Full text: Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen // Amtlicher Kalender für Kurhessen // Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1860-1873)

84 
er von uns armen, hungernden Leuten nicht gestört 
sein.« 
Mächtig wallte bei diesen Worten der Unwille 
des edlen - Kaisers auf. Er knüpfte fester seinen 
Offiziersoberrock zu und begab sich in das Amthaus. 
Ein Amtsschreiber trat ihm entgegen und fragte nach 
seinem Begehr. «Melden Sie mich bei dem Herrn 
Amtmann,« sprach der Kaiser. Der Amtsschreiber 
zauderte und sagte: «der Herr Amtmann wollen 
heute nnbelästigt sein.« „Ich muß ihn sprechen,« 
erwiderte mit großer Bestimmtheit der Kaiser. 
„Melden Sie mich auf der Stelle.« Der Amts 
schreiber traut dem Wetter nicht, führt den Kaiser 
in die Amtsstube und meldet ihn dann. Es währte 
sehr lange, bis der Amtmann sich herbeiließ. Endlich 
kam derselbe; höchst ärgerlich über die unangenehme 
Störung trat er hochmüthig auf den Kaiser zu und 
fragte barsch: «Wer sind Sie?« 
«Offizier in kaiserlichen Diensten!« entgegnete 
höflich der Kaiser. 
«So? Womit kann ich dienen? Was wollen Sie?« 
«Ich will bloß verlangen,« sagte der Kaiser, daß 
Sie die Armen da draußen abfertigen und ihnen die 
vom Kaiser gesendeten Lebensmittel austheilen. Sie 
warten schon volle acht Stunden." 
«Das geht Sie nichts an!« rief zornig der 
Amtmann. Die Bauern können warten, wenigstens 
will ich mich durch sie nicht in meinem Vergnügen 
stören lassen.« 
«Acht Stunden,« versetzte der Kaiser, «sind für 
einen Hungernden eine entsetzlich lange Zeit. Die 
Leute haben außerdem einen weiten Heimweg, und 
es ist leicht zu erachten, daß ihre Angehörigen daheim 
sie mit Verlangen erwarten.« 
«Ich frage Sie," rief noch ungestümer der Amt 
mann, «was Sie die Bauern angehen?« 
Der Kaiser mäßigte seinen aufsteigenden Zorn 
und sagte bescheiden: »Man muß menschlich sein, 
Herr Amtmann, und die Noth der Leute nicht ohne 
Grund vermehren. Es ist eine große Qual, neben 
dem Ueberfluß zu darben!« 
„Sparen Sie Ihre guten Lehren,« rief der Amt 
mann, immer zorniger werdend, «bis Sie aufgefordert 
werden, sie zu ertheilen I Ich weiß, was ich zu 
thun habe, und thue, was ich will!« 
«Aber was soll es,« fragte der Kaiser, noch 
immer ruhig, »mit den armen, hungernden Menschen 
werden, die so sehnsüchtig auf die Lebensmittel 
warten?« 
Der Amtmann drehte sich zornig um, wies dem 
Kaiser den Rücken und herrschte ihm im Weggehen 
zu: „Sorgen Sie für Ihre Angelegenheiten und 
mischen Sie sich nicht unberufen in die anderer. 
Merken Sie sich das!« 
»Halt!« ruft da der Kaiser, dessen Geduld zu 
Ende ist, reißt den Oberrock auf, zeigt dem Amtmann 
den kaiserlichen Stern auf seiner Brust und tritt 
einen raschen Schritt auf ihn zu. «Ich bin der 
Kaiser und will Sie lehren, was Ihnen ziemt. Sie 
sind aus der Stelle Ihres Amtes entsetzt.« Und 
zu dem Amtsschreiber sich wendend — der mit mit 
leidigen Augen die Armen betrachtet hatte, was 
dem scharfen Blick des Kaisers nicht entgangen war — 
sagte er: »Sie sind Amtmann. Geben Sie den 
Leuten schnell ihre Lebensmittel, und nehmen Sie 
sich die Lehre zu Herzen, die Sie aus dieser Unter 
redung gewonnen haben. Sie wissen nun aus meinem 
eignen Munde, wie ich meine Unterthanen behandelt 
wissen will.« 
Er wandte sich und ging, und das Volk, daS 
Zeuge dieses ganzen Auftrittes gewesen war, jubelte 
dem trefflichen Kaiser, zu. Der Amtmann aber 
wankte hinweg, und die geladene Gesellschaft stob 
auseinander. — Der neue Amtmann erfüllte st 
schnell als möglich den Willen des Kaisers und die 
Hungernden bekamen Speise. 
Räthsel. 
Ein munt'rer Sängerchor belebt die Räume 
Der Ersten bei des Frühlings Wiederkehr 
Und traulich flüstern Blumen, Sträucher, Bäume 
Ins Ohr sich manche süße Wundermähr; — 
Ihn aber, der den schönen Saal erbaute, 
Verkünden Euch der letzten Beiden Laute. 
In laub'ger Dunkelheit blüht still das Ganze, 
Des Werth die Neuzeit klarer hat erkannt —- 
Und nach dem schönsten Mond im Jahreskranze, 
Den Labetrank, den es gewährt, benannt; — 
Soll leicht das Blut durch eure Adern fließen, 
Müßt ihr das Ganze frisch im Wein genießen. 
Auflösung der Räthsel im vorjährigen 
Kalender. 
1. Der Krebs. 
2. Die Zunge.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.