Full text: Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen // Amtlicher Kalender für Kurhessen // Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1860-1873)

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Hunden zusammenleben und oft in demselben Bette mit 
ihnen schlafen. Niemals hat ein Irrthum traurigere Folgen 
nach sich gezogen, als dieser. 
Der wüthende Hund ist nicht wasserscheu; es 
grauet ihm nicht vor dem Wasser. Wenn man ihm 
zu saufen anbietet, weicht er nicht entsetzt zurück. Im Ge 
gentheile, er tritt zu dem Gefäße hin, schnappt das Wasser 
mit der Zunge, oft auch verschluckt er es, besonders in der 
ersten Periode der Krankheit. Und selbst wenn ihm die Zu 
sammenschnürung des Schlundes das Schlingen erschwert, 
versucht er nichts destoweniger zu saufen, und dann wieder 
holt sich das Schlappen mit der Zunge um so häufiger und 
dauert um so länger, je' fruchtloser es ist. Nicht selten sieht 
man sogar, wie er aus Verzweiflung über die Erfolglosig 
keit seiner Bemühungen die ganze Schnauze in das Gefäß 
hineinsteckt und gleichsam in das Wasser hineinbeißt, da es 
nicht gelingen will, dasselbe auf die gewöhnliche natürliche 
Weise aufzunehmen. 
Der tolle Hund verweigert nicht immer seine 
Nahrung, namentlich nicht zu Anfang der Krankheit, aber 
er kehrt sich bald mit Widerwillen von derselben ab. 
Sehr auffallend und kennzeichnend ist eine weitere Er 
scheinung , welche auf einer wirklichen Verkehrtheit der Freßlust 
beruht oder vielleicht nur der Ausdruck des verhängnißvollen 
Triebes ist, der den Hund zum Beißen nöthigt. Man 
sieht ihn nämlich die vielfältigsten ungenieß 
baren Gegenstände mit dem Maule erfassen, 
Zerreißen, zerreiben und endlich auch verschlin 
gen. Die Streu, auf welcher er in seinem Stalle ruhet, 
die Wolle der Polster in den Zimmern, die Bettdecken, 
Eppiche, Vorhänge, Pantoffeln, Holz, Erde, Stein, Glas, 
Aoth von Pferden und von Menschen, selbst sein eigener,— 
Alles wird von seinen Zähnen erfaßt. Daher findet man 
so oft bei der Leichenöffnung in dem Magen wüthender 
Hunde Gegenstände der verschiedensten Art, aus deren An 
wesenheit allein schon dringender Verdacht auf die Wuth- 
^ankheit zu schöpfen ist, ein Verdacht, der meist zur Gewiß 
heit wird, wenn man über das Verhalten des Thieres vor 
snnem Tode Erkundigungen einzieht. Ein solches Benehmen 
emes Hundes ist von der größten Bedeutung. Das Thier 
mllt schon seine Wuth an unbelebten Gegenständen, aber 
ber Augenblick ist nahe, wo der Mensch selbst, so sehr ihm 
auch das Thier zugethan sein mag, nicht mehr verschont bleibt. 
Anhäufung von Geifer im Maule ist kein 
Charakteristisches Zeichen der Hundswuth, wie 
Man es nur zu allgemein annimmt. Es ist daher falsch 
aus der Abwesenheit dieses Zeichens zu schließen, daß keine 
^uthkrankheit vorhanden sei. Es gibt tolle Hunde, deren 
^aul, besonders während der Anfälle, von schaumigem 
Welser überfließt. Bei Anderen hingegen ist die Mundhöhle 
vollkommen trocken und die Schleimhaut von dunkelblauer 
Mrbuna. Diese Eigenthümlichkeit tritt besonders in den 
/hken Zeiträumen der Krankheit hervor. In anderen Fällen 
üblich ist hinsichtlich der Feuchtigkeit oder Trockenheit der 
Mundhöhle nichts Besonderes wahrzunehmen, 
dp- . Zustand der Trockenheit des Mundes und des Schlun- 
^ gibt zu der Aeußerung einer weiteren Erscheinung Anlaß, 
bezüglich der Uebertragung der Krankheit auf den 
Menschen von sehr großem Belange ist. Der wüthende 
«kÜ??' dessen Schlund trocken ist, macht mit seinen 
K^eberpfoten zu beiden Seiten der Kinnbacken 
Bewegungen, wie man sie bei einem Hunde 
sieht, in dessen Schlunde oder zwischen dessen 
Zähnen ein unvollständig zermalmtes Bein 
stecksn geblieben ist. Dasselbe trifft man bei Hunden, 
bei welchen das Maul in Folge von Lähmung des Unter 
kiefers offen steht, — eine Erscheinung die namentlich der 
sog. stillen Wuth oder einem vorgerückten Zeitraume der 
rasenden Wuth eigen ist. Diese Wahrnehmung am Hunde 
kann zu den gefährlichsten Täuschungen führen. Die Besitzer 
der Hunde entnehmen daraus fast immer mit Sicherheit 
daß ein Bein im Schlunde stecke und schreiten, beeifert ihren 
Hunden beizustehen, zu Untersuchungen und Verfahrungs- 
weisen, deren Gefahr leicht ersichtlich ist, sei es nun, daß 
sie sich beim Einführen der Finger in den Schlund an den 
Zähnen des Thieres selbst verletzen, oder daß dieses, durch 
das Verfahren gereizt, die Kiefer krampfhaft zusammenklappt 
und auf diese Weise Bißwunden zufügt. Ein Zhierarzt von 
Lons-le-Saulnier, Herr Nicolin, starb im November 1846 
als ein Opfer der Wuthkrankheit, welche er sich bei der 
Untersuchung der Mundhöhle eines kleinen Hundes nach 
einem fremden Körper in dieser zugezogen hatte. 
Erbrechen ist bisweilen eine die Krankheit einleitende 
Erscheinung. Hie und da kommt es im Verlaufe der Krank 
heit vor, daß blutig gefärbte Massen und selbst reines Blut 
erbrochen werden, was ohne Zweifel von Verletzungen der 
Magenschleimhaut herrührt, welche sich das Thier durch Ver 
schlucken harter und spitziger Gegenstände zugezogen hat. 
Letztere Erscheinung ist insofern sehr beachtenswerth, als sie 
nur ausnahmsweise vorkommend, nicht so leicht in ihrer 
wahren Bedeutung erkannt wird. Der erfahrene Bouley 
gesteht hierbei zum Nutzen Aller gerne ein, daß er selbst 
durch ein solches Blutbrechen vor einiger Zeit irregeleitet 
worden sei und den wirklichen KrankHeitszustand des Thieres 
(Wuthkrankheit) anfänglich übersehen habe. 
Das Bellen des tollen Hundes ist ganz und gar 
characteristisch und zwar in der Art, daß, wer seine Bedeu 
tung kennt, aus dem Laute dieses Vellens allein mit Sicher 
heit schließen kann, daß es von einem tollen Hunde ausgeht. 
Um zu dieser Sicherheit zu gelangen, ist es keineswegs 
nöthig, daß das Ohr lange Zeit geübt worden sei. Auf 
Jeden, der nur ein oder zwer Mal das Heulen des wüthen 
den Hundes gehört hat und über die Bedeutung dieses Lautes 
belehrt worden ist, macht dasselbe einen so tiefen Eindruck, 
daß sich die Erinnerung an dieses düstere Heulen für alle 
Zeiten seinem Gedächtnisse einprägt, und wenn wieder einmal 
derselbe Laut an sein Ohr schlägt, wird er ihn sicher nicht 
verkennen. Das Eigenthümliche in dem Heulen des tollen 
Hundes mit Worten schildern zu wollen, wäre ein ver 
gebliches Bemühen. Man kann darüber nichts Weiteres 
sagen, als" daß das Bellen unter dem Einflüsse der Wuth 
krankheit sowohl hinsichtlich des Tones, als auch hinsichtlich 
der Art in bemerkenswerther Weise verändert ist. Während 
das Bellen des gesunden Hundes mit hellem Laute ausbricht, 
an welchen sich gleichstarke und gleichlang andauernde An 
schläge anreihen, ist das Bellen des tollen Hundes rauh, 
verschleiert, niedriger im Tone; auf einen ersten Anschlag 
aus vollem Maule folgt unmittelbar eine Reihe von drei 
bis vier schwächer» Lauten, welche aus der Tiefe der Kehle 
dringen, und während das Thier diese Laute ausstößt, nähern 
sich die Kiefer nur unvollständig, anstatt, wie bei dem ge 
wöhnlichen Bellen, sich nach jedem Anschlage zu schließen. 
Diese Schilderung kann allerdings nur eine sehr mangelhafte 
Vorstellung von dem Bellen des wüthenden Hundes geben;
	        
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