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Daß der Büchsenmacher von Celle nicht weit zu
suchen war, und daß es keine Stunde brauchte, bis die
Doppelflinte Eigenthum Seiner Majestät war, und
der Verkäufer ein erleichtertes Herz und eine mit
Goldstücken beschwerte Tasche heimtrug, braucht dem
Leser, der nicht auf den Kopf gefallen ist, nicht die
Länge und Breite erzählt zu werden.
Die blinden Hessen.
Daß wir Hessen blind sind, weiß Jedermann in
ganz Deutschland, von Ritzebüttel bis Constanz und
von Wesel bis Insterburg. Was es aber mit
unserer Blindheit eigentlich für eine Bewandtniß
habe, daß weiß mit Sicherheit zur Stunde noch
gar Niemand. Denn daß wir mit unseren leiblichen
Augen im Allgemeinen so gut sehen wie die andern
Leute auch, daran kann, Gott sei Dank, kein Zweifel
sein, und zum Beispiel die hessischen Scharfschützen
haben es bei nicht wenigen Gelegenheiten manchem
sehr nachdrücklich bewiesen. Und was unsere geistigen
Augen angeht, so hat schon jener hessische Bauers
mann, als ein Nichthesse ihm in plumper Weise ein
£ für ein U vormachen wollte und, verwundert über
vie kluge Antwort, die er bekam, sagte, er habe ge
meint einen blinden Hessen vor sich zu haben, gut
und treffend bemerkt: »blind sin mä, das hot sine
Richtigkeit; awwer was grob is, das säh'n mä doch!«
An jenem Octoberabend 1859, als, wie oben
erzählt worden, der Schreiber dieser Zeilen bei dem
alten Arndt in Bonn zu Besuch war, sagte der,
indem er gestand, die Hessen seien ihm von jeher
besonders lieb gewesen, den Namen der blinde»
Hessen trügen sie, weil sie allezeit tapfere Soldaten
gewesen und immer blindlings auf den Feind los-
gegangen seien.
Diese Erklärung unseres Beinamens könnten wir
Uns nun wohl gern gefallen laßell; aber beim Lichte
der Wissenschaft betrachtet halt sie keinen Stich.
Den» unser Beinamen heißt eigentlich nicht schlechtweg
" blinde Hessen » , sondern »blinde Hundehessen ".
Das klingt noch schlimmer, ist aber so übel nicht,
Menn man der Sache auf den Grund geht. Es soll
Uamlich nicht etwa heißen, hat wenigstens ursprünglich
uicht heißen sollen, daß wir Hessen hündischer Natur
seien. Vielmehr hat der Name aller Wahrschein
lichkeit nach seinen Grund in einer uralten Sage, die
in der Nachrede von unserer Blindheit verdunkelt
und von den Meisten unverstanden bis auf diesen
Dag fortlebt.
Diese uralte, besonders in Hessen, Schwaben und
Baiern im Schwange gehende Sage erzählt von drei,
sieben oder gar zwölf auf einmal geborenen Knäblein,
die, weil sich ihre Mutter fürchtete, oder eine böse
Schwiegermutter es veranstaltete, ausgetragen und
ersäuft werden sollten, durch Dazwischenkunft des
Vaters aber, dem man sie für blinde Welfer ausgab
(Welf bedeutete den jungen Hund, daneben auch das
Junge vom Katzengeschlecht) zur rechten Stunde
gerettet wurden. Hiernach empfingen sie den Namen
Welfe, Hunde oder Eitelwelfe, Eitelhunde und wurden
(so meldet die Sage weiter) Stammherren berühmter
Geschlechter.
Ein Mann von unermeßlicher Gelehrsamkeit, ein
geborener Hesse, der ein ächter Hesse geblieben ist
sein Leben lang, wiewohl in der Heimath seines
Bleibens nicht war — er hieß Jacob Grimm und
ist 1863 in Berlin gestorben — dieser Mann hat
nun die Vermuthung aufgestellt und mit guten
Gründen gestützt: Jene Sage oder eine ähnliche
möge schon in ältester Zeit von einem Urahnen der
Hessen, Schwaben (welche letztere gleichfalls den
Beinamen der blinden in manchen Gegenden führen)
und Barern*) erzählt worden, und im Verlauf der
Zeit der darauf bezügliche Namen der Welfen,
Hunde u. s. w. den Söhnen und Nachkominen jenes
Helden, ja dem gesammten ihm zugehörigen Stamme
angehangen, und ans dem Volke selbst schließlich der
Vorwurf der Blindheit, unverstandener Weise, hängen
geblieben sein.
Neuerdings haben die Gelehrten aber noch ganz
andere und höchst wundersame Dinge in Betreff
unseres Namens ausspiutisirt. Die Hessen gehörten
wie bekannt einem Stamme zu, der bei den alten
Römern Chatten oder Kalten hieß. Es ist nun,
sagen einige Sprachergründer, nicht unmöglich, daß
der Name der Kalten in sprachlicher Vetterschaft
mit dein Namen der Katzen stehe, und es ist ferner
nicht unmöglich, daß eine Verwandtschaft zwischen
dem Namen der Katze (welche bei den uns stamm
verwandten Niederländern «Hesse« heißt) und unserem
hessischen Volksnamen nachzuweisen wäre, für welchen
Fall freilich der Bezeichnung blinde Hunde Hessen
keine Berechtigung mehr zugestanden werden könnte.
Welcher nun unter diesen von den Sprachforschern
aufgepflanzten Stannnbäumen der wurzelfesteste sei,
und ob wir blinden Hessen in Betracht unseres
Namens von der Wissenschaft nicht noch einmal in
*) Dar Geschlecht der Welfen stammt au» Baiern.