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eines sagte zum andern: Sieh doch, wie der Mann
dort gar so traurig und verstört aussieht; und sie
blieben in seiner Nähe stehen. Sie hörten jetzt, daß
ein Bekannter ihn fragte, was er da thue, und erfuh
ren hierdurch seine Noth. Sie besprachen sich nun
mit einander, boten auf den Schubkarren und erhielten
ihn zu etwa 3 Thlr. zugeschlagen. Jedermann ver
wunderte sich und lachte, daß so vornehme Frauen
zimmer einen Schubkarren kauften. Sie erlegten so
gleich d».s Geld und sagten dem Manne, er möge
ihnen den Schubkarren heimfahren, sie würden ihn
besonders dafür bezahlen. Er bat sie aber dringend,
das sitzt nicht zu verlangen, weil er ein Geschäft
habe, wovon Tod und Leben abhänge; er wolle nämlich
geschwind etwas zu eßen kaufen für seine Familie.
Da sie jh„ nun fragten, wo er wohne, sagten sie,
er mache keinen Umweg, gerade dahin solle erfahren,
iliun that er es. Doch mußte er auf dem Wege
anhalten, bis seine Begleiterinnen Kartoffeln, Brot
"ad Holz und einen Topf voll Reis gekauft und auf
den Schubkarren geladen hatten. Als sie an die
Wohnung des Mannes kamen und er meinte, er
werbe noch weiter fahren müßen, nahm er seinen Hut
ab und sagte: „Erlaubet mir, daß ich einen Augen
blick da einkehre.«
Die Fräulein gingen ihm nach in die Stube und
iahe» nun das entsetzliche Elend. Die Frau lag wie
lobt am Boden und der Knabe, rief: „Mutter, gib
"sie zu eßen, gib mir zu eßen.» Der Mann meinte,
me Frau sei todt, und fing bitterlich zu weinen an.
«"ein eins der Fräulein gab ihm Geld, um Wein
holen. Sie goßen der Frau etwas von dem stär
kenden Tranks ein, machten Feuer im Ofen und gaben
dem Knaben zu eßen. Und der Knabe aß und schaute
holder Freude seine Gcberinncn an; die Frau
aber kam bald wieder zu sich. Nun erst sagten sie
sein Manne: „Der Schubkarren und alles, was drauf
m, gehört Euch, und Ihr sollt kein solches Elend
mehr leiden. Wir wohnen da und da, kommt nur
miemal hin, wenn Ihr an dem Nöthigen Mangel
babt.„ Dem Manne war es, als könnte er nicht
gmuben, was er hörte, und konnte kein Wort her
anbringen, sondern nur Thränen des Dankes und
b» Freude weinen.
q. Für das kranke Kind aber versprachen sie einen
. nzt zn schicken, und gingen dann fort und redeten
^"go auf dem Wege nichts mit einander, weil beider
„-ttlen zu tief bewegt waren. Aber später sagte die
andern: „Es gibt doch keine größere Freude,
^ so ein Helfer in der Noth zu sein.„
Auch die Gäste des Schusterkonrads blieben eine
Zeit lang ernst und schweigend. Dann aber nahm der
Bachkaspar das Wort und sprach: „Können wir denn
nicht, was die beiden Mädchen gekonnt haben? Diese
Geschichte mahnt uns laut und eindringlich: Gehet
hin und thuet desgleichen. Fehlt es uns denn an dem
Nöthigen? Haben wir nicht Betten und Holz, nicht
Fleisch und Brot? Und nimmt jeder etwas von dem
Seinigen und gibt es dahin, wo die Armuth darbt,
so retten wir den Lindenschmidt ans großer Noth und
vielleicht vom Tod. Und gleich diesen Abend noch
müßen wir ihm für eine warme Stube sorgen und für
ein ordentlich Bett.» „Brav gesprochen, Kaspar,«
rief der Schusterkonrad, und reichte ihm mit lachen
dem Auge die Hand. „Mich deucht, und ich glaub',
ich irre mich nicht, bei dem Lindenschmidt ist nur
Hunger und übermäßige Anstrengung die Ursache der
Krankheit. Hört der Mangel auf, so kehrt auch seine
Heiterkeit wieder zurück und mit der Heiterkeit seine
Kraft. Ja Freunde , gehet hin und thut desgleichen.«
Und sofort gingen die Versammelten an das Sama
riterwerk, und die andern, die davon hörten, wollten
nun auch nicht hinter ihren Nachbarn zurückbleiben.
Mit den reich gespendeten Gaben kam ein nie gese
hener Wohlstand in des Lindenschmidts Haus. Und
was der Schusterkonrad vorher gesagt hatte, traf ein.
Der Kranke genas wieder zur Freude seiner Frau
und Kinder, und nach nicht langer Zeit konnte der
junge Mann mit gestärkter Kraft wieder das Weber
schiff und die Holzaxt schwingen.
Gellert und der Bauer.
Es war de» 4. Juli im Jahr 1715, da wurde
dem Pfarrer Gellert zu Hahnichen im sächsischen
Erzgebirge zu seinen vielen Kindern noch ein Söhnlein
geboren, und selbiges empfing in der heiligen Taufe
den schönen Namen Christian Fürchtegott. Der
kleine Gellert hatte von Natur einen zarten und schmäch
tigen Körper; und die Stelle des Vaters war auch
nicht dazu geeignet, daß den vielen Essern das Brot
noch einmal so groß in die Hand geschnitten oder so
ohne Sorgen den dreizehn Kindern Kleidung und
Unterricht herbeigeschafft werden konnte. Aber in dem
zarten Knaben steckte ein mächtiger Geist; der ließ sich
durch kein Hinderniß niederhalten und brach sich Bahn
zum Weiterkommen. Mit unermüdlichem Fleiß arbei
tete er Tag und Nacht, und durch Abschreiben im
Hause oder auf dem Amte verschaffte er sich die
Mittel, um etwas Richtiges zu lernen, und so ward