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einer andern Weise ans den Hund oder auf die Katze
gebracht werden mögen — das sind Fragen, auf
welche der Kalendererzähler nicht einmal mit einer
schüchternen Vermuthung zu antworten wagt. Denn
mit den Herren Gelehrten, die über solche Fragen
zu entscheiden haben, ist nicht zu spaßen.
Ein Zeugniß.
In der Stadt Dresden trat vor einigen Jahren
an einem kalten Novembertage ein Junge, dem
Hunger und Kummer ihre trübseligen Wahrzeichen
in's Gesicht gegraben hatten, in den Laden eines
Mannes, der mit musikalischen Instrumenten handelt.
Ich bin aus dem Erzgebirge, sagte der Kleine, indem
er etwas aus einem Tuche wickelte, und will Euch
eine Violine verkaufen. Ich habe sie selbst gebaut.
Der Händler betrachtete das Ding; es war sauber
und hübsch gearbeitet. Ich will sie Dir wohl ab
nehmen, sagte er; aber Katzen im Sack kauf' ich nicht.
Du mußt mir's schriftlich bringen von einem, der's
versteht, daß die Geige auch gut ist.
Der Kalenderleser weiß vielleicht nicht, daß man
einer Violine nicht von außen ansehen kann, ob die
Töne, die in ihr gefangen gehalten sind, lieblich und
voll erklingen, oder heiser und dünn. Auch ein Mann,
der Jahr aus Jahr ein mit Geigen handelt, kann
darum so einem Instrument vom bloßen Besehen,
oder auch wenn er mit dem Bogen drauf herum
streicht, noch nicht abmerken, ob es was Rechtes werth
sei. Es ist eine wunderliche Sache um ein solches
Saitenspiel. Nur der Meister, der aus ihm alle
kräftigsten und zartesten Töne zu locken und seine
geheime Seele gesprächig zu machen versteht, vermag
zu bestimmen, wie köstlich, oder wie gering sein Werth
ist. Eine Geige sieht der" andern fast so ähnlich
wie ein Blatt am Baum dem andern, und doch wird
die eine hundertmal höher als die andere bezahlt.
Die besten kamen ehedem aus Cremona in Italien,
und der Erzähler hat ihrer gesehen und gehört, die
Jahrhunderte alt und für Tausende von Thalern
gekauft waren.
Darum verlangte der Instrumentenmacher ein
schriftliches Zeugniß von einem Sachverständigen und
beschick den Jungen, wo er einen solchen finden
könne. Da drüben um die Ecke gerad aus in dem
hohen Hause wohnt der Herr Musikdircctor So und
So, den laß deine Geige probiren, und wenn er Dir
aufgeschrieben hat, was sie werth ist, kannst Du
wiederkommen.
Der Musikdirector hatte eben Gäste zu Besuch, und
da er den kleinen Bittsteller möglichst bald los werden
wollte und als ein gutherziger Mensch mit den
kümmerlichen Hungermienen des armen Jungen
Mitleid hatte, prüfte er die Geige nicht weiter als
mit den Augen und stellte alsbald ein schönes Attest
aus, in welchem zu lesen war, daß das Instrument
vorzüglich gut und mit hundert Thalern nicht zu
hoch bezahlt sei.
Als aber der kleine Geigenbauer mit freude
strahlenden Augen wieder zu dem Händler kam, war
dem doch der Preis zu hoch, und das allzu flink
herbeigebrachte Zeugniß ein wenig verdächtig. Weißt
du was, mein Sohn, sagte er, mir ist deine Violine
zu theuer; aber in der Schloßstraße Nummer so und
so viel, da wohnt eine Frau, die hält etwas auf den
Herrn Musikdirector; wer weiß, so kauft sie dir
deine Geige ab. Denn der Schalk wußte, daß die
reiche Bierbrauerswitwe, die in der Schloßstraße
wohnte, mit dem Musikdirector ein Liebesverhältmß
hatte, und weil sie einige Tage vorher eine Violine
in dem Laden des Instrumentenmachers hatte kaufen
wollen (es war aber keine vorräthig gewesen), st
schickte der Mann nun den kleinen Quälgeist der ver
liebten Witwe auf den Hals.
Die Frau 1, da sie des Jungen Anliegen ver
nommen und das lobpreisende Zeugniß ihres Galans
gelesen hatte, dachte bei- sich: besser konnte es ja
nicht kommen; jetzt hab' ich mein Christkind, die
Geige, und obendrein schwarz auf weiß, daß sie gut
ist, von dem, der sie haben soll. Also zahlte sie dein
Kleinen die hundert 'Thaler, und er wanderte vergnügt
wie ein Haidlerch ob dem Gelde, dessen er noch
niemals so viel beisammen gesehen, heim in's
Erzgebirge.
Am heiligen Christabend aber, als der Musik
director, der inzwischen erklärter Bräutigam der
Brauerswitwe geworden war, von seiner Braut in
das Zimmer geführt wurde, wo der grüne Tannen
baum im Lichterschmuck brannte, und als seine Augen
das Geschenk höchst neugierig suchten, womit seine reiche
Frau Liebste ihn überrascht habe, da hing an einem
Ast des Christbaums eine Geige und an einem ander»
ein Blatt Papier.
Dem Herrn Musikdirector flimmerte es etwas
vor den Augen, als er das Blatt betrachtete. Es
war das Zeugniß, das er selbst geschrieben. Die
Violine aber, wie er sie nachträglich probirte, taugte
sehr wenig.