Full text: Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen // Amtlicher Kalender für Kurhessen // Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1860-1873)

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„Sachte, sachte", versetzte der Pfarrer, „nicht 
so hastig! Erst komme ich mit meiner Injurienklage, 
und hernach Ihr mit der Eurigen. Ihr grollt dem, 
der Euch nachsagt, Ihr ließet Euere Leute hungern; — 
aber Ihr sagt meinem Herrn und Gotte nach, daß 
er mich, seinen Knecht, verhungern lasse und auf 
eine Hungerleiderstelle gesetzt habe. Wollt Ihr noch 
processiren?" 
Der Bauer reicht dem Pfarrer die Hand und 
bittet sein vorschnelles Wort zurück. Er selbst soll 
nachher treulich dafür gesorgt haben, daß Henke 
keinen Hunger zu leiden hatte. 
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Eine vornehme Familie hätte den Pfarrer Henke 
längst gerne einmal bei sich gesehen, aber er ging 
nicht viel aus, außer wenn er in seiner Gemeinde 
umherpilgerte, und dazu war er lieber bei den Armen, 
als bei den Reichen. 
Aber die reichen Leute feierten einst Kindtaufe 
und die Frau rastete nicht, bis Henke zugesagt hatte, 
als Gast dabei zu erscheinen. 
Nun regnete es aber ohne Aufhören auf dem 
ganzen Wege und der arme Mann hatte keinen 
trockenen Faden mehr an sich, als er zum Tauffeste 
erschien. Die Hausfrau versah ihn in theilnehmender 
Sorgfalt mit anderen Kleidern, und bedauerte es 
immer wieder von Neuem, daß gerade heute so 
miserables Wetter sein müsse, an dem man keinen 
Hund vor die Thüre jagen sollte. 
Als sich Henke anders angekleidet hatte, setzte 
er sich mit zu Tische. Kaum hatte er den ersten 
Löffel an den Mund gesetzt, als er — sich schüttelte, 
wie eine Katze, die kochende Milch genascht hat, und 
mit den Worten: „Pfui, wer kann die miserable 
Suppe essen!" den Löffel hinwirft. 
Nun soll es eine Schwäche der Hausfranen sein, 
daß sie ihre Kochkunst nicht gern tadeln lassen, und 
die Gastgeberin glühte deshalb über die ihr durch 
Henke angethane Schmach auf, wie ein welscher 
Hahn. Indeß, denkt sie, der alte Herr sei nicht 
verheirathet, also nicht geschult in dieser Hinsicht, 
wie es nur ein wackerer Eheherr sein kann, der auch 
die versalzenen Suppen süß und das angebrannte 
Gemüse vortrefflich findet, und dazu — Henke war 
nun einmal als Sonderling bekannt, und sie hat es 
ihm schon halb vergeben, wenn er nur ihren anderen 
Gerichten Gerechtigkeit widerfahren'läßt. 
Kaum hatte derselbe aber sich das Gemüse auf 
den Teller genommen und etwas davon genossen, als j 
er, die Gabel von sich schleudernd, ausrief: „wer 
kann das miserable Zeug essen!" 
Und das wäre mir auch zu viel gewesen, sagt 
hier und da eine ehrsame Hausfrau unter den Kalender 
leserinnen, und die Kindtaufsmutter sagt es auch und 
spricht: „ Herr Pastor, ich bedauere es sehr, daß 
wir es künftig nicht wagen dürfen. Sie zu Tische zu 
laden, da unsere Speisen für Sie viel zu schlecht 
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sind, und nie hätte ich gedacht, daß man in Ihrem 
Pfarrhause so fein und ausgesucht koche, wie Sie es 
gewohnt zu sein scheinen." 
„Sachte, sachte", entgegnete Henke, „liebste 
Frau. Ich sehe wohl, es ist Ihnen zu viel gewesen, 
mir aber auch! Sie nannten das Wetter meines 
Herrn ein miserables Wetter, ein Hundewetter; das 
soll ich einstecken und kein Wort dazu sagen; aber 
wenn ich Ihre Suppe und Ihren Kohl miserabel 
nenne, dann werden Sie böse?" 
Die Frau aber reicht betroffen und beschämt dem 
Pfarrer die Hand und spricht: „es war nicht so 
gemeint; es ist wirklich gutes, schönes, vortreffliches 
Wetter heute." — 
„Ja, ja", sagte Henke, „und Ihre Suppe ist auch 
gut, und ich bitte mir nachträglich einen Teller davon 
aus, und ja recht voll, und Ihr Gemüse und andere 
gute Sachen sollen mir auch vortrefflich schmecken." 
Ein Bild des Friedens aus dem 
deutschen Walde. 
Giebt es wohl eine lieblichere Sprache hienieden, 
als das Rauschen der frischen Laubblätter eines schönen 
deutschen Waldes? Wahrlich, dem kecksten, wander 
lustigsten Gesellen wird das Herz weich, und er zögert 
weiter zu schreiten, wenn an einem sonnigen Frühlings 
tage die sonnigen, lichten Bäume, zitternd vor Wonne, 
über die Gabe des neuen Lebens mit einander reden, 
wenn Alles ringsumher säuselt und lispelt. Der 
Wanderer wirft sich dann in's Gras, daß die duftigen, 
grünen Wellen über seinem Haupte zusammenschlagen, 
die herzigen Blumen sich neigen, ihn auf die Wangen 
und Lippen zu küssen, — und schaut lauschend in 
den grünen Blätterhimmel hinein, träumend von den 
Gespielen der Jugend. In traulichem Liebesgespräche 
neigt sich der stattliche Eichbaum zur reizenden, zarten 
Birke, gar wichtige Dinge hat die schlanke Buche der 
ernsten Ulme zu vertrauen, und dazwischen plaudert 
unaufhörlich die ruhelose Espe. Ein Leben, eine 
Seligkeit zieht durch den ganzen Wald, wunderbar 
erfrischend für das Menschenauge und ergreifend für 
das Menschenherz. 
Inmitten aller dieser üppigen Lust steht ein stummer, 
dunkler Baum, der nicht reden kann und nicht mit 
hellen Blättern spielt, — es ist der Tannenbaum 
mit seinen spitzigen, kleinen Nadeln. Liebend breitet 
er seine Arme aus,' kein Neid lebt in seinem Herzen, 
und doch schaut er so traurig darein; wie ein kummer 
voller Mensch zwischen lachenden, spielenden Kindern 
steht er zwischen den laubgeschmückten Bäumen. 
Selten, daß ein Vogel auf der Reise durch den Wald 
kurze Rast hält auf seinen Zweigen; versteckt er sich 
doch weit lieber in die duftige Blätterlaube, die so 
unwiderstehlich lockt, Kühlung und Schatten zugleich 
verheißend. Die Bienen und die ««**>»"»*•
	        
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