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Unterhaltendes und Belehrendes.
Neujahrs - Überraschung.
Herr W. nennt sich einen guten Wirth, seine
Feinc-e schreien ihn für einen Geizhals aus, —
wir wollen, um chm nicht zu nahe zu trete», und
Jene nicht geradezu Lügen zu strafe», ihm das Prä
bifat eines allzu genauen Mannes beilegen,
j Er hat sich von den Geschäften zurückgezogen,
lebt als Renner ziemlich bequem, und könnte wohl
noch etwas bequemer leben, wenn er nickt eben ein
allzu genauer Rechner wäre. Er versagt sich selbst
die Erfüllung manchen Wunsches, den er, seinen
Mitteln nach, recht gut realisirerl könnte, und ist
im Stande, Tage und Wochen hindurch nach einem
Gegenstände zu seufzen, den er irgend .wo gesehen,
der ihm gefallen, und den er gern sein nennen möchte,
wüste er nur nicht, um ihn zu erlangen, den Geld
schrank ausschließen, und aus demselben ein außerge
wöhnliches Opf r bringen.
So war es ihm mit einer eleganten Weste er
gangen, welche er an dem Schaufenster eines Kleider
wagazins, nicht da, wo man Rock, Hose und Weste für
drei Thaler kauft, — hatte hängen sehen. Diese
»der eine gleiche wäre das höchste Ziel seiner Wünsche
gewesen; — aber sie war theuer. — W. mußte sich
begnügen, das Prachtwerk seufzend anzustaunen: —
das Opfer dafür schien ihm unerschwinglich.
Lange trug er sich mit der ungestillten Sehnsucht
umher; täglich nahm er sich vor, das tückische Sckau-
fenster zu meiden, wo der Gegenstand seiner heißen
Wünsche wie höhnend auf ihn herabsah: — und
kaum verließ er das Haus, um seiner Gewohnheit
"ach eine kleine Promenade zu machen, so schlugen
seine Füße unwillkürlich den Weg dorthin ein, wo
Lust und Schmerz seiner harrten, und ehe er es
sich versah, stand er mit der Brust voll Sehnsucht
dvr den- Gegenstand derselben. —
_ Dem trauten Ehegespons hatte er sein Herz
geöffnet; die liebevolle Gattin, gerührt von seinem
schmerze, redete ihm freundlich zu, er solle durch einen
Griff in die Schatulle des Busens Sehnen stillen:
fast wäre es ihrer süßen Beredsamkeit gelungen, den
guten Wirtb zu dieser Ausschweifung zu verführen,
-7 scheu schwankte er, — aber neun Thaler für
eine Weste! — nein, es war zu unerhört! —
Der verrälherische Wunsch mußte niedergekämpft
werden. —
Frau W. sah das stille Leiden des geliebten
Gatten. Sie wußte es um so mehr zu achten, da
auch tief in ihrem Busen geheime Wünsche wohnten,
deren Realisirung von der "Genauigkeit ihres Ge
mahls nimmer zu erwarten war.
Eine ihrer Freundinnen war im Besitze eines
Tuches, — eines Tuches, dessen Besitz die gute Frau
W. zur glücklichsten Sterblichen hätte machen können.
Sie hatte gewagt, rem Gatten leise des Herzens
Wunsch anzudenken; aber mit Entsetzen hatte er sich
abgewendet, als der Preis ihm genannt worden, ein
Schauder erfaßte ihn über die Höhe desselben. —
So seufzten denn Beide im Stillen; oft aber
wollte das gerrückte Herz sich nicht bändigen lassen,
der stumme Schmerz hörte auf stumm zu sein, und
— „O, wäre sie nicht gar zu theuer!" stöhnte er; —
„Ach, könnte ich es erringen!" jammerte sie.
Monate waren vergangen. Merkwürdigerweise
schien der Schmerz bei der Frau W. früher nachzu
lassen, als bei ihrem Eheherrn, der fort und fort
mit seinen melancholischen Empfindungen kämpfte.
Frau W. war wieder heiter geworben, ein auf
merksamer Beobachter konnte sogar ein schalkhaftes
Lächeln um ihren Mund spielen sehen, wenn der
von Sehnsucht gepeinigte W. sich trüben Angesichts
in seiner Sopha-Ecke hin- und herdrückke. —
Im November war sein Wiegenfest. Er war
daran gewöhnt, daß die liebende Gattin von dem
ihr nicht zu reichlich zugemessenen Wirthschastsgelve
schon einige Monate vorher zu sparen begann, um
ihm zu dem Tage, an welchem er das Licht der
Welt ervlickt, eine kleine Ueberraschung zu bereiten.
Auf eine solche rechnete er auch diesmal.
Der frohe Tag war da. W. wurre mit einem
Kusse von der Gattin geweckt und nahm bankend
ihren Glückwunsch hin. Aber nickt wie sonst hielt
sie ein kleines Päckchen in der Hand, weiches daS
Angebinde enthielt. W. wunderte sich, aber er schwieg.
Verstohlen blickte er spähend umher, ob vielleicht —
aber nichts war zu sehen; und doch schien das heut
vorzugsweise standhafte Lächeln seiner Frau auf
irgend Etwas zu deuten, was ihm nicht recht klar
werden wollte.
Erwartungsvoll stand er auf und kleidete sich
an. Jetzt tritt er in das Zimmer, wo der Kaffee
seiner wartet: — da — 0 Himmel! — 0 ihr
Götter! Er steht erstarrt, reibt sich die Augen,
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