Das Geld ist knapp, die Zahlungen gehen schlecht
ein, und man hat eine Menge Ausgaben, auf die
man sich nicht gehörig vorbereiien sonnte.'' —
W. machte ein etwas saures Gesicht. — „Ich
weiß," hob er ziemlich kleinlaut an: „Sie sind ein
! rechtlicher Mann, und ich würde Ihnen gern mit einem
l kleinen Darlehn zu Diensten stehen, wenn nicht eben" —
„O, Sie sind gar zu gütig." unterbrach ihn der
Tailleur; „wenn Sie nur die Gewogenheit haben
wollten, diese kleine Rechnung" —
l „Rechnung? Rechnung?" fiel W., von einer
( entsetzlichen Ahnung ergriffen, ein. — Er war
überzeugt, daß er die seltene Tugend besitze, seine
Kleidungsstücke baar zu bezahlen.
„Sie werden sich erinnern," sprach der Tailleur
! weiter, die Weste, welche Ihre Frau im Rovencher" —
W. erbleichte; er mußte seine ganze Kraft auf-
| bieten, um dem Schneider nicht merken zu lassen,
was Entsetzliches in seiner Seele vorging.
„Ich würde nicht schon heut, am Festtage, so
frei gewesen sein, die kleine 'Rota zu präsentiren,
wenn nicht die Verlegenheit, in welche die Entbin
dung meiner Frau" —
„Wie viel beträgt denn die kleine Nota?" fragte
W. mit tonloser Stimme.
„Es ist nicht bedeutend: — Acht Thaler, zwei
undzwanzig und einen halben Silbergroschen."
Es wurde schwarz vor Ws. Augen. Acht Tha-
ker zwei und — O, dir Schlange!" knirschte
er zwischen den Zähnen. —
Bis auf einen Abzug von zehn Silbergroschen
fehlte er die kleine Nota; der Tailleur dankte
Und empfahl sich.
W. ging, »ach Fassung ringend, einige Mal im
Zimmer auf und ab. Dann trat er, wie ein zür-
uender Gott, vor die Gattin, welche unbefangen im
Nebenzimmer saß und mit ihrer zum Besuch gekom
menen Schwester plauderte.
— „Weib! Gattin! heillose verrätherische Crea-
kur! Ausbund von Tücke und Hinterlist!" so strömte
es über seine blauen Lippen, und bald blaß, bald
Mh färbte sich das zürnende Antlitz; „ist es erhört,
wir, mir diesen entsetzlichen, über alle Maßen gräu
lichen Betrug" —
„Was ist Dir denn, Hänschen?" fragte Frau
W. mit erstaunlicher Seelenruhe.
„Du wagst zu fragen?" rief W., auf's Aeußerste
Empört. „Sich hier, diese Rechnung, — o Unglück-
selige, Du hast mein Herz getroffen! — diesen Ver-
. rath überlebe ich nicht! —
„Nun sage mir nur, was Du für ein Aufhebens
machst?" entgegnete daö beillose Weib mit uner
schütterlicher Ruhe: „die schöne Weste ist doch wahr
haftig nicht zu theuer bezahlt. Erst hast Du Dich
gefreut dazu, wie ein Kind, und nun" —
„Aber ich, ich muß sie bezahlen!" schrie W. er
grimmt.
„Ja, mein Gott, wer soll sie denn bezahlen?"
erwiederte Frau W.; „Du kannst Dir doch unmöglich
eingebildet haben, daß ich von meinem knappen
Wirtschaftsgelde" —
„O Schlange, Schlange!" rief W. fast weinend.—
„Das theure Tuch! — So mußte man mich verführen!"
Jetzt wurde Frau W. empfindlich.
„Gereut es Dich so sehr, mir eine Freude ge
macht zu haben ?" hob sie an: „wer hat Dich denn dazu
genöthigt? Du hattest ja Deinen freien Willen." —
Und sich zu der Schwester wendend, fuhr sie
fort: „Mein Mann wünschte sich eine Weste, wie
ich sie ihm zu seinem Geburtstage habe machen lassen.
Ich that es, um seinem ewigen Kampfe ein Ende
zu machen; er wollte gern die Weste haben, scheute
aber die Ausgabe. Ich dachte, ist sie einmal ge
macht, so wird die Freude über ihren Besitz ihn
wohl die paar Thaler verschmerzen lassen. Jetzt
hörst Du, welchen Dank ich dafür habe, daß ich
ihm eine Ueberraschung bereitet." —
„O — o — o — o — Ueber — Ueber —
Ueber — Ueberrasckung!" schrie W.. und stürzte
wüthend, die kleine Nota in der Hand, zum Zim
mer hinaus. —
Frau W. aber sagte lächelnd zu der Schwester:
„Wie hätte ich anders von dem alten Geizhalse
wohl das Tuch erhalten sollen?" —
Der unbefangene Schiffscapitain-
Bei einem Besuche, welchen der Kaiser Alexan
der von Rußland der preußischen Königsfamilie in
Memel abstattete, machten beide Monarchen am
dortigen Hafen einen Spaziergang, und zwar in
Civilkleidung ohne alle Abzeichen.
Zu dieser Zeit landete gerade ein russisches
Kauffahrteischiff, dessen Eapitain eine einnehmende
Persönlichkeit besaß und einen russischen Orden trug,
der mehrere Jahre sein Vaterland, ja selbst noch
nicht einmal St. Petersburg gesehen hatte, den Kaiser
Alexander gar nicht kannte und von den politischen
Ereignissen Europas auch nicht das Mindeste wußte.
Als derselbe an'S Land gestiegen war und beide
Herrscher so einfach gekleidet, im Gespräche begriffen.