Full text: Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen // Amtlicher Kalender für Kurhessen // Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1860-1873)

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Gutes verlautete, traf dieses Loos unter Andern auch 
einen oberländischen Bauernsohn, der denn beim 
Abschied daheim versprach, nach Möglichkeit Nachricht 
von seinem Schicksal zu geben. An der Felrpost 
fehlte es soweit nicht, da jedoch das Briefgeheimniß 
der Napoleonischen Zeit nicht gar hoch in Ehren 
stand, so kam er mit seinen Eltern auf den Gebrauch 
einer Kriegslist überein. Gehe es ihm gut, so werde 
er am Schlüße des Briefes hinzufügen: Grüßt mir 
den Herrn Pfarrer; gehe es ihm schlecht, so werde 
es heißen: grüßt mir den Herrn Schulmeister; was 
sonst noch in dem Briefe stehe, darauf sei weiter 
kein Gewicht zu legen. Der Rekrut marschierte ab. 
Sein erster Brief, noch aus Bahonne, brachte einen 
Gruß an den Pfarrer; in dem zweiten aus Spanien 
hieß es schon: grüßt mir den Herrn Pfarrer und 
den Herrn Schulmeister; - sodann blieben geraume 
Zeit die Briefe ganz aus, bis endlich wieder einer 
anlangte, in dem er schrieb: Grüßt mir den 
Herrn Schulmeister viel tausendmal! 
Der Leser weiß nun schon, wie es dem Mann 
auf dem Thurme möglich war, mitten zwischen Franzosen 
und Franzosenfreunden dem Andern zu melden, wie 
c * auf dem Schlachtfeld stand, ohne daß auch der 
geriebenste Aufpaßer die Bedeutung jener Worte 
hätte merken können. 
Hessische Bruderliebe. 
Um das Jahr 1540 gelangte nach Allendorf an 
der Werra an die Brüder Hans unb Bernhard 
Waldis, „Mitglieder des verordneten Ausschusses 
der gemeinen Pfänner in den Soden« die Nachricht, 
ihr leiblicher Bruder, Burkhard Waldis, werde zu 
Riga an' der Ostsee seit zwei Jahren in schwerer 
Gefangenschaft gehalten. 
Wie. war Burkhard Waldis, der nachmals ein 
berühmter Mann wurde, von den Ufern der Werra 
an die Mündung der Düna und wie und warum 
war er daselbst in's Gefängniß gerathen? Der 
Kalenderschreiber weiß es nicht, andere gelehrtere 
>wute aber auch nicht. Nur das weiß er, daß Burk- 
hardWaldis, welcher um die Zeit, in welcher Martin 
Luther zwei Jahre alt war (der Leser weiß nun 
Ichon wann) zu Allendorf das Licht der Welt er 
blickte, einen wunderlichen Lebensweg gemacht hatte, 
bis seine Brüder die erwähnte Kunde von seiner 
Haft erhielten. Dieser Weg führte aus dein Hessen 
land in das Kloster nach Riga, aus dem Kloster in 
erzbischöflichem Auftrag nach Deutschland, von da 
(zum ersten von zwei Malen) in's Gefängniß in 
Riga und im Gefängniß vom katholischen Glauben 
zum gereinigten Lutherthum'; sodann aber, nachdem 
Burkhard aus einem Mönch ein evangelischer — 
Kannegießer geworden war, zog er mit Zinn- 
waaren von der Ostseestadt aus weit in der Welt 
umher bis nach Holland, ja bis in's Land Portugal, 
bis er Anno 1538 (man weiß, wie gesagt, nicht 
aus welchen Gründen, doch waren es sicherlich keine 
Unehrenhaften) abermals in's Rigaer Gefängniß 
wandern mußte und, wie er uns selbst berichtet, hat, 
„fast in die dritthalb jähr mit großer Beschwerung 
verhafft, dazu mit scharpffer Tortur vnd Bedrawnng 
peinlich ersucht vn angegriffen« war. 
Alö das die Mitglieder des verordneten Aus 
schusses derigemeinen Pfänner in den Soden Hans und 
Bernhard Waldis erfuhren,-- haben sie ihre Lieben 
Weiber und Kinder und all' das Ihrige verlassen 
und sind zu Wasser und Land über zweihundert 
Meilen weit nach dem fernen, fremden Riga gezogen, 
auf daß sie ihren „lieben und leiblichen Bruder 
wiederumb sehen dnd mit göttlicher Hülff loß vnd 
ledig machen möchten«. Was ihnen auch gelungen 
ist, so daß sie ihn erlösten und mit sich heimführten 
ins Hessenland nach Allendorf an der Werra. 
Wenn der Kalenderleser, auf der Landkarte nach 
schauen will, wo die Werra fließt und wo Riga 
liegt, so wird er merken, daß es ein weites Stück 
Weges ist, das dazwischen liegt, und daß auch die 
Herzen weit und erfüllt mit echter Bruderliebe ge 
wesen sein müssen, die den Hans und Bernhard 
Waldis nicht ruhen ließen, bis sie aufbrachen, ein 
solches Werk der Treue zu vollführen. Denn ist es 
heute, wo die Dampswagen und Schiffe von Hessen 
ab fliegen bis hinauf in die Ecke der Ostsee, in der 
Riga liegt, eine Reise von einer halben Woche, so 
wußte man dazumal noch nichts von der Macht, 
welche in kochendem Wasser steckt, und der Fürst von 
Thurn und Taxis, wenn die beiden Salzpfänner 
das Geld gehabt hätten, zu fahren, hatte auch eine 
Post von Allendorf nach der Ostseestadt noch nicht 
eingerichtet. Daher es die Brüder wohl und sauer 
verdient hatten, daß ihnen Burkhardus anno 1552 
ein Zeichen seines erkenntlichen Gemüthes gab, indem 
er ihnen zum Dank für die bewiesene „rechte unge 
färbte wahre brüderliche Liebe« den Psalter, den er 
übersetzt und in neue Gesangsweise und künstliche 
Reime gebracht'hatte, zueignete. 
Burkhard Waldis hat dann eine Weile nach der 
Heimkehr still in seiner Vaterstadt ausgeruht von
	        
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