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hält sie mit beiden Händen zu, und reißt sie dann
noch einmal so groß auf, um auf einen Punkt
hinznstarren. — Ist eS ein Traum? — er schlägt
sich mit beiden Fäusten gegen die Lenden, damit
er sich von seinem Wachen überzeuge: — da
hängt sie, die Heißersehnte! — von der Lehne eines
in die Mitte des Zimmers geschobenen Stuhles
lächelt sie ihm entgegen, — ja, sie ist es, die ihm
so viel Lust und Schmerz bereitet, — sie ist es, nach
der sein zagendes Herz gebangt: — die herrliche
Neunthalerweste! —
„Frau! — Gattin! — Engel! — Geliebte!"
stammelt er, — dann sinkt er in sprachlosem Ent
zücken der Freudenspenderin um den Hals.
„O, es war eine schöne Minute, wie sie sich um
schlungen hielten, und W. die von Freudenthränen
feuchten Augen an der edlen Gattin Schulter barg.
„Es ist zu viel, zu viel^" jauchzte er dann, wie
der Athem gewinnend. — „Aber," fuhr er, einmal
in Extase fort, „Deine Großmuth soll mich nicht
beschämen. Auch Du nährst einen Wunsch, — es
koste, was es wolle, er soll —"
Hier mußte ihm seine Uebereilung doch wohl
einfallen: er brach plötzlich ab, und wollte zu etwas
Anderm übergehen, aber Madame fiel schnell ein:
„Daran habe ich nicht gedacht, mein guter Hiero
nymus, - ich wollte Dir nur eine Freude machen:
indessen will ich sehen, ob Du Wort halten wirst."
Den guten Hieronymus durchzuckte eine etwas
bittere Empfindung; er sah ein, er hatte sich durch
die übermäßige Freude zu einer in seinen Augen
großartigen Thorheit hinreißen lassen.
Bis zum Weihnachtsfeste hin fand sich manche
Gelegenheit für Frau W-, den Gatten, jedoch
immer nur im Scherz, an sein, wenn auch nur hglb
ausgesprochenes Versprechen zu erinnern. Er ge
wann am Ende die lleberzeugung, es werde ihm
wohl Alles nichts helfen, — er müsse, so schwer
es auch sei, in den sauren Apfel beißen. Mit bangem
Herzklopfen sah er das Weihnachtsfest immer näher
rücken, — er mußte den Kasten aufziehen, in wel
chem die Scheinchen lagen, noch ein kurzer, schreck
licher Kampf — der Streich fiel — es war ge
schehen — der Kaufmann hatte die Scheinchen, —
W. hielt das dafür erstandene Tuch, — ach, es
war sehr theuer! — in der zitternden Hand.
Er zitterte auch, als er es der Gattin am Weih
nachtsabende überreichte; — er redete sich selbst ein,
es sei die Freude, des lieben Weibes Wunsch er
füllt zu sehen, die ihn zittern mache. — Frau W.
zitterte nicht; sie sprang jubelnd umher, indessen W.
seufzend zu sich selber sprach: „Es ist einmal geschehen!"
Der Neujahrtag war da, mit ihm eine arge
Plage für den sparsamen W.: das Heer der Gra
tulanten. Nach manchem Stoßseufzer waren die
zu diesem Behuf eingewechselten Zweigroschenstücke
verausgabt, Nachtwächter, Schornsteinfeger und was
sonst noch seinen Glückwunsch dargebracht, waren
abgefertigt. auch ber Barbier hatte das einmal her
gebrachte Douceur in Empfang genommen, und tief
aufathmend überließ sich der geplagte Gratulations
empfänger der Hoffnung, man habe ihm nun Glück
genug gewünscht, daß er endlich das Glück haben
werde, mit weiteren Gratulationen unbehelligt zu
bleiben. — Aber — ES klopft. „Hat der
Kuckuck doch noch Einen? -- — Herein!" ruft W.
sehr verdrießlich.
Nein, es ist keiner der gewöhnlichen Gratulan
ten, es ist Meister Chr. Bündelbund, der Schnei
der, — oder vielmehr Chr. Bundelbound, Tailleur
de Paris, — der Paris zwar zur Zeit noch nicht
gesehen, jedoch seinen ältesten Sohn gewiß dahin
schicken wird, sobald er in der Lotterie gewonnen hat.
„Ei was führt Sie denn zu mir?" frägt W-
mit einem freundlichern Gesicht; als es die Gratu
lanten gesehen.
„Ich wollte doch nicht verfehlen, Ihnen, mein
verehrter Gönner, meine ganz ergebenste Gratu
lation zum neuen Jahre darzubringen und den
Wunsch auszusprechen, daß es mir noch viele Jahre
vergönnt sein möge. Ihrem, sich der. besten Gesund
heit erfreuenden Leibe das Beste und Geschmackvollste,
was die Pariser Journale uns vorschreiben, anzu
passen." .
„Danke, danke, Lieber!" entgegnete W. sehr
freundlich; er hörte es gern, wenn man ihm ein
langes Leben wünschte, — besonders, wenn er nicht
dafür zu bezahlen brauchte, — denn er hatte eine
erstaunliche Angst vor dem Tode.
„Gleichzeitig kann ich nicht unterlassen, Ihnen die
ergebenste Anzeige zu machen, daß mich meine Fran
in dieser Nacht mit einem kleinen Töchterchen be
schenkt hat," — fuhr der Tailleur de Paris fort.
„Ei, sieh da! gratulire, gratulire!" sprach W-
„Mutter und Kind sind doch wohl?"
„Den Umständen nach recht wohl, Gottlob!" er
wiederte der Tailleur, „aber" — fuhr er fort, „Sie
werden wissen, verehrter Herr W., dergleichen Be
gebenheiten verursachen immer einige Störung, -"7
und da befinde ich mich denn nicht ganz wohl dabei-