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»Das hab' ich auch gedacht, Meierhöfer,« ant
wortete der Wirth. »Die ganze Nacht ist mir es im
Kopf herumgegangen, wie wir den Jungen loskriegen
könnten; aber ich muß gestehen, nichts hat sich mir
dargestellt, was zum Ziele führte.«
»Nun, was ist da sich lange zu besinnen, Adam,«
erwiderte rasch der Meierhöfer, »Gewalt freilich können
wir nicht brauchen, aber wir setzen uns auf die Gaul'
und reiten mit, laßen den Jungen nicht aus den Augen
und ruhen nicht eher, bis wir den Obersten von dem
Regiment oder einen noch Höhern, einen General,
getroffen und ihm unser Anliegen vorgebracht haben.
Der wird meiner Seel' doch ein Einsehens haben.«
»Aber da laufen wir ja gerade dem Fuchs in
den Bau,« meinte der Wirth. »Wird das Kriegs
volk uns in Ruh laßen oder wohl nicht gar über uns
herfallen, als Über verdächtige Leut' und Kilndschafter!«
»Macht es, wie Ihr wollt, Nachbar! Ich gehe,
und der Junge muß wieder loskommen und sollt' ich
darüber selber zu Schanden werden!«
«Nein, das werdet Ihr nicht!« fiel ihm der Wirth
ins Wort. »Ich begleite Euch unv bleib' Euch allzeit
zur Seite. Hier habt Ihr meine Hand. Jetzt sind
all' meine Bedenklichkeiten aus dem Felde geschlagen,
ist Gefahr bei der Sache, so darf man ihr nicht
furchtsam aus dem Wege gehen.« Und sein Gesicht
leuchtete von Muth und Entschlossenheit.
In kurzer Zeit waren die beiden Männer reise
fertig. Sie nahmen ihren Weg in der ihnen bekannten
Gegend so, daß sie wo möglich, ohne doch Verdacht
und Aufsehen zu erregen, den ganzen Zug im Auge
hatten und dem Knaben, wenn er ihrer Hülfe bedürfen
sollte, alsbald nahe sein und ihm durch ihre Gegen
wart Trost und Beruhigung gewähren konnten. Wohl
mochte ihnen das Herz bluten, wenn sie sahen, wie
der Unglückliche, der dazu verurtheilt war, neben den
Pferden herzulaufen, durch Püffe und Stöße zu grö
ßerer Eile angetrieben wurde, wenn sie hörten, wie
er laut stöhnend und voll Angst um Mitleid schrie.
Endlich erbarmte man sich seiner; ein Reiter nahm
den völlig Erschöpften vor sich auf das Pferd und
reichte ihm zur Stärkung von seinem Brot und Fleisch.
Nach einem zweistündigen Ritt näherte man sich wieder
der Heerstraße, die von Soldaten zu Pferd und zu
Fuß, von Wagen, Kanonen, Pulverkarren, so weit
das Auge reichte, bedeckt war. Als die Reiter Halt
machten, um wieder einzutreten in die Reihen des
großen Zuges, war auch für die beiden Freunde die
Zeit gekommen zu handeln und den Obersten des
Regiments, zu welchem die von ihnen begleitete Ab
theilung gehörte und dessen Abzeichen sie sich genau
gemerkt hatten, unter den Hunderten und Tausenden
aufzufinden. Nach vielem Hin-und Herfragen, indem
sie bald hierhin, bald dorthin geschickt und dabei geneckt,
gefoppt und ausgelacht wurden, erlangten sie endlich
Zutritt zu dem, den sie so erwartungsvoll suchten.
Das feste und doch freundliche Wesen des Mannes
machte ihnen Muth, und in einfacher, schlichter Weise
gaben sie getreuen Bericht von dem Vorfall, der sie
mitten unter die französische Armee getrieben. Und
bald bildete sich ein bunter Kreis von Soldaten um
sie, mochten doch viele gar gerne wißen, was die
beiden so eifrig gestikulirenden Bauern auf offener
Landstraße mit einem ihrer hohen Offiziere wollten.
Mit steigender Theilnahme hörte der Kommandirende
ihrer Erzählung zu und konnte sich mehrmals eines
lauten Ausrufs der Verwunderung und des Unwillens
nicht enthalten.
»Seht, so ist es, Herr, und nicht anders!« fuhr
der Meierhöfer warm und eindringlich fort. »Und
was will der Offizier mit dem Knaben? Sich doch
nur an diesem rächen für das, was ihm von dem
Vater zugefügt ist. Aber ich meine, des grausamen
Spieles wäre es nun genug. Einen unschuldigen
Menschen für ein unvernünftiges Thier als Lösegeld
nehmen, das ist doch kein richtiger Handel, das läßt
sich meiner Seel' doch nicht verantworten!«
»Allerdings,« lächelte der Oberst, »ist dies kein
richtiger Handel. Des Blutes ist schon zu viel ge
stoßen, und es erscheint daneben als Frevel und Ruch
losigkeit, einen schuldlosen Menschen unnützer Weise zu
quälen und zu martern. Ich gebe Euch mein Wort,
Ihr sollt das Kind des Schulmeisters wieder haben!"
Am folgenden Tage kehrte der Gast des Busch
müllers wieder in sein Dorf zurück. Der Entflohene
hatte geglaubt, bei seiner Wiederkehr lauter vergnügten
und fröhlichen Gesichtern zu begegnen, und überall
fand er Trauer und Niedergeschlagenheit und in seinem
Hause nur Schmerz und Jammergeschrei.
»Großer Gott,« rief er mit bebender Stimme/
als er in das trübe, verweinte Auge seines Weibes
sah, »was geht hier vor? Nun ich wieder da bin
und die Gefahr für mich vorüber ist, mein' ich, solltet
ihr auch gutes Muthes sein.« .
»Ach,« schluchzte die Frau, »könnt'ich mich doch
deiner Rückkehr so recht von Herzen freuen! Aber,
verzeihe mir es Gott, ich kaun es nicht; denn als
sie dich nicht greifen konnte», haben sie unser Kind,
unsern Jacob, trotz meines Flehens, trotzdem daß
ich ihnen alles geben wollte, was sie verlangten,