegskamerad! Seltsam, die Zie-
thenschen finde» sich immer wieder, sie sind nicht zu
trennen," sagte der General, ließ ihm zu essen und
zu trinken geben, befahl ihm aber zugleich, noch
heute wieder beim Regimente einzutreten.
Der Bettler war nämlich, während die Schild
wacht links vom Schilderhause auf- und abging, von
der rechten Seile in's Haus gegangen und so nicht
bemerkt worden.
Ziethen ließ die Schildwache ablöten und sich
vorführen, indem er sie mit den Worten empfing:
' „Warum hat Er den Bettler hier nicht hereinlassen
wollen, da er Nachrichten von Wichtigkeit hat. Kennt
Cr meinen Befehl nicht?"
Die Schildwacht (auch ein Ziethenscher), die den
Bettler gar nicht bemerkt hatte, viel weniger ihm
den Eintritt verweigert haben konnte, erkannte augen
blicklich einen Kameraden in ihm und sagte: „I, wo
ist das ein Bettler? das ist ein Ziethenscher, und
wenn ich dem auch den Eintritt verweigert hätte,
der wäre doch zu seinem General gekommen, und hätte
er über's Dach durch den Schornstein steigen sollen!"
Diese Antwort rettete die Schildwache' vom
Gassenlaufcn, und Ziethen sagte lachend:
„Marschirt ihr Spitzbuben zum — — — ich
muß schlafen!" _
Der Pfingftheiligabend.
An dem geöffneten Fenster faß Frau Margareth
und blickte nachdenklich in das Dämmerlicht des
Pstngstabends hinaus. Eine erfrischende uühle hatte
sich in dem kleinen, traulichen Gemach verbreitet.
Leise flüsternd spielte der Abendwind in den jungen,
saftigen Blättern des Weinstocks, welcher seine
Zweige um das Fenster rankte, und trug von Zeit
zu Zeit einzelne Akkorde von Nachtigallenstimmcn
von dem nahen Walde herüber, leise und klagend,
wie sie in lauen Maiennächten zu ertönen pflegen.
Rings umher herrschte eine ernste, heilige Stille;
in ihrer einfachen Erhabenheit lud die Ratur zur
Borbercitung auf den Festtag ein. Das eintönige
Läuten der Kirchenglocke mahnte die Bewohner des
Dörfchens, den Gang ins Gotteshaus am folgenden
Biorgen nicht zu versäumen.
Frau Margareth war die Witwe des verstorbe
nen Schullehrers. Seit dem Tode ihres Mannes
hatte sie von dem Ertrage ihres kleinen Grund
stückes und von den Unterstützungtzn gelebt, welche
ihr ein in weiter Ferne lebender Sohn zufließen ließ.
Edmund war ihre einzige Freude, ihr Stolz. Lange
vielleicht schon wäre sie dem Gatten in die Ewigkeit
hinüber gefolgt, nur der Gedanke an den Sohn hielt
sie noch aufrecht. Still und von aller Welt geschie
den, lebte sie in ihrem Häuschen. Die langen pein
lichen Wintertage verbrachte sie am Spinnrade oder
mit dem Lesen einiger Bücher beschäftigt, welche ihr
Edmund im erst?« Jahre seiner Abwesenheit als
Gcburtstagsangebinde geschickt hatte. Es waren
Krunttnachers Parabeln. Kehrte der Frühling wie
der, so war es ihre einzige Erholung, sich an das
geöffnete Fenster zu setzen, und Stunden lang in
die Nacht hinaus zu blicken, mit ihren Gedanken bei
dem Geliebten weilend, bis endlich die hell flim
mernden Sterne sie mahnten, die Ruhe zu suchen,
welche ihr in freundlichen Träumen sein Bild vor
Augen zauberten.
So saß sie auch heute sinnend in der lauen
Abendluft. Sie gedachte der Tage, wo ihr der
Sohn zur Seite gewesen und in traulichem Gespräch
die Zeit verkürzt, oder sie durch Gesang erheitert
hatte, welchen er mit einfachen Akkorden auf einer
Harfe zu begleiten pflegte. Jetzt hing diese bestäubt,
unbenutzt an der Wand.
Längst war die Sonne niedergesunken; der Mond
stand hell am Himmel und strahlte milden Glanz
in das Zimmer, gerade auf die Stelle, wo Edmunds
Harfe hing. Die Schönheit des Abends, der bal
samische Duft der Blüthen, welche auf den Kasta-
'nienbäumen in voller Pracht prangten, die Feier
lichkeit des Festabends senkten eine lange nicht
empfundene Weh-nuth in Margareth's Herz.
„Drei Jahre gerade," sprach sie leise vor sich
hin und faltete die Hände wie zum stillen Gebet —
„vor drei Jahren am Pfingstbciligabend nahm er
Abschied von mir, um in die weite Welt hinauszu
wandern. Dreimal seitdem sah ich die Rosen knos
pen und wieder verblühen, und jedes Jahr, glaubte
ich, würde ihn mir zurückbringen. — Jetzt wiederum
grünen sie ihrer Blüthezeit entgegen zum letzten
Male, — wenn sie verblüht sind, ist mir wohl —
recht wohl — im kühlen Grabe — —"
Sie schwieg. Ein Paar einzelne Thränen stahlen
sich aus ihren Augen; aber mit seligem Lächeln blickte
sie zum Himmel. Der Mond strahlte in ihr verklärtes
Antlitz, in die in wehmüthiger Freude leuchtenden Augen.
Lange Zeit saß sie so da, verklärt vom Heiligen-
scheine der Glückseligkeit.
„Mein Gott, mein Gott," sprach sie endlich mit
leiser Stimme, „ist meine Stunde so nahe? O, nur noch
ein einziges Mal möchte ich die lieben Töne hören!"