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sich tymtm. Sein Aussehen ist düster und verdächtig. Er
kommt von einem Familiengliede zum andern, blickt jedes
unverwandt an, als ob er Hilfe für sein Leiden suchte.
Allerdings sind diese Erscheinungen nicht der Art, als daß
man sie für entschieden charakteristische (pathognomische) be
zeichnen könnte; aber wie viel drückt sich schon in diesem
ersten Bilde aus! Wenn diese Zeichen auch noch nicht hin
reichen , um das Bestehen der Wuthkrankheit sogleich festzu
stellen, so sind sie mindestens geeignet, die Besorgniß des
Auftretens derselben rege zu machen.
Eine der seltsamsten und beachtenswertesten Eigenthüm
lichkeiten der Hundswuth liegt in der Fortdauer der
Anhänglichkeit und Zuneigung, welche das Thier,
selbst in der vorgerücktesten Periode der Krankheit, gegen
die ihm nahestehenden Personen bewahrt. Diese
Gefühle bleiben so mächtig, daß das unglückliche Thier selbst
in voller Wuth sich der Angriffe gegen Diejenigen enthält,
die es liebt. Hieraus entspringen die häufigen Täuschungen,
denen sich die Eigenthümer wüthender Hunde bezüglich der
Krankheit derselben hingeben. Wie sollte man an die Wuth
denken bei einem Hunde, der sich immer noch freundlich und
folgsam zeigt, und dessen Krankheit sich nur durch Traurig
keit, Unruhe und ungewohntes Umherschweifen zu erkennen
gibt? — Entsetzliche Täuschung! Denn dieser Hund, der
so wenig Verdacht erregt, kann wider seinen Willen einen
tödtlichen Biß versetzen, sei es nun, daß er auf einen Wider
stand stößt oder daß er, wie dies hc^fig vorkommt, durch
eine Züchtigung seines Herrn gereizt wird, dem er nicht
schnell genug gehorchte oder durch dessen Drohung er durch
eine widerstrebende (agressive) Geberde antwortet. Wenn
die Herren der Hunde gebissen werden, so geschieht es in der
Mehrzahl der Fälle unter den eben angeführten Umständen.
Meistens aber verschont der wüthende Hund Diejenigen, welchen
er zugethan ist. Wäre dem nicht so, dann würden Wuth
anfälle beim Menschen viel häufiger vorkommen; denn häufig
bleiben tolle Hunde noch 24 bis 48 Stunden bei ihrem
Herrn, inmitten der Familie und der Dienerschaft, bevor
man über die Art ihrer Erkrankung nur irgend welche Be
sorgniß hegt.
Im Anfangs-Zeitraume der Wuth und so lange die
Krankheit noch nicht vollständig ausgebrochen ist, sowie auch
in den Zwischenzeiten der Anfälle, beobachtet man bei dem
Hunde eine Art von Irresein (Delirium), welches
man als Wuthdelirium bezeichnen kann. Es kennzeichnet
sich dasselbe durch seltsame Bewegungen, welche zu erkennen
geben, daß das kranke Thier Gegenstände sieht und Geräusche
hört, welche nur in seiner Einbildung bestehen. Bald näm
lich bleibt das Thier unbeweglich und mit gespannter Auf
merksamkeit stehen, wie aus der Lauer, fährt dann plötzlich
auf und schnappt in die Luft, wie es ein gesunder Hund zu
thun pflegt, wenn er eine Mücke im Fluge erhaschen will;
andere Male fährt er auf und heult gegen die Wand hin,
als ob er jenseit derselben drohende Geräusche gehört hätte,
oder stürzt sich auf einen Feind, der nur in seiner Einbil
dung vorhanden ist, so daß man zur Annahme berechtigt
wird, hierin wirkliche Sinnestäuschungen (Hallucina
tionen) zu sehen. Wie man indeß diese Erscheinungen auch
auffassen mag, so viel ist sicher, daß sie von großem Werthe
für dre Erkenntniß der Krankheit sind, und das Befremdende,
was in ihnen liegt, muß an sich schon auf die drohende
Gefahr aufmerksam machen. Wer indeß über die Bedeutung ,
dieser Erscheinungen nicht belehrt ist, wird ihnen keine be
sondere Beachtung schenken, um so mehr, als sie sehr flüch
tiger Art sind und in der Regel die Stimme des Herrn schon
genügt, um das Thier zum Bewußtsein zurückzurufen.
Dies die Erscheinungen, die man zu Anfang der Wuth
bei den Hunden wahrzunehmen pflegt. Begreiflicherweise
sind diese Symptome nicht bei allen Individuen die gleichen;
ihr Ausdruck wechselt je nach der natürlichen Gemüthsart
des Kranken. War das Thier vor seiner Erkrankung von
freundlichem, hingebendem Wesen, so ist sein unruhiges
Benehmen auffallend, es scheint das Mitleid seines Herrn
anzurufen und in seinem Jrrwahne drückt sich keine Wild
heit aus. Bei dem von Ratur aus wilden Hunde hingegen,
sowie bei solchen, welche zur Vertheidigung abgerichtet sind,
ist der Ausdruck der ganzen Haltung furchbar. Bisweilen
zeigt sich die Bindehaut des Auges stark geröthet,
in anderen Fällen jedoch kaum merklich in ihrer Farbe geän
dert, die Augen jedoch von ungewöhnlichem, blen
dendem Glanze, wie zwei feuerige Kugeln.
In einer späteren Periode der Krankheit nimmt die
Unruhe des Hundes zu; er geht, kommt, streicht unauf
hörlich von einer Ecke zur andern; steht auf und legt sich
und verändert fortdauernd seine Stellung. Er richtet sein
Lager mit den Pfoten zurecht, wühlt es mit der Schnauze
auf, um es auf einen Haufen zusammenzudrängen, auf
welchen er dann gerne, wie es scheint, die Oberbauchgegend
auflegt; plötzlich richtet er sich dann wieder in die Höhe und
wirft Alles weit von sich. Ist er in Zeinen Behälter einge
schlossen, so bleibt er darin nicht einen Augenblick ruhig und
dreht sich unablässig in demselben Kreise herum. Im Zu-
stände der Freiheit benimmt er sich, als ob er einen ver
lornen Gegenstand suche; er durchwühlt alle Winkeln des
Zimmers mit einer seltsamen Hast, die nirgends Ruhe findet.
Dazu gesellt sich der sonderbare und sehr beachtenswerte
Zustand, daß bei vielen Hunden die Zuneigung zu
ihrem Herrn anscheinend zunimmt, was sie
ihnen durch Belecken der Hände und des Gesichts
bezeugen. Auf diese Eigenthümlichkeit der ersten Periode
der Hundswuth kann man nicht oft genug hinweisen, da
gerade aus ihr so viele gefahrvolle Täuschungen entspringen'
Der Herr des Hundes ist schwer zu dem Glauben zu be
wegen, daß dieses zur Zeit so sanfte, gehorsame und
trauliche Thier, welches ibm die Hände beleckt und ihm
durch so ausdrucksvolle Zeichen seine Anhänglichkeit zu er
kennen gibt, schon den Keim der furchtbarsten Krankheit,
welche wir kennen, in sich birgt. Daher jene Sorglosigkeit
und Ungläubigkeit, welcher die Besitzer von Hunden nur zu
oft als Opfer fallen.
Die Annahme einer Wasserscheu gehört zu den ver
hängnisvollsten Irrthümern, welche bezüglich der Wuth'
krankheit bestehen, und man darf sagen, daß der Ausdruck
Wasserscheu (Hydrophobie), welcher selbst in der
Sprache des Volkes allmählig an die Stelle des Wortes
„Hundswuth" getreten ist, eine der gräulichsten Ausgeburten
der Sprachverbefferungssucht bildet. Jenes Wort schließt
nämlich eine Vorstellung in sich, welche heutzutage im Publikum
bereits feste Wurzeln gefaßt hat, obaleich sie von Grund
aus falsch ist und sich durch die tägliche Erfahrung als falsch
erwiesen hat. Der Bezeichnung „Wasserscheu" zufolge soll
ein wüthender Hund Scheu vor dem Wasser haben.
Daraus würde folgen, daß er nicht wüthend ist, wenn er
sauft. Und diesem Schluffe gemäß geben sich Viele einer
trügerischen Sicherheit hin, während sie mit wüthenden