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befriedigt, werfen etwas kleine Münze ans den
Recepturtisch unv gehen ab.
Da, als der Apotheker die Flasche wieder an
ihren Platz stellen will, wird er etwas gewahr, das
ihm eine Gänsehaut über den Leib zieht und seine
Wangen leichenfahl färbt. Die Flasche nämlich
trägt nicht die Inschrift aqua vitae (d. i. Lebens
wasser — es dürfte aber für Manchen richtiger den
Namen »Wasser des Todes» führen), sondern aqua
sortis, zu Deutsch Scheidewasser. Der Apotheker
hat in seiner Verbaselung den beiden Männern statt
Branntweins von der ätzenden Säure eingeschenkt,
die einem Stier das Eingeweide zerfressen und ihn
todten kann, geschweige einen Menschen. Eine un
sägliche Angst überfällt den Mann, der im Friedens-
arsenal über Büchsen und Pulver herrscht. Er sieht
in seinem Geist die Kosacken den ihrigen aufgeben,
sich selbst als Giftmörder standrechtlich verurtheilt
und vor die Mündung russischer Gewehre gestellt,
sein Weib verwittwet, seine Kinder verwaist.
Jeden Augenblick müssen die Rächer eintreten und
ihn fortschleppen; wenn die Klingel der Apotheken
thür ertönt, hört er ihm das Todtenglöckchen läuten,
und er, der so manches Kraut gegen den Tod um
sich hat, sagt sich, daß gegen den seinigen, der vor
der Thür steht, keins gewachsen ist.
Aber Stunde auf Stunde verrinnt, ohne daß
die Häscher sich einstellen. Die Zeit kommt heran,
zu welcher die Russen auf dem Marktplatz sich zum
Weitermarsch versammeln. Da endlich (das Schlimmste
ist besser, wenn es da ist, als das Fürchterliche,
wenn es nur droht) geht die Thür der Apotheke
ans und herein treten abermals zwei Kosacken. Der
Apotheker traut seinen Augen kaum, denn es sind
dieselben Männer, denen er den Tod in's Eingeweide
gegossen hat. Er glaubt zwar nichts Anderes, als
daß sein letztes Stündlein geschlagen habe, nur,
meint er, werde die Execution mit noch weniger
Umständen, als das Standrccht zu machen pflegt,
von den beiden Männern, die vor ihm stehen, kurzer
Hand besorgt werden. Tie aber, mit den freund
lichsten Gesichtern von der Welt, treten an den
Tisch und lassen abermals das Wort »Wodki!» er
tönen. Diesmal ergreift die zitternde Hand des
Apothekers statt der aqua sortis die aqua vitae und
sogleich stehen die hohen Kelchgläser wieder zum
Rande gefüllt da. Die Kosacken kosten, schütteln
den Kopf, aber anders als zuvor, setzen die Gläser
vom Munde ab und sagen: Nix ma Dobri, Wodki,
Wodki! Jetzt fällt es dem Apotheker wie «Schuppen
von den Augen; er leert den Schnaps aus den
Gläsern gutes Muthes wieder in die Flasche, gießt
dieselben abernials mit Scheidewasser voll, die
Kosacken lassen die schärfe Fluth mit unsäglichem
Behagen durch die Kehle rollen, drücken höchst ge
müthlich dem vom Alpdruck befreiten Büchsenmaune
die Hand und eilen dann dein inzwischen vorbeigerittenen ;
Zuge ihrer Landsleute nach. Der Apotheker aber, tief
ans seiner befreiten Brust ausathmend, sagt zu sich:
Es geht doch nichts über einen guten Magen.
Grüßt mir auch den Herrn Schulmeister.
Während der Schlacht bei Leipzig (es war am
ersten der blutigen Tage, ant 16. des Oktobers 1813)
war einem badische» Offizier, der mit dem Säbel ,
gezwungenermaßen ans Seiten des Napoleon, mit j
dein Herzen aber auf Seiten seiner deutschen Lands
leute stand, befohlen, mit einigen anderen, nicht deutsch
gesinnten Offizieren der französischen Armee vom
Thurme des kleinen Joachimsthals aus die Bewegungen
der verbündeten deutschen Truppen zu erspähen. Als
er so dadrobcn stand, sah er einen rheinländischen
Kameraden drunten vorüberreiten, der ihn bei Namen
rief und fragte: »Wie stehts?» — »Bei mir gut, lautete
die Antwort, die Herren hier aber laßen den Herrn j
Schulmeister grüßen.» Ueber diese seltsame Mittheilung :
freute sich der Reiter unbändig. Denn, während von den
Anderen niemand begriff, was sie bedeutete, hatte er
sofort weg, daß es mit den Franzosen schlecht stehe. ,
Um das zu faßen, muß man Folgendes wißen.
Die beiden Badenser, der auf dem Thurm, und der
unten ans.der Straße, waren im Winter 1812 auf
1813 zu Carlsruhe die Stammgäste einer Schöpple-
gesellschaft gewesen, deren Mittelpunkt und geistiges
Haupt der Mann war, welcher wohl von allen
Menschen, die je gelebt haben, das Geschichtenerzählen
am besten verstand. Er war dazumal Schuldirector
in der badischen Hauptstadt und daneben Kalender
macher (alle anderen Kalenderschreiber find, gegen
ihn gehalten, elende Stümper), hieß Johann Peter
Hebel und der Leser wird ihn nun schon kennen.
Unter den Geschichten, die er an jenen Winterabenden
erzählte (der Ton und die Manier der Erzählung
that das beste dabei und wenn an einer Geschichte
selbst nicht viel war, Johann Peter Hebel machte
schon Etwas daraus) kam auch die nachstehende vor:
Als im spanisch-französischen Krieg auch badische
Truppen ausmarschieren mußten, um auf der phre-
näischen Insel mitzukämpfen, von woher nicht viel