Full text: Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen // Amtlicher Kalender für Kurhessen // Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1860-1873)

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Handschuh nach dem andern ins Gesicht zu werfen. 
Schärfer, muthiger und sprachgewaltiger ist kaum 
jemals auf dem Papier gesprochen worden, als damals 
Ernst Moritz Arndt in seinem Buche „Geist der 
Zeit" und in anderen Schriften mit seiner in den 
heiligen Zorn der Vaterlandsliebe getauchten Feder 
wider den wälschen Länderwürger gesprochen hat. 
Nach der unglücklichen Schlacht bei Jena flüchtete 
Arndt nach Schweden. Dort saß er einige Jahre 
meist in gelehrte Arbeiten vertieft, dann nach allerlei 
abenteuerlichen Wagnissen (er hatte den Muth, sich 
mitten unter die Franzosen nach Berlin zu begeben) 
reiste er im Sommer 1812 nach Rußland. 
Dahin — nach Petersburg — hatte ihn der Frei 
herr vom Stein gerufen, der große Staatsmann und 
edle Patriot, der gewaltigste persönliche Gegner des 
Bonaparte, welcher von diesem, weil er als Minister 
König Friedrich Wilhelms des Dritten den gefallenen 
Preußenstaat hatte wieder aufrichten wollen, geächtet 
und aus dem Vaterlande verbannt worden war. 
Der Freiherr hatte den Arndt gerufen, weil er 
dessen Feder benutzen wollte. „Ich mag die Wort 
schnitzler nicht, die weitschweifigen Umwickler, Ent 
wickler und Äuswickler; die hauen meist in die Lust, 
statt die Sache zu treffen." So sagte der Edelmann 
zu Arndt. Von dem wußte er aber, daß er mit 
seinen geschriebenen Worten den Nagel auf den Kopf 
zu treffen verstand. Der Nagel, den's zu treffen galt, 
hieß Napoleon. Gegen ihn sollte Arndt von Peters 
burg aus die unter der Asche glimmenden Funken 
der Vaterlandsliebe in Deutschland zur lodernden 
Flamme entfachen helfen, und das hat Arndt redlich 
gethan. Wenn schließlich dem Bonaparte das Ge 
bäude seiner Riesenmacht über dem Kopfe lichterloh 
angegangen ist, so haben die Wortgranaten und Schrift 
bomben, die Arndt aus Rußland über die Weichsel 
herüber hatte fliegen lassen, ein gut Theil dazu bei 
getragen. 
Als dann der Brand von Moskau dein vermes 
senen Eroberer fürchterlich heimgeleuchtet, und an der 
Beresina und den ganzen Weg bis ins deutsche Land 
hinein der Tod mit seinen grimmigen Helfershelfern, 
dem Schwert, der Kälte und dem Hunger die Schaaren 
des vor Kurzem noch ungeheueren französischen Heeres 
zu einem Haufen Jammergestalten gelichtet hatte (auch 
mancher kurhessischen Mutter mitgeschleppter Sohn 
kam nimmer wieder), und als dann die unsterblich 
kühne That des Generals Jork in Tauroggen den 
Anstoß gab zum Erwachen des deutschen Volkes ans 
langem schmachvollen Schlummer — da war natürlich 
auch für den Freiherrn v. Stein und seinen getreuen 
Feder-Adjutanten Arndt des Bleibens in Rußland 
nicht länger gewesen; sie waren den Franzosen auf 
den Fersen gefolgt, und der Freiherr hatte mit rathen 
dem Wort, der Arndt mit mahnenden Schriften 
den Brand geschürt und in die rechte Gasse lenken 
helfen. Beinahe ein halbes Jahrhundert später, als 
er nenn und achtzig Jahre zählte, hat Arndt von 
jenen Tagen noch geschrieben: „Ich werde das Schwir 
ren, Klingen und Ringen dieser Morgenröthe deut 
scher Freiheit, diesen so leuchtenden Aufgang eines 
neuen jungen Lebens nimmer vergessen." 
In dieser Zeit des Morgenroths von 1813 ließ 
Ernst Moritz Arndt die schmetternden Lerchenlieder 
erschallen, die, wie auf Sturinesfittigen getragen, 
durch alle deutschen Gauen flogen und in alle» 
deutschen Herzen lauten begeisterten Wiederhall fanden. 
Da sang er das Lied: Was ist des deutschen Vater 
land? Die Lieder von Dörnberg (dem braven Hessen- 
mann), von Gneisenau, vom Blücher („Was blasen die 
Trompeten"), von der Leipziger Schlacht, das Trost 
lied: „Deutsches Herz verzage nicht"! Diese Gesänge 
werden nicht vergehen werden, so lange das deutsche 
Volk sich nicht selbst vergißt. 
Im Jahre nach der Leipziger Schlacht, als die 
Hauptarbeit gethan war, ruhte auch Arndt eine 
Weile von den Stürmen der letzten Jahre aus, 
nämlich was bei dem "starken, heißen Arndtsblut» 
ausruhen hieß. Er that seiner allen Wanderlust 
einmal wieder Genüge, besuchte im Sommer und 
Herbst 1814 den Rhein, seinen Lieklingsstrom, und 
wanderte dann durch die Wetterau, Hessen und West) 
phalen nach Berlin. Es geht, sagte er, keine Lust 
und Freiheit über die des Fußgängers, und wer die 
Sitten, Arten und Weisen der Menschen recht erkunden 
will, soll, wo nicht Wüsten und Räuber es ihm 
verbieten, nimmer anders pilgern. 
Als Napoleon im Februar 1815 aus dem Käsig 
zu Elba ausgebrochen war und einen neuen Raub 
vogelflug angehoben hatte, begab sich Arndt schleunigst 
an den Rhein. Er begann in Köln sogleich eine 
Zeitschrift herauszugeben, den..-Wächter»;' denn der 
getreue Eckhart wollte an seinem Theil auch wache» 
helfen, daß der wälsche Feind nicht wieder das kau>» 
erstandene Vaterland abermals zu Boden stürze- 
Jm Jahre der Waterlooschlacht hat Arndt auch 
wieder manch' ein schönes Lied gesungen, vor alle» 
das köstliche Bundeslied:
	        
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