Full text: Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen // Amtlicher Kalender für Kurhessen // Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1860-1873)

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gehen fab, hielt er sie für Kaufleute und ging daher 
seines Weges, ohne die geringste Notiz von ihnen 
zu nehmen. 
Der Kaiser fragte ihn, bei welcher Gelegenheit 
er den Orden verdient und erhalten hätte? 
Berwundert über die ohne Veranlassung an ihn 
gerichtete Frage, antwortete der Capitain: „Herr! 
was haben Sie für ein Reckt, mich darnach hier 
auf der Straße zu fragen? Bon schwer errungenen 
Gnaden-Erweisungen Seiner Majestät meines Kai 
sers Paul spricht man nicht auf der Straße gegen 
Unbekannte." 
Der Köniz von Preußen befürchtend, daß der 
Capitain noch heftiger werden könnte, sagte ihm: 
„Sie wissen nicht, mit wem Sie reden; der Herr, 
welchem Sie so unbescheiden antworten, ist Seine 
Majestät der Kaiser von Rußland!" 
Ehrfurchtsvoll verneigte sich der Capitain, ent 
schuldigte sich mit seiner Unwissenheit und wollte sich 
empfehlen, als der Kaiser zn ihm sagte: „Wissen 
Sie auch wohl, wer dieser Herr ist? Cs ist Seine 
Majestät der König von Preußen!" 
Da wurde dem Capitain die Sache doch zu 
abenteuerlich und konnte er sich des Lachens nicht 
enthalten, indem er in seiner gewohnten Ceemanier 
sagte: „Run, Ihr beiden seid mir auch die Rechten! 
Der Eine will ein Kaiser, der Andere ein König 
sein, und das hier in Memel mitten im Frieden. 
Bindet das einem Andern auf die Rase, mir nicht; 
so streiche ich meine Segel nicht!" Damit ging er weiter 
Beide Monarchen lachten herzlich über die so 
höchst amüsante Scene. 
Als aber der Capitain Mittags darauf vom 
Kaiser zur Tafel geladen wurde, und beim Ein 
treten jene beiden Herren erblickte, ward er ganz 
bestürzt, indem er gar nicht glauben konnte, daß 
zwei Herrscher in so einfacher Kleidung ohne alle 
Abzeichen und Bedienung spazieren gehen könnten. 
Ich bin mehr. 
Auf einer sehr zahlreich besuchten Redoute im 
Opernhause zu Berlin, woselbst König Friedrich 
Wilhelm II. zugegen war, erregte eine Charakter 
maske wegen ihres eleganten Kostüms und ihrer her 
vorstechenden Persönlichkeit allgemeine Aufmerksam 
keit. Alles war gespannt, zu wissen, wer die schöne 
Maske sei; schaarenweise umzingelte man sie, scherzte, 
spöttelte u. s. w., jedoch alle Versuche, ihren Namen 
zu erfahren, waren vergebens, und selbst die durch 
Maskenfreiheit erlaubten sathrischen Redensarten 
scheiterten an den äußerst witzigen unb treffenden 
Antworten des begabten Darstellers. Stundenlang 
amüsirten sich nicht allein säinmtliche Masken, son 
dern auch die i» den Logen weilenden Zuschauer 
ergötzten sich an den komischen Spiele», spanischen 
Exercitien und Vorträgen aller Art, besonders aber 
a» den höchst geschmackvoll aufgeführten Tänzen, 
so daß zuletzt der König von seiner Loge aus eben 
falls aufmerksam wurde, einen seiner Adjutanten 
hinunter schickte und fragen ließ, wer die sciöne 
Maske sei. Als dieser nun an die Maöke heran 
trat und fragte: „Maske, wer bist Du?-" erhielt er 
die Antwort: „Wer bist Du?" — „Ich bin Adju 
tant des Königs!" — „Ich bi» mehr!" — unv da 
mit ließ sie den Fragenden stehen. Ueber diesen 
höchst naiven Bescheid lachte der König und sandte 
einen zweiten Adjutanten mit demselben Aufträge, 
allein auch er erhielt die Antwort wie sein Vor 
gänger. Nunmehr ging der jiönig selbst in höchst 
eigener Person hinunter und fragte den trefflichen 
Darsteller: „Maske, wer bist Du?'" — „Wer bist 
Du?" war die Antwort. — Ich bin der König 
von Preuße»!"" — „A la honheur, ich bin nur 
Schützenkönig!" — und die Maske verneigte sich 
tief. Ein allgemeines Gelächter und brav« erscholl 
durch das ganze Opernhaus. 
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Ziethen und stine Schildwacbe. 
Als der General Ziethen in Schweidnitz einge 
rückt war und sich und seine Soldaten einquartirt 
hatte, gab er den Befehl, daß ihn Niemand für den 
Nachmittag stören dürfe, da er sehr ermüdet sei; 
nur in dem Falle, daß sich etwas Außerordentliches 
ereigne, sollten ihm Meldungen gemacht werden. 
Ungeachtet der vor seinem Hause stehenden Schild 
wache gelang es dennoch einem Bettler, in das Zim 
mer teö Generals zu dringen und ihn um eine 
Gabe zu ersuchen. 
Ziethen aufgebracht darüber, daß man so wenig 
seinen Befehl respekrire und ihm nicht einmal die 
nöthige Ruhe gönne, fuhr den Bettler in kriege 
rischem Tone an: „Wer ist Er? Was will Er? Und 
wie kommt Er hier zu mir in's Zimmer?"" 
„Ich bin ein Ziethenscher, wurde bei der Ein 
nahme von Schweidnitz gefangen, bin den Kaiser 
lichen wieder entwischt und komme — wie mein 
General in Schweidnitz — auf geradem Wege in 
dies Zimmer, um mich wieder anzumelden!" war 
die in zwar hartem, aber doch mit mititairischeM 
Anstande gegebene Antwort.
	        
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