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Unterhaltendes und Belehrendes.
Ernst Moritz Arndt.
Am zweiten Weihnachtötage des Jahres 1869
wird ein Jahrhundert verronnen sei», seit auf der
Ostsee-Insel Rügen ein Kind geboren wurde, das zu
einem herrlichen deutschen Manne, zu einem berühmten
Aedersänger, zu einem edlen, gar getreuen und ächten
Vaterlandsfreunde erwachsen und, zum mehr als neun
zigjährigen Greise gealtert, an Ehren reich, vor noch
nicht langer Zeit zur Ruhe eingegangen ist.
Er hieß Ernst Moritz Arndt. Dem Kalender-
leser ist der Name wohlbekannt. Oder weiß er nicht,
wer das schönste Lied vom deutschen Vaterlande, wer
das Lied vom Vater Blücher, den „deutschen Trost"
und das „BundeSlied" gesungen hat und was der
gleichen Gesänge von dem Rügensohne mehr sind, die
erschallen,
so weit die deutsche Zunge klingt
und Gott im Himmel Lieder singt.
Von dem Manne will der diesjährige Kalender
erzählen, damit, wann der Tag wiederkehrt, an welchem
er vor hundert Jahren geboren wurde, auch recht
diele Hessenherzen eingedenk sein mögen, welch' eine
edle Weihnachtsgabe damals dem deutschen Volke am
fernen Ostseestrande beschcert worden ist.
Auf der Insel Rügen, hart an einer Meeres
bucht, liegt das Landgut Schoritz. Dort hat Ernst
Moritz Arndt'S Wiege gestanden. Sein Urgroßvater
war als schwedischer Unteroffizier nach Rügen gekom
men und hatte sich in ein Vauerwesen der Herrschaft
Putbus eingcheirathet. Der Großvater war ein Schäfer;
der Vater, von einem Grafen auf Reisen mitgeführt,
hatte sich viele Kenntnisse erworben und war deßhalb
Und wegen seiner sonstigen Tüchtigkeit von seinem
Herrn zum Jnspector über dessen Schoritzer Güter
bestellt worden. Die Mutter, eines Ackermanns
Tochter, war eine stille, aber sehr begabte Frau. von
welcher der Sohn die Freude an Büchern und Ge-
lchichten überkam. Er hat sie in treuem Andenken
behalten:
ES war die Muter mein
der beste Schatz, den mir im Leben
der liebe, fromme Gott gegeben,
lang ihr noch der Greis nach.
. _ Der Knabe hatte die tapfere, ungestüme Natur
leine« Geschlechts geerbt, die unter dem Namen des
"starken, heißen Arndtsbluts" auf der Insel sprich
wörtlich geworden war. Einmal ist dem zehnjährigen
Ernst Moritz das Rad eines beladenen vierspännigen
Erntewagens hinter dem Ohr so über den Kopf ge
gangen, daß Haut und Haar blutig abgestreift wurde;
der Schädel aber war ganz geblieben.
Nach seiner mehr in Wald und Feld als über
den Büchern verbrachten Knabenzeit wurde Arndt auf
die Gelehrtcnschule in Stralsund und dann auf die
Universitäten in Greifswald und Jena geschickt. Er
sollte Pfarrer werden, hat später auch zuweilen die
Kanzel bestiegen; bald aber entsagte er dem geistlichen
Amte. Er war zu wanderlustig und zu wAtbetrach-
tnngslustig, als daß er sich entschließen konnte, in
einer Pastorei stillzusitzen. Vom Frühling 1798 bis
in den Herbst 1799 that er seine erste Weltfahrt. Er
durchpilgerte, meist fußwandernd, einen Theil Deutsch
lands, Ungarns, Italiens und Frankreichs. Einige
Jahre später besuchte er auch Schweden. Beide
Reisen hat er in Büchern beschrieben.
Um die Wende des Jahrhunderts ward Arndt
Universitätslehrer in Greifswald, wo er heirathete,
seine Frau aber schon im ersten Kindbett verlor.
Im Jahr 1893 nahm er zuerst als Schriftsteller
das Wort in öffentlichen Angelegenheiten. Er ließ
eine scharfe Schrift gegen die übermäßige Belastung
des Bauernstandes seiner Heimath - Insel drucken.
Das setzte bei den Adligen böses Blut, und sie wollten
ihm einen Majestätsproceß an den Hals hängen.
Als aber der König von Schweden, der damals auch
Regent über Rügen war, in Arndt'S Buch gelesen
hatte, wie schlecht es den Bauern auf der Insel
ging, sagte er: „Wenn dem so ist, so hat der Mann
recht", und eS geschah dem freisinnigen Schreiber nichts.
Bald darauf ließ dieser die erste Schrift gegen
den Menschen los, den er wie keinen andern auf
Erden haßte, (er haßte ihn wie die Sünde selbst) —
gegen den Napoleon. Arndt erkannte schon damals
in dem gekrönten Advokatensohne von Corsika, wäh
rend viele Deutsche ihn noch für den Retter Europa's
ansahen, den Störenfried Europa's, den Leutever-
derber, den Erzfeind der deutschen Nation. Als dann
dieser zum Franzosenkaiser mit Bajonetten empor
gehobene Bastard der Revolution im Jahre 1805
Oesterreich und im unseligen Jahre 1806 auch Preußen
niedergeworfen hatte und sein Menschenmetzgergewerbe
immer blutiger betrieb, da wagte es der Mann von
Rügen, dem Allgewaltigen einen geschriebenen Fehde-
L*