Full text: Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen // Amtlicher Kalender für Kurhessen // Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1860-1873)

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diesen Morgen gebunden mit sich fortgeführt. Nun 
habe ich den Mann wieder, aber des Kindes bin ich 
beraubt.« 
Wie ein Donnerschlag, schwer und gewaltig, traf 
den unglücklichen Vater diese Botschaft. »So bin 
ich denn schuld,« rief er in überwältigendem Schmerze, 
"an dem traurigen Geschick des Knaben, mein Eifer, 
mein heißes Blut hat ihn harter Gefangenschaft oder 
Mehl gar schmählichem Tod überliefert. Ich will 
,sart, vielleicht kann ich ihn noch retten; alles, was 
ich habe, — und müßte ich noch in meinem Alter 
dahingehen wie ein Bettler — will ich geben für die 
Lösung des Sohnes. Hat denn kein einziger in der 
üanzen Gemeinde das Herz gehabt, den schändlichen 
mäubern ihre Beute zu entreißen?" 
"Faße dich, Vater,« bat die Frau unter Thrä 
nn, „und hör' mich an. Du gehst nicht fort, dein 
schmerz und dein Eifer könnten alles verderben, und 
soll ich dich vielleicht noch dazu verlieren? Eine Hoff 
nung bleibt uns noch, der Meierhöfer und der Ge 
meindewirth sind hinter den Franzosen her, ihnen 
den Knaben abzujagen, und beide haben mir ihr Wort 
Abgeben, das .«ind mir zurückzubringen, und wenn 
e8 einem gelingt, so ist es der Meierhöfer, der Kopf 
m>d Herz auf dem rechten Fleck hat. Auf ihre Rück- 
"hr wenigstens laß uns erst warten!" 
Wohl zehnmal ging der Vater hinaus vor das 
^arf und spähte mit forschendem Auge, ob die beiden 
Rachbarn noch nicht kommen, ob sie, den Sohn in 
ü>rer Mitte, noch immer nicht um die Waldecke bie- 
M wollten. Auch viele im Dorfe hatten aus gleicher 
.Mach' ihrx Schritte hinausgelenkt, und jede Stunde 
Mit vermehrte die Zahl der um das Schicksal des Knaben 
besorgten und bangenden Dorfbewohner. Männer, 
Mauen und Kinder bildeten jetzt dichte Gruppen und 
a Uer Herzen bewegte nur der eine Gedanke: ob.sie ihn 
Abringen! Schon hatte der Tag sich geneigt und 
Ichweigend und in sich gekehrt saßen die betrübten 
Eisern in der noch von keinem Licht erhellten Stube. 
Wiederum wollte der Vater seine Wanderung begin- 
, eu i da auf einmal — horch — was ist das? Ein 
umpfes Rauschen ließ in der Ferne sich vernehmen 
m das Brausen wallender Fluthen, und einzelne 
^-Hunnen wurden laut und riefen: sie kommen! — 
u m angehaltenem Athem lauschten Vater und Mutter, 
li^ ' mmer näher kam's und näher, und immer deut- 
cher klangs: sie kommen, sie haben ihn! Wie aus 
>wm Munde riefen die beiden Alten mit gefalteten 
fanden einander zu: »Sie haben ihn, Gott und unser 
vouand sei gelobt!» Und nicht lange dauerte es, so 
wurde es vor dem Schulhaus lebendig, und eS füllte 
sich der Hof mit dichten Menschenhaufen und laut 
und freudig jubelte und jauchzte es durch einander: 
»Er ist wieder da, und es ist ihm kein Leids geschehen!« 
Und aus den Händen der beiden Männer empfin 
gen die hocherfreuten Eltern den schon verloren ge 
glaubten Sohn gesund und wohlbehalten. 
»Was ihr mir gethan habt. Freunde,« rief der 
Vater mit tiefer Rührung, »kann ich euch nicht ver 
gelten, aber Gott im Himmel wird es euch lohnen. 
Habt Dank, tausend Dank. Wahrlich, getreue 
Nachbarn sind Goldes werth!" 
Schont auch die Kröte! 
Der Kalendermann hat schon vor einigen Jahren 
dem Spatz das Wort geredet, daß man ihn nicht 
wegfange oder todt schieße, wo man ihn finde, weil 
er als ein respektabler Iusektenvertilger betrachtet 
werden müße und er den Schaden, den er mit seinen 
Näschereien und Diebereien in Hof und Scheuer, in 
Garten und Feld anrichte, durch seine Jagd auf 
allerlei Raupen und Larven, von denen er bei seinem 
immerwährenden Hunger ein nicht unbeträchtliches 
Quantum verspeise, wohl zehnfach wieder gut mache. 
Wir wollen annehmen, in einem Dorfe wohnen etwa 
hundert Sperlingspaare. Nun brütet jedes Paar 
jährlich dreimal, und damit es seine Jungen auf 
bringe, verbraucht es in einer Zeit von 22—24 Tagen 
täglich gegen dreihundert Insektenlarven. Also werden 
durch die Sperlinge eines Dorfes in Jahresfrist 
tewa zwei Millionen ein hundert sechzig tausend 
schädliche Insekten vertilgt. In der That ein schönes 
Sümmchen, und dafür sollte man doch dem eifrigen 
Larvenjäger etliche Kirschen, Waizenkörner, Erbsen 
oder des etwas von Herzen gönnen. 
Wie manche vierfüßigen, kriechenden und fliegenden 
Thiere fallen noch Jahr aus Jahr ein dem Aber 
glauben, dem Unverstand, dem Muthwillen zum Opfer, 
ohne daß man im mindesten deren Nutzen sich vor 
die Seele stellte. Da ist z. B. die häßliche, wat 
schelnde, von den meisten geflohene Kröte. Wie 
geht's nicht gleich über sie her, sobald sie sich in 
unsern Feldern und Gärte», an Mauern oder an 
Wegen blicken läßt. Der Furchtsame wendet sich 
zwar mit Abscheu von ihr weg, und das ist noch das 
Beste, ist aber einer da, dem der Muth nicht gleich 
entfällt, oder geräth sie unter eine Schaar lärmender 
und schreiender Knaben, so wird sie auch mit Stöcken 
und Steinen rc. qualvoll vom Leben zum Tode ge-
	        
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