Full text: Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen // Amtlicher Kalender für Kurhessen // Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1860-1873)

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Prophezeiungen treffen erst genau nach der elften 
Woche ein. Nur selten ist man so glücklich, die be 
züglichen Beobachtungen vom Anfange bis zum Ende 
ausführen zu können; dies schadet auch Nichts, es 
genügt, das allgemeine Gepräge der folgenden Witte 
rung kennen zu lernen. Man hat hauptsächlich auf 
Folgendes zu achten: 
Läßt sich irgend eine Spinne von der Decke eines 
Zimmers oder sonst irgend einem erhabenen Gegen 
stände herab, so gebe man Acht, wenn sie aufhört 
zu spinnen, ruhig hängen bleibt oder wieder aufwärts 
läuft. Je länger der Faden 'ist, an welchem sie spinnt, 
um so trockener wird die Luft, oder um so wärmer 
wird der Sommer, oder um so kälter der Winter' 
sein. Läuft die Spinne, wie öfters geschieht, wieder 
in die Höhe, so stellt sich feuchte Luft (Regen oder 
Schnee)' ein; läßt sie sich wieder herab, so folgt von 
Neuem trockenes Wetter. Man schließt aus diesen 
wiederholten Bewegungen des Thieres mit ziemlicher 
Sicherheit auf die Veränderungen des Wetters. 
(Gartenlaube.) 
Aus dem Leben des Berliner Arztes vr. Heim. 
Heim war ein geborner Arzt. Als solcher hatte 
er einen scharfen, richtigen Blick, er durchschaute den 
ganzen Menschen, erkannte viele Krankheiten schon 
durch den Geruch, und erfaßte mit seinen gesunden 
Sinnen jedesmal den vorliegenden Zustand mit allen 
seinen Kennzeichen. — Es ist fast unbegreiflich, wie 
er in einer so weitläufigen Stadt, als Berlin, 60 
bis 80 Krankenbesuche täglich bestreiten konnte; aber 
ihm, dem immer Heitern, ging Alles, was er vor 
hatte, flugs von Statten. Man sah ihn eben so 
vergnügt in die Hütten der Armen kriechen, als in 
die Paläste der Reichen gehen. Darum war er auch der 
Liebling des Volks. Als er sich einmal zu Pferde durch 
dichte Haufen drängte und einer Illumination zusah, 
verwandelte sich der laut gewordene Unwille über 
den kecken Reiter in ein jubelndes Geschrei, sobald 
man den „Vater Heim" erkannte. Darum, weil 
er im Volke und für dasselbe lebte, hatte er in 
seinem ganzen Wesen bald etwas Freies, bald etwas 
kurz Gebundenes, was ihn auch dann nicht verließ, 
wenn er mit den höheren und höchsten Ständen um 
ging. Er war der Leibarzt der Königin der Nieder 
lande, ihrer Schwester, unserer unvergeßlichen Kur 
fürstin Auguste, während deren Anwesenheit in Berlin, 
und der Prinzessin Ferdinand von Preußen. 
1) Wie er der Prinzessin Ferdinand 
Bedingungen stellt. 
Diese hohe Frau hatte einen vortrefflichen, bie 
deren, gutmüthigen Sinn; sie und ihr Hof aber hatten 
noch die Färbung von Friedrich dem Großen, 
der alle Leute »Er« nannte. Es fiel folgende da 
characterisirende Scene vor. Die Prinzessin sitzt in mi 
einem prächtigen Audienzsaale in einem Sopha und wi 
besieht -durch ein Vergrößerungsglas von der Fuß- lit 
sohle bis zum Scheitel den geforderten, vorgelassenen zu 
und eingeführten Heim. »Tret' Er näher!» spricht sie K 
und fährt dann fort: »Ich höre von Seiner großen w, 
und glücklichen Praxis sehr viel Rühmliches. Ich hä 
bin darum entschlossen. Ihn zu meinem Leibarzte zu ge 
ernennen und solches habe ich Ihm kund thunwollen.» — un 
»Ew. Königlichen Hoheit danke ich für Ihr Vertrauen; bl> 
aber die Ehre, Ihr Leibarzt zu sein, kann ich nur en 
unter Bedingungen annehmen.» Dies sagte Heim er' 
nach seiner Gewohnheit in einem heitern, jovialen E> 
Tone. Lachend sagte die Prinzessin: »Bedingungen? na 
die hat mir in meinem ganzen Leben noch Niemand au 
gemacht.» — »Nicht?» antwortete Heim scherzend, zu 
»dann ist es hohe Zeit, daß Sie das lernen!» — m 
»Nun,« erwiederte sie, »ich bin neugierig, diese Be- ge 
dingungen zu lernen; laß Er hören!» — »Die erste lie 
ist,« antwortete Heim humoristisch, »daß Ew. König- eü 
liche Hoheit mich nicht »Er» nennen, das ist nicht ge 
mehr an der Zeit; der König thut das nicht; selbst M 
meine Bedienten nenne ich nicht »Er». Die zweite sp 
Bedingung ist, daß Sie mich dann nicht, wie so eben he 
geschehen, so lange antichambriren lasten; ich habe ar 
keine Zeit zu verlieren; der längste Tag wird mir ar 
stets zu kurz. Die dritte ist, daß Ew. Königliche m 
Hoheit mir nicht so nach den Füßen sehen; ich kann se 
nicht en esenrpins, sondern nur in Sfiefeln und im dc 
j bequemen Ueberrock kommen. Die vierte ist, daß w 
Sie nicht verlangen, ich soll zu Ihnen zuerst kom- fl> 
men; ich komme nach Beschaffenheit der Krankheit, et 
nach Lage der Straßen und Häuser. Die fünfte g> 
ist, daß Sie mich nicht so lange aufhalten und nicht E 
von mir verlangen, ich soll mit Ihnen von der Wetter- ui 
wendischen Politik und von Stadtneuigkeiten schwatzen; 
dazu habe ich keine Zeit. Endlich die sechste, daß 3 
Sie mich, weil Sie eine Königliche Hoheit sind, könig 
lich honoriren.« . ei 
Beide lachten herzlich, und er war in diesem p, 
Verhältnisse bis zum Schluffe desselben gern gesehen, lr 
geachtet und geliebt. ß 
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2) Wie er den Verlust von viel Geld unter ^ 
die Füße tritt. 3 
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Heim, der Viel weggab, aber auch Viel ein- g 
nahm, hatte eine große Summe durch ein Hand 
lungshaus, welches Banquerott machte, verloren. 
Hufe land bezeigte ihm einige Tage nachher seine ^ 
Theilnahme. »Es ist mir nicht lieb,» sagte er, »daß ^ 
Sie mich daran erinnern; ich habe es, Gott Lob! 
unter den Füßen». — »Wie haben Sie das gemacht?» 
»So wie ich es zu machen pflege, wenn ich mir selbst 
nicht helfen kann. Und das konnte ich hier nicht. 
Ich konnte die fatale Sache gar nicht vergessen; ich 
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