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Gutes verlautete, traf dieses Loos unter Andern auch
einen oberländischen Bauernsohn, der denn beim
Abschied daheim versprach, nach Möglichkeit Nachricht
von seinem Schicksal zu geben. An der Felrpost
fehlte es soweit nicht, da jedoch das Briefgeheimniß
der Napoleonischen Zeit nicht gar hoch in Ehren
stand, so kam er mit seinen Eltern auf den Gebrauch
einer Kriegslist überein. Gehe es ihm gut, so werde
er am Schlüße des Briefes hinzufügen: Grüßt mir
den Herrn Pfarrer; gehe es ihm schlecht, so werde
es heißen: grüßt mir den Herrn Schulmeister; was
sonst noch in dem Briefe stehe, darauf sei weiter
kein Gewicht zu legen. Der Rekrut marschierte ab.
Sein erster Brief, noch aus Bahonne, brachte einen
Gruß an den Pfarrer; in dem zweiten aus Spanien
hieß es schon: grüßt mir den Herrn Pfarrer und
den Herrn Schulmeister; - sodann blieben geraume
Zeit die Briefe ganz aus, bis endlich wieder einer
anlangte, in dem er schrieb: Grüßt mir den
Herrn Schulmeister viel tausendmal!
Der Leser weiß nun schon, wie es dem Mann
auf dem Thurme möglich war, mitten zwischen Franzosen
und Franzosenfreunden dem Andern zu melden, wie
c * auf dem Schlachtfeld stand, ohne daß auch der
geriebenste Aufpaßer die Bedeutung jener Worte
hätte merken können.
Hessische Bruderliebe.
Um das Jahr 1540 gelangte nach Allendorf an
der Werra an die Brüder Hans unb Bernhard
Waldis, „Mitglieder des verordneten Ausschusses
der gemeinen Pfänner in den Soden« die Nachricht,
ihr leiblicher Bruder, Burkhard Waldis, werde zu
Riga an' der Ostsee seit zwei Jahren in schwerer
Gefangenschaft gehalten.
Wie. war Burkhard Waldis, der nachmals ein
berühmter Mann wurde, von den Ufern der Werra
an die Mündung der Düna und wie und warum
war er daselbst in's Gefängniß gerathen? Der
Kalenderschreiber weiß es nicht, andere gelehrtere
>wute aber auch nicht. Nur das weiß er, daß Burk-
hardWaldis, welcher um die Zeit, in welcher Martin
Luther zwei Jahre alt war (der Leser weiß nun
Ichon wann) zu Allendorf das Licht der Welt er
blickte, einen wunderlichen Lebensweg gemacht hatte,
bis seine Brüder die erwähnte Kunde von seiner
Haft erhielten. Dieser Weg führte aus dein Hessen
land in das Kloster nach Riga, aus dem Kloster in
erzbischöflichem Auftrag nach Deutschland, von da
(zum ersten von zwei Malen) in's Gefängniß in
Riga und im Gefängniß vom katholischen Glauben
zum gereinigten Lutherthum'; sodann aber, nachdem
Burkhard aus einem Mönch ein evangelischer —
Kannegießer geworden war, zog er mit Zinn-
waaren von der Ostseestadt aus weit in der Welt
umher bis nach Holland, ja bis in's Land Portugal,
bis er Anno 1538 (man weiß, wie gesagt, nicht
aus welchen Gründen, doch waren es sicherlich keine
Unehrenhaften) abermals in's Rigaer Gefängniß
wandern mußte und, wie er uns selbst berichtet, hat,
„fast in die dritthalb jähr mit großer Beschwerung
verhafft, dazu mit scharpffer Tortur vnd Bedrawnng
peinlich ersucht vn angegriffen« war.
Alö das die Mitglieder des verordneten Aus
schusses derigemeinen Pfänner in den Soden Hans und
Bernhard Waldis erfuhren,-- haben sie ihre Lieben
Weiber und Kinder und all' das Ihrige verlassen
und sind zu Wasser und Land über zweihundert
Meilen weit nach dem fernen, fremden Riga gezogen,
auf daß sie ihren „lieben und leiblichen Bruder
wiederumb sehen dnd mit göttlicher Hülff loß vnd
ledig machen möchten«. Was ihnen auch gelungen
ist, so daß sie ihn erlösten und mit sich heimführten
ins Hessenland nach Allendorf an der Werra.
Wenn der Kalenderleser, auf der Landkarte nach
schauen will, wo die Werra fließt und wo Riga
liegt, so wird er merken, daß es ein weites Stück
Weges ist, das dazwischen liegt, und daß auch die
Herzen weit und erfüllt mit echter Bruderliebe ge
wesen sein müssen, die den Hans und Bernhard
Waldis nicht ruhen ließen, bis sie aufbrachen, ein
solches Werk der Treue zu vollführen. Denn ist es
heute, wo die Dampswagen und Schiffe von Hessen
ab fliegen bis hinauf in die Ecke der Ostsee, in der
Riga liegt, eine Reise von einer halben Woche, so
wußte man dazumal noch nichts von der Macht,
welche in kochendem Wasser steckt, und der Fürst von
Thurn und Taxis, wenn die beiden Salzpfänner
das Geld gehabt hätten, zu fahren, hatte auch eine
Post von Allendorf nach der Ostseestadt noch nicht
eingerichtet. Daher es die Brüder wohl und sauer
verdient hatten, daß ihnen Burkhardus anno 1552
ein Zeichen seines erkenntlichen Gemüthes gab, indem
er ihnen zum Dank für die bewiesene „rechte unge
färbte wahre brüderliche Liebe« den Psalter, den er
übersetzt und in neue Gesangsweise und künstliche
Reime gebracht'hatte, zueignete.
Burkhard Waldis hat dann eine Weile nach der
Heimkehr still in seiner Vaterstadt ausgeruht von