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er von uns armen, hungernden Leuten nicht gestört
sein.«
Mächtig wallte bei diesen Worten der Unwille
des edlen - Kaisers auf. Er knüpfte fester seinen
Offiziersoberrock zu und begab sich in das Amthaus.
Ein Amtsschreiber trat ihm entgegen und fragte nach
seinem Begehr. «Melden Sie mich bei dem Herrn
Amtmann,« sprach der Kaiser. Der Amtsschreiber
zauderte und sagte: «der Herr Amtmann wollen
heute nnbelästigt sein.« „Ich muß ihn sprechen,«
erwiderte mit großer Bestimmtheit der Kaiser.
„Melden Sie mich auf der Stelle.« Der Amts
schreiber traut dem Wetter nicht, führt den Kaiser
in die Amtsstube und meldet ihn dann. Es währte
sehr lange, bis der Amtmann sich herbeiließ. Endlich
kam derselbe; höchst ärgerlich über die unangenehme
Störung trat er hochmüthig auf den Kaiser zu und
fragte barsch: «Wer sind Sie?«
«Offizier in kaiserlichen Diensten!« entgegnete
höflich der Kaiser.
«So? Womit kann ich dienen? Was wollen Sie?«
«Ich will bloß verlangen,« sagte der Kaiser, daß
Sie die Armen da draußen abfertigen und ihnen die
vom Kaiser gesendeten Lebensmittel austheilen. Sie
warten schon volle acht Stunden."
«Das geht Sie nichts an!« rief zornig der
Amtmann. Die Bauern können warten, wenigstens
will ich mich durch sie nicht in meinem Vergnügen
stören lassen.«
«Acht Stunden,« versetzte der Kaiser, «sind für
einen Hungernden eine entsetzlich lange Zeit. Die
Leute haben außerdem einen weiten Heimweg, und
es ist leicht zu erachten, daß ihre Angehörigen daheim
sie mit Verlangen erwarten.«
«Ich frage Sie," rief noch ungestümer der Amt
mann, «was Sie die Bauern angehen?«
Der Kaiser mäßigte seinen aufsteigenden Zorn
und sagte bescheiden: »Man muß menschlich sein,
Herr Amtmann, und die Noth der Leute nicht ohne
Grund vermehren. Es ist eine große Qual, neben
dem Ueberfluß zu darben!«
„Sparen Sie Ihre guten Lehren,« rief der Amt
mann, immer zorniger werdend, «bis Sie aufgefordert
werden, sie zu ertheilen I Ich weiß, was ich zu
thun habe, und thue, was ich will!«
«Aber was soll es,« fragte der Kaiser, noch
immer ruhig, »mit den armen, hungernden Menschen
werden, die so sehnsüchtig auf die Lebensmittel
warten?«
Der Amtmann drehte sich zornig um, wies dem
Kaiser den Rücken und herrschte ihm im Weggehen
zu: „Sorgen Sie für Ihre Angelegenheiten und
mischen Sie sich nicht unberufen in die anderer.
Merken Sie sich das!«
»Halt!« ruft da der Kaiser, dessen Geduld zu
Ende ist, reißt den Oberrock auf, zeigt dem Amtmann
den kaiserlichen Stern auf seiner Brust und tritt
einen raschen Schritt auf ihn zu. «Ich bin der
Kaiser und will Sie lehren, was Ihnen ziemt. Sie
sind aus der Stelle Ihres Amtes entsetzt.« Und
zu dem Amtsschreiber sich wendend — der mit mit
leidigen Augen die Armen betrachtet hatte, was
dem scharfen Blick des Kaisers nicht entgangen war —
sagte er: »Sie sind Amtmann. Geben Sie den
Leuten schnell ihre Lebensmittel, und nehmen Sie
sich die Lehre zu Herzen, die Sie aus dieser Unter
redung gewonnen haben. Sie wissen nun aus meinem
eignen Munde, wie ich meine Unterthanen behandelt
wissen will.«
Er wandte sich und ging, und das Volk, daS
Zeuge dieses ganzen Auftrittes gewesen war, jubelte
dem trefflichen Kaiser, zu. Der Amtmann aber
wankte hinweg, und die geladene Gesellschaft stob
auseinander. — Der neue Amtmann erfüllte st
schnell als möglich den Willen des Kaisers und die
Hungernden bekamen Speise.
Räthsel.
Ein munt'rer Sängerchor belebt die Räume
Der Ersten bei des Frühlings Wiederkehr
Und traulich flüstern Blumen, Sträucher, Bäume
Ins Ohr sich manche süße Wundermähr; —
Ihn aber, der den schönen Saal erbaute,
Verkünden Euch der letzten Beiden Laute.
In laub'ger Dunkelheit blüht still das Ganze,
Des Werth die Neuzeit klarer hat erkannt —-
Und nach dem schönsten Mond im Jahreskranze,
Den Labetrank, den es gewährt, benannt; —
Soll leicht das Blut durch eure Adern fließen,
Müßt ihr das Ganze frisch im Wein genießen.
Auflösung der Räthsel im vorjährigen
Kalender.
1. Der Krebs.
2. Die Zunge.