Full text: Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen // Amtlicher Kalender für Kurhessen // Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1860-1873)

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Ziegenhains verlangte. Aber der Commandant der Festung, 
Heinz von Lüder (s. oben), behauptete dieselbe mit festem, 
unerschrockenem Muthe. „Der freie Landgraf hat mir diese 
Feste übergeben, und dem freien Landgrafen werde ich sie 
auch nur wieder überantworten!^ so sprach er, und Ziegen 
hain blieb unversehrt. Und als der Landgraf, wie erzählt 
tvird, wieder in sein Land zurückkehrte, kam der kaiserliche 
Befehl, den Widerspenstigen unter dem Thore der Festung 
an einer Kette aufzuhängen. Philipp gehorchte, legte dem 
tapferen Kriegsmanne eine g old e ne.Kette unter den Armen 
her, ließ ihn in die Höhe beben, daß er ein wenig über der 
Erde schwebte und machte ihm dann die Kette als ein Zeichen 
| seiner Hochachtung und Anerkennung für die ihm gehaltene 
Treue zum Geschenk. 
Landgraf Philipp regierte nach der Rückkehr aus seiner 
Gefangenschaft noch 15 Jahre zur Wohlfahrt seines Landes, 
zum Segen für sein Volk und zu einer größeren Stärkung 
und Befestigung des evangelischen Glaubens. In seinem 
Haushalt und seiner Hofhaltung waltete die höchste Einfach 
heit und Sparsamkeit. Wie alle Ausgaben und Einkäufe 
ein Kammermeister mit einem Secretarius und einem Schreiber 
besorgte, so hatte er zu seiner Bedienung nur einen Kammer 
knecht und drei „adlige Buben", und das Amt eines Stall 
meisters besorgte ein Sattelknecht aus dem alten Geschlecht 
ber Diede vom Fürstenstein. Er scheute sich nicht, seinen 
Beamten für die festlichen Tage vorzuschreiben, wie viel sie 
an Forellen, Hasen und wilden Vögeln zur landgräflichen 
Ache liefern sollten; dabei pflegte er selbst vorzulegen und 
sah es gern, wenn die Gäste tapfer zulangten. Für ein 
Hauptgericht galt bei ihm schon ein Huhn, das in seiner 
Brühe mit etlichen Weckschnitten zubereitet war, und als er 
einst einen Pfälzgrafen bewirthen wollte, bemühte er sich, 
einen wälschen Hahn zu bekommen. 
Mit Treue und väterlichem Ernste wachte der Landgraf 
über die Erziehung seiner Kinder; er stellte jeden seiner Söhne 
Unter die Aufsicht eines eigenen Hofmeisters und war gar 
Manchmal in ihren Unterrichtsstunden zugegen, besonders 
Menn die alten Geschichtschreiber erklärt wurden. In der 
Kleidung und überhaupt im Aeußeren verschmähte er Pracht 
Und Aufwand, und wie er selbst stets schlicht und einfach 
Meidet einherging, und ein Feind aller neuen Moden und 
^errathen war, so blieb er auch dem ausländischen Luxus, 
ben hohen Federn zum Schmuck der Pferde, den seidenen 
Und sammtnen Kleidern für die Frauen und Edelknaben des 
Hofes fremd und gestattete den jüngeren Prinzen nur Röcke 
Und Beinkleider von schwarzem flämischen Leder mit Sammt 
verbrämt. Als er einst seinenJüngstgedornen, Georg, aus 
* er Schule zur Fuchsjagd rufen ließ, und dieser in' seiner 
Herzensfreude mit neuen, engen, glatten Stiefeln und einem 
mnen, hohen Filzhütchen beransprang, schnitt ihm der Vater 
me Stiefel selbst von den Füßen ab und sandte ihn mit einem 
-paar seiner eigenen großen Stiefeln und einem breiten, 
putzen Hute angethan zu seinem Lehrmeister mit der Weisung 
Zurück, ihn so den ganzen Winter kleiden zu lassen. Und als 
Ml Philipp ein andermal zu sich zum Essen forderte, und 
^eorg in seinen aufgeschlitzten Beinkleidern allerlei Zierrathen 
^ug und solches, wiewohl vergeblich, vor dem Auge des 
Paters zu verbergen suchte, forderte dieser von seinem Kam 
merdiener eine Scheere, schnitt ringsherum die Zipfel der 
^'geschlitzten Beinkleider ab und ließ sie nebst dem jungen 
w. Tn stn den Lehrer mit einem Verweise zurückgehen. Mehr 
als für die leibliche und geistige Ausbildung seiner Kinder 
9ar Philipp für das Heil ihrer Seele bedacht, und mit einer 
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Innigkeit und Wärme, wie nur ein Vater es kann, ermahnte 
er sie in seinem letzten Willen zu treuem Festhalten m dem 
Glauben an Jesum Christum, zu einem keuschen und gottes- 
fürchtigen Wandel, zu einem milden, gerechten und unpar 
teiischen Regiment, zu Ordnungsliebe, Fleiß, Sparsamkeit 
und Sorge für ihr Land. — Von der mit dem Evangelium 
gewonnenen bessern Erkenntniß sollte keiner einen ehrbaren 
und frommen Lebenswandel trennen. Daher war er uner 
bittlich streng gegen jede grobe Verletzung der Zucht, duldete 
keine Entweihung des Sonntags und der Sacramente, keine 
Schmausereien und Gastereien bei Kindtaufen und ähnlichen 
Gelegenheiten und bestrafte unnachsichtlich alle die, welche 
durch Raub und Plünderung die Sicherheit der Straßen ge 
fährdeten. Sein Ausspruch, daß ein Fürst an seiner Münze, 
Sicherheit der Straßen und Haltung seiner Zusagen erkannt 
wird, fand auf ihn die vollste Anwendung. 
Nachdem Philipp der Großmüthige alles für sein Land 
geordnet und sein Haus bestellt hatte, ging er ruhig und 
heiter seiner letzten Stunde entgegen, obwohl er von schwerem 
körperlichen Leid, das Fußgicht,' Steinbeschwerden und ein 
offenes Bein ihm bereiteten, gar mannigfach geplagt und 
heimgesucht ward. Am Donnerstag vor Ostern empfing er 
mit den Seinigen in dem Schlöffe zu Cassel wohlvorbereitet 
das hl. Abendmahl, vertheilte Tags darauf seine Kleinodien, 
Kleider und Waffen unter seine Söhne und Freunde, und 
entschlief am Ostermontag, den 31. März 1: 67, indem der 
Dechant des St. Martinsstisteö, seine Söhne und vornehmsten 
Räthe ihn umstanden, sanft und schmerzlos mit den Worten: 
„Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!" zum 
ewigen Frieden. Er hatte 49 Jahre als ein rechter Fürst 
über das Hesse,stand regiert, und darum verkündigten vier 
akademische Redner der Welt den Tod eines Helden, von 
dem einst Zwingli sagte, im Himmel und auf Erden werde 
man von ihm rühmen, daß er der einzige Fürst gewesen 
sei — ähnlich jenem Ackermann, der die Hand an den Pflug 
legte und nicht zurücksah. 
Mit vielen Ehren wurden seine Gebeine in der St. Mar 
tinskirche beigesetzt, wo er zuerst für sich und seine Familie 
ein Erbbegräbniß gegründet hatte Sein Erstgeborner aber, 
Landgraf Wilhelm, errichtete über seinem geharnischten 
Standbild ein bis unter das Gewölbe des Domes empor 
steigendes Denkmal von Marmor. — Eine tiefe und große 
Trauer ging durch das ganze Land, als der Herr ibm sein 
letztes Stündlein gesetzt hatte. 
Im Land ein großer Riß geschah, 
Ein' treuen Vater hat's verloren, 
Wie man seithero hat erfahren. 
Der arme Mann fühlt es mit Noth 
Und klagt des frommen Fürsten Tod. 
Mit Nägeln sollt' ausgraben gern, 
Wcnn's möglich wär', den alten Herrn; 
so empfanden und schilderten die Zeitgenossen den Verlust 
des treuen und geliebten Fürsten. Mit ihm wurde das letzte 
Rüstzeug abgerufen aus der großen Zeit, die Gott der Herr 
heraufgeführt hatte, seine Kirche zu reinigen und zu läutern. 
Wir aber' wollen uns bei der Wiederkehr seines Todes 
tages des vielen Guten, das er gethan hat, dankbar erinnern 
und das Andenken des edlen Fürsten ehren, durch welchen 
das Licht des reinen Evangeliums den hessischen Landen ge 
gebeir ward. n. 
Auflösung des Räthsels iin vorjährigen Kalender., 
Gras — Sarg. 
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