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Unterhaltendes und Belehrendes.
Heute.
Ich stehe an einem Bach und schaue in die
Wellen, wie sie zittern und wie sie rennen, schnell
fortzukommen, und ich schaue mit den Gedanken
noch weiter, als die Augen reichen, dem Wasser
nach. — Wo gehst Du hin, kleine Welle und wo
kommst Du her? Sie ist am Gebirg droben geron
nen aus moosiger Quelle und ist ungesehen wild
abgestürzt vom Felsgestein, und wie in Schweiß
gekommen schäumt und schnauft sie noch eine Zeit
lang int engen Thal und fließt dann besänftigt
durch schone, weite Ebenen. Jetzt glänzt das Wasser
flöckchen im Sonnenschein, und nachher versinkt es
int Schatten von Weidengebüsch, und sechs Stunden
später leuchtet es wie ein mildes Flämmchen, röth-
lich und goldig im Abendroth. Die Sonne sinkt;
aber die Welle wellt fort, bald stahlgrau und dunkel,
bald weißblau im Mondschein, oder geht unter in
schwarzer Nacht.
So geht eö mehrnial fort, und zuletzt stürzt das
Wassertröpfchen in einen Fluß oder Strom und wird
hmuntergeschwemmt ins Meer. Aber so groß und
unergründlich das Meer auch ist, die kleine Welle
versäuft nicht darin und geht nicht verloren und es
giebt ein Auge, das jedem Tropfen im Meere nach
kommt, woraus jene Wette zusammengesetzt ist.
Man kann oft in Büchern lesen, die Zeit sei
wie ein Fluß und die Ewigkeit wie ein unendliches
Meer. Nun denn, ein Tag im Menschenleben, ein
Heute ist grade so wie eine kleine Welle, die im
Dache schwimmt und sich hebt und glänzt und
wieder versinkt.
Es quillt der Tag hervor aus der Nacht und
dem Schlaf, glitzert und zittert eine Weile an der
Helle und sinkt wieder hinab in die»Nacht und den
Schlaf. So ein Tag ist eine Spanne Zeit, ein
Schritt, ein Pendelschlag, ein Ruck vorwärts. Jeder
l^ag ist eingeklemmt zwischen zwei Nächten; ein Tag
kommt dem Alten zuletzt noch vor, wie wenn man im
Finstern Feuer schlägt, wie wenn es in der Nacht blitzt.
O Mensch, Du kannst die Uhr still stehen
Aachen, aber nicht die Zeit und nicht Dein Heute.
Sie Gelehrten sagen: Die Erde mit Allem, was
oarauf ist, jage schneller im Weltraum fort, als
«ne losgeschossene Büchsenkugel, ohne daß wir es
lehen. Das ist das stille Jagen, der stille Sturm
k'vr Zeit. Laß Dein Leben nicht darin zerbröckeln
und zerstäuben in verdorbene, nutzlos verlebte Tage.
Du bist nur Herr und Eigenthümer des heutigen
Tages; die vergangenen Tage sind unauslöschlich
eingeätzt im Buch Deines Lebens, und vielleicht
kommt bald das letzte Blatt, Dein letzter Tag;
und ddr Sarg, in den sie Dich legen, ist der Ge
dankenstrich zu Deinem verflossenen Erdenleben;
dann nagelt der Schreiner noch den eisernen Schluß-
punkt hinein; der Todtengräber aber wirst den
Streusand über Dich hin mit seiner Schaufel. Gott
behüte Dich!
Was eine Billion heißen will.
Ein Handluugsreisender, einer von denen, welche
regelmäßig schweigen, wenn sie schlafen oder essen,
und welche im Linksmachen der Wahrheit es dem
seligen Münchhausen an Dreistigkeit gleich thun,
aber nicht an Geschicklichkeit, sitzt am Wirthshaus-
tisch und erzählt von seinen Reisen in Rußland. In
Petersburg, sagt er, giebt es eine Straße, darin
würde ein Millionär ein Lump sein; denn es wohnt
darin fast kein Familienvater, der nicht mindestens
eine Billion im Vermögen hat.
Das geht an, bemerkt trocken ein Mann, der
bisher still dabei gesessen hat und wie ein lebendiges
Rechenexempel aussieht. Im übrigen Europa giebt
.es keine Billionäre, in Rußland werden sie wol
besseren Boden hq,ben. Bei uns zu Lande sind die
Leute auch zu kurzlebig um ihre Billion, wenn sie
eine hätten, zählen zu können. In Rußland bei der
großen Kälte mögen sie sich dagegen länger halten.
Wie meinen Sie das? fragt der Handlungs
reisende etwas verblüfft.
Ich meine, erwidert der Andere, daß Sie, wenn
Sie heute einen der Familienväter aus der Peters
burger Billiouenstraße beerbten, Zeit Ihres Lebens
nicht fertig bekämen, Ihr Erbtheil zu zählen.
Lächerlich! Mit Louisdors getrau' ich mir eine
Billion (hätt' ich sie nur!) innerhalb einer Woche
bequem abzuzählen, denn ich habe im Geldzählen —
für And're — Uebung und zähle in jeder Minute
hundert Goldfüchse, wenn's verlangt wird.
Ganz gut, entgegnet mit türkischer Gelassenheit
das Rechenexempel. Ich will Ihnen meinethalben
gestatten, die Summe in Goldstücken zu je kl) Thalern
im Werth zu zählen. Und nun will ich Ihnen vor-
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