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In Liebe und Freude schlugen die Herzen der treuen
Hessen seiner Heimkunft entgegen ; vier Wochen lang schloß
das biedere Volk seine Werkstätten, und in allen Gotteshäu
sern stiegen Dankgebete über die glückliche Rückkehr des theuren
Landesfürsten zum Himmel empor. Zur Erinnerung an
diesen ihm zu Theil gewordenen Empfang ließ Philipp eine
Münze schlagen, die in einem Rad sinnbildlich die Veränder
lichkeit und Unbeständigkeit alles irdischen Glückes darstellt,
zugleich aber auch auf das ewig Bleibende und den einzig
wahren Frieden mit den Worten hinweist: „Meine Starke,
Glück und Lob ist mein Herr und Gott!" Mit der Wieder
einsetzung des Herzogs wurde auch das württembergische Land
der Reformation geöffnet, und so dem Evangelium eine neue,
reiche Ernte in dem südlichen Deutschland bereitet.
Religionsgespräche und Reichsversammlungen, gütliche
Versuche und 'gewaltsame Maßregeln hatten bis daher die
Trennung der Kirche nicht abzuwehren vermocht; damit ge
staltete sich aber die Lage der Evangelischen immer ernster
und sorgenvoller. Denn der Kaiser war fest entschlossen, die
protestantische Bewegung mit der Schärfe des -Schwertes
niederzuhalten. Und kaum hatte er in Deutschland freie
Hand und die Hilfe der Protestanten gegen äußere Feinde
nicht mehr nöthig, so sprach er, nachdem noch einmal
aus dem Reichstag zu Regensburg eine Annäherung und
Vergleichung, jedoch vergeblich, versucht worden war, über
die 'nicht erschienenen Fürsten von Hessen und Sachsen als
„ungehorsame, untreue und eidbrüchige Rebellen und auf
rührerische Verletzer der kaiserlichen Hoheit und Majestät"
des heiligen römischen Reiches Acht und Aberacht aus. Denn
der Landgraf von Hessen und der Kurfürst von Sachsen waren
als die Häupter des schmalkaldischen Bundes, welchen die
Evangelischen zu ihrer Sicherheit auf eine Reihe von Jahren
zu Schmalkalden mit einander geschloffen hatten (s. oben)
am meisten zu fürchten. Im südlichen Deutschland brachen
nun die Feindseligkeiten gegen den Kaiser zu Ansang des
Jahres 1547 aus; allein da^der Krieg, welcher der schmal-
kaldische genannt wird, lau, ohne Nachdruck und ohne
ein einmütbiges Zusammenwirken der gemeinsamen Streit
kräfte geführt wurde, die beiden Bundeshäupter auch zur
Sicherung der eigenen Länder den Kriegsschauplatz verließen,
so blieb Karl V. entschieden im Vortheil. Und nachdem der
Kaiser nach Bewältigung seiner Feinde in Oberdeutscbland
den Kurfürsten von Sachsen in der Schlacht bei Mühlberg
besiegt und gefangen genommen hatte, sollte auch der andere,
von chm am meisten gefürchtete Gegner, Philipp von Hessen,
bis zur Erniedrigung gedemüthigt werden. Jetzt aber begann
ein schwerer Kampf in der Seele des Landgrafen. Wenn er
nämlich auf die Widerstandskraft seines Landes und auf die
treue Liebe feines Volkes sab, so brauchte er vor einem Kampf
mit dem mächtigen Kaiser nicht zurückzuschrecken; denn das
Land besaß außer den vier Hauptfestungen — Castcl, Ziegen-
bain', Gießen und Rüsielsheim — und deren wohlgefüttten
Zeughäusern noch eine Menge kleiner, durch die Natur be
festigter Bergschlösser und hatte bei hohen Gebirgen und dichten
Waldungen' eine so günstige Lage, daß mit geringer Mann
schaft alle Hauptpäffe besetzt werden konnten. Dazu gab der
Boden reichlichen Ertrag und gewährte einen Ueberfluß an
Erzeugnissen jedweder Art, besonders an Erz und Salz. Und
in diesem Land wohnte ein Volk, das mit allen kriegerischen
Tugenden die größte Treue und die liebevollste Anhänglich
keit' an seinen Fürsten verband. Wenn er aber wieder be
dachte, welch' namenloses Elend und Herzeleid ein erbitterter
Krieg über Land und Leute bringen würde, so mußte er es
vorziehen, lieber selbst sich vor dem Kaiser zu demüthigen, I
als Land und Unterthanen verderben zu lassen. Und darum I
entwand ihm die Liebe zu seinem Volke das Schwert aus 1
der Hand; er nahm die Forderungen des Kaisers an, ergab i
sich ihm aus Gnade und Ungnade und that am 19. Juni I
1547 zu Halle Fußfall und Abbitte. Aber trotz des kaiscr- |
lichen Geleitsbriefes und der feierlichen Zusicherung der beiden I
Kurfürsten Moritz von Sachsen und Joachim von I
Brandenburg, welche als Vermittler zwischen ihm und I
dem Kaiser standen, daß seine Freiheit nicht angetastet werden I
solle, wurde er zum Gefangenen gemacht und fünf Iah" I
lang in den Niederlanden in schmählicher und unwürdiger >
Hast gehalten. Er mußte auf seine gewohnte Bequemlichkeit I
und alle fürstlichen Ehren verzichten; statt der eigenen Diener, I
die ihm lieb geworden waren, gab man ihm spanische Auf
passer, die ihn seines Glanbens wegen höhnten und spotteten, \
ja zuletzt wies man ihm eine nur 10 Fuß lange Kammer >
mit vernagelten Fenstern zu seinem Aufenthalte an und ver
leidete ihm so geradezu das Leben. Weder ein zweimaliger
Fußfall des Landgrafen vor dem Kaiser, noch das ernste, ein
so ungerechtes Verfahren verurthcilende Wort des Sohnes,
noch die nachdrücklichen Vorstellungen und Verwendungen der
beiden Vermittler und anderer Fürsten des Reiches vermochten
die Freilassung des Gefangenen zu bewirken. Voll guter
Zuversicht und in der Fülle seiner Kraft war Philipp zur
Ergebung auf Gnade und Ungnade nach Halle gegangen,
und als Greis und mit gebeugtem Haupte kam er wiever.
Fünf kostbare Jahre hatten List und Gewalt ihm von seinem
Leben geraubt. Denn es ist alle Ursache zu der Annahme vor
handen, daß in der geheimen Erklärung der vermittelnden Kur
fürsten ursprünglich die Worte: der Landgraf solle nicht „mit
einiger Gefängniß" beschwert werden, gestanden haben, vaß
diesen aber später von dem einen der kaiserlichen Räthe durch
einen Federstrich die Faßnng gegeben worden ist, er solle nicht
mit „ewiger Gefängniß" bestraft werden. £te ersehnte Be
freiung aus harter Gefangenschaft brachte ihm im Jahre 1552
der Abschluß des Passauer Vertrags, zu dem der Kurfürst
Moritz von Sachsen den Kaiser mit dem Schwerte zwang.
Unter stattlichem Geleite zog der Landgraf über Köln,
Jülich und Siegen der Heimath zu, und 100 hessische Bogen
schützen warteten seiner an der vaterländischen Grenze Und
wie ihn da zuerst seine Söhne und getreuen Räthe umarmten,
bemächtigte sich aller Herzen eine tiefe, unnennbare Rührung.
Die Söhne hatten den Vater, das Land den geliebten Fürsten
wieder, und geendigt war das Leid, das fremde Dränger
ihm bereitet hatten. An einem Sonntag kam Philipp vor >
Cassel an, und als zu den in der Kirche versammelten Bür
gern die Nachricht drangdaß ihr geliebter Landesherr der
Stadt sich nahe, eilten sie alle froh bewegt zum herzlichen ;
Empfang ihm entgegen. Aber Philipps erster Gang war !
nicht in das Schloß seiner Väter, sondern in die St. Matt >
tinskirche, wo er im Chor vor dem Grabmal seiner Helden-
müthigen Gemahlin auf die Kniee sank und in dieser Stellung
bis zum Ende der Predigt und bis zum Beginn des Lobgesangcs:
„Herr Gott dich loben wir!", verharrte. Einige Tage daraus
feierte das ganze Lano in Dank und Freude die'Erlösung !
seines Fürsten aus so langer und unverdienter Gefangenschaft: >
Der Landgraf hatte die ihm bei seiner Ergebung^aus j
Gnade und Ungnade gestellte Forderung, daß alle stlN^
Festungen bis auf Cassel oder Ziegenhain geschleift werocn
sollten, getreulich erfüllt. Schon waren die Werke Cassel'-
gebrochen, als der kaiserliche Befehlshaber Reinhard von
Solms, und zwar wider den Vertrag auch die Schleifung