Full text: Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen // Amtlicher Kalender für Kurhessen // Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1860-1873)

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heraus sich auf gut Hochdeutsch bei Namen rufen 
hörte: Guten Tag, alter Freund, wie geht's und 
wie steht's? Denn es waren zwar meistens, aber j 
| nicht lauter Strolche und Lumpen, die sich den Ver- 
folgern in falschem Gewände anschlossen, sondern 
auch Männer, welche der Franzosenhaß antrieb, sich 
, solchergestalt zu vermummen. Einen Kosackeu nach 
zumachen, wenn man nichts Besseres zu thun hatte, 
war dazumal kein großes Kunststück. Wer eine 
Lanze, eins jener struppigen Pferde und einen der 
grauen Kittel, welche die bärtigen Männer trugen, 
sich verschafft hatte, brauchte nur, was eben nicht 
schwer hält, sich des Deutschsprechens zu enthalten 
und statt dessen die paar kosackischen Hauptworte: 
Wodki, Dobri, ein bischen unverständliches Fluchen 
auf „udschi" und „wudschi" und dergleichen mehr, sich 
einzustudieren, so war der nachgemachte Kosack 
fertig, zumal die nöthige Nngewaschenheit und Un- 
gekämmtheit sich schon durch kurze Enthaltung von 
Seife und Kamm ohne Mühe bewerkstelligen ließ. 
Zwei solcher nachgemachten Kosackeu, ihres 
Zeichens Galgenvögel der schlimmsten Sorte, ritten 
an einem der Tage, an welchem die geschlagene 
Armee des »Welteroberers" sich die Berkaer Straße 
entlang wälzte, in den Pfarrhof des kurhessischen 
Dorfes H., banden ihre Pferde an die Staketen 
wand, traten ohne Umstände in die Wohnstube des 
Pfarrers und gaben demselben durch unzweideutige 
Geberden zu verstehen, daß sie nähere Bekanntschaft 
mit seiner Kasse zu machen wünschten. Der Pastor, 
sich ins Unabänderliche fügend, will auch sogleich 
den Schreibpult ausschließen, um die ungebetenen 
Gäste durch Einhändigung etlicher Thaler los zu 
werden; da giebt ihm die Pfarrerin, welche in ihrem 
Nähtisch kleine Münze hat, ein abwehrendes 
Zeichen, holt ein Häuflein Groschen und Dreier 
herbei und legt es den Strolchen auf den Tisch. 
Nix da, brummt der eine von ihnen, groß Geld, 
uit klein Geld, und bei diesen Worten streicht er die 
Münzen mit der Hand von der Tischplatte weg, daß 
sie weit in der Stube umherrollen. Der Hausherr, 
erwägend, daß gegen die Leidenschaft für Großgeld 
bei dieser Sorte von Baterlandsbefreiern augenblick- 
iich kein Mittel zu brauchen ist, tritt nun gelassenen 
Muthes an den Pult. Da, wie er eben den 
Schlüssel dreht, sieht das raubvogelscharfe Auge 
bes einen Dcutschkosacken eine goldene Uhrkette an 
der Weste des Pastors baumeln. Wie der Blitz ist 
er neben ihm, faßt nach der Kette, die aber reißt 
bei dem Griff entzwei, und der Pfarrer eilt nun, 
Hülfe gegen die Biedermänner zu holen, zur Thüre 
hinaus. Die Pfarrfrau aber, die nur den Griff 
des Diebes nach der Brust ihres Mannes und dann 
dessen Davoneile» gesehen hat, meinend, der Nichts- 
würdige habe ihrem lieben Eheherrn einen Stich 
versetzt, fühlt den Zorn der gereizten Löwin in sich 
entbrennen. Mit geballter Faust stürzt sie auf die 
Kosackeu los, läßt Schlag auf Schlag bald dem 
einen bald dem andern auf's Genick fallen, hagel 
gleich, dicht und fest, keinen daneben. Und die 
rauhen Krieger? Unter des zornmüthigen Weibes 
Fäusten, keinen Widerstand versuchend, raffen sie, 
von fortwährenden Hieben und Püffen getroffen, die 
zerstreuten Münzen von der Erde auf und erst, als 
sie das «klein Geld» bis auf Heller und Pfennig 
zusammen haben, suchen sie das Weite. Diese Ge 
schichte (der Kalenderschreiber hat sie von einem Enkelsohn 
der tapfern Frau, einem zuverlässigen Mann) ist wahr 
und wahrhaftig geschehen im Dorfe H. im October des 
unvergeßlichen Jahres achtzehnhundert und dreizehn. 
In der vorstehenden Erzählung ist Alles ächt 
und ungefälscht, außer die Kosackeu. Die nun fol 
gende handelt dagegen von ächten Kosackeu, geht 
jedoch im Uebrigen vielleicht ein wenig an der Wahr 
heit vorbei. Wenigstens will sie der Erzähler nicht 
verbürgen, sondern nur weitergeben, was ihm 
(diesmal aus keinem unbedingt zuverlässigen Munde) 
überliefert worden ist. 
Im Jahre der Leipziger Schlacht, abermals im 
Herbste, stand einmal der Apotheker eines deutsche» 
Landstädtchenö (es kann ein kurhessisches gewesen 
sein) in seiner Apotheke und mischte seine 99procen- 
tigen Tränke und Salben. Da begab es sich — am 
selbigen Tage war eine Abtheilung Russen auf dem 
Durchmarsch in's Städtchen gekommen — daß zwei 
Kosackeu in die Offizin traten und aus dem Urwald 
des Bartes, welcher ihr Gesicht beschattete, das 
unserem Neunundneunziger bereits wohlbekannte Wort 
„Wodki" ertönen ließen. Im Apothekerlatein lautet 
dasselbe Ding aqua vilae; zu Deutsch heißt es kurz 
weg Schnaps. Der Apotheker, ein etwas ängstlicher 
Mann, der glaubte, der Besuch der Bartmänner 
gelte andern Absichten, als derjenigen, in welcher 
man „in sich geht und denkt, wo man einen gute» 
schenkt", beeilte sich, das Begehren seiner Gäste zu 
erfüllen, ergreift eine Flasche und gießt ihnen daraus 
zwei stattliche Kelchgläser voll; die Kvsacken leeren 
sie auf Einen Zug, schütteln sich zwar ein wenig 
dabei, etwa, wie wenn sie sagen wollten »brrr, was 
man nickst gewohnt ist!« schmunzeln dami aber sehr
	        
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