Full text: Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen // Amtlicher Kalender für Kurhessen // Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1860-1873)

Unterhaltendes und Belehrendes. 
Der Tod eines frommen hessischen Fürsten. 
Au der Zeit, da der große dreißigjährige Krieg 
(1618— 1648) zwischen Katholiken und Protestanten 
geführt und Deutschland in diesem erbitterten Kampfe 
bis aufs Blut geplaget und gemartert ward, mußte 
auch das Hessenland eitel Jammer und Herzeleid 
erfahren. Hatten schon früher die Tillh'schen und 
Wallenstein'schen Scharen wie gierige Wölfe in unserem 
Lande gehauset und ihren Weg mit Raub und Mord, mit 
Plünderung und Brandstiftung und jeglichem Greuel 
der Verwüstung bezeichnet, so nahmen die Drangsale 
und Schrecknisse des blutigen Krieges gar kein Ende, 
und es stieg die Noth und das Elend zu einer kaum 
glaublichen Höhe, als der edle Landgraf Wilhelm V. 
nach seinem Vater Moritz die Regierung führte 
(1627). Er war der erste unter den deutschen 
Fürsten, der mit bereitwilligem Entgegenkommen 
dem heldenmüthigen Könige von Schweden, Gustav 
Adolf, die Hand zu treuem, festem Bruderbünde 
reichte! Und je mehr sich nun der Schwedenkönig 
uach diesem Bändniß bei allen wichtigen Kriegsunter 
nehmungen auf Hessen stützen und verlassen konnte, 
je standhafter Wilhelm die hochgehenden Forderungen 
des übermüthigen Tillh zurückwies und je unverzagter 
er die Lande zwischen Rhein und Weser mit seinen 
Waffen schirmte, desto schonungsloser mußten die 
Feini e an der Demüthigung des hessischen Landes 
arbeiten, desto beharrlicher nach jedem Mittel greifen, 
eines solchen Gegners los zu werden. Allein wie 
er von Anfang an sein Vertrauen auf Gott setzte, 
don dem allein die rechte Hilfe kommt, und im Laufe 
des Krieges nur für ihn und seines Namens Ehre 
das Schwert zog, so blieb er ihm auch bis zu seinem 
letzten Athemzuge treu und kindlich ergeben. Gott 
d>ar ihm der beste Berathör, war ihm sein Fels und 
Anker, als Kaiser und Reich ihn preis gegeben und 
aller seiner Lande, Freiheiten und Würden beraubt 
hatten, als das Volk durch kaiserlichen Spruch des 
Eides und der Treue gegen ihn entbunden und dem 
Lande der darmstädtische Landgraf zum Vormund 
gesetzt worden war. Die Acht des Reiches und der 
Verlust seiner Länder und Leute war der Lobn für seine 
treue Arbeit. Dafür, daß er Ehre, Gut und Leben 
für die Sicherheit seines Erbes und die Erhaltung 
des evangelischen Glaubens eingesetzt hatte, daß er 
die Gunst des Kaisers nicht suchen und keinen Finger 
breit von dem Rechte weichen wollte, stand er als 
ein öffentlicher Friedensstörer, als ein Feind des 
Reiches da. Doch der im Himmel mißt mit anderm 
Maße; was von Menschen verachtet und verworfen 
wird, wird vor ihm hoch und herrlich gehalten; denn 
den, welcher Glauben hält bis ans Ende, schmückt 
er mit der Krone des Lebens. Und Landgraf Wil 
helm hat Glauben gehalten bis ans Ende, wie uns 
das seine Todesstunde gar beredt und eindringlich 
vor Augen stellt. 
Mit dem Jahre 1637 war der Landgraf nicht 
mehr im Stande, sein Land und die von ihm ge 
machten Eroberungen gegen die von allen Seiten 
wider ihn andringenden Feinde zu behaupten; er 
wendete sich daher mit seinen Truppen nach dem 
reichen, von den Kriegsgreueln noch nicht heimge 
suchten Ostfriesland, um da den Winter über 
Ruhe und Erholung nach schweren Strapatzen zu 
findeu und sich mit seinen Leuten für die im Früh 
jahr wieder beginnende Kriegsarbeit zu stärken und 
zu kräftigen. Er nahm sein Hauptquartier zu Leer, 
aber Gott hatte es in seinem Rathe mit ihm anders 
vor. Noch machte den Seinen die Eroberung der 
Hauptfeste des Landes vollauf zu schaffen — da 
überfiel den tapfern Fürsten ein hitziges, seine Lebens 
kraft rasch zerstörendes Fieber. Es stand bei ihm 
fest, daß der Todesengel diesmal nicht an ihm vor 
übergehe. Denn ich fühle, so spricht er selbst, daß 
ich von dieser Krankheit nicht wieder aufstehen werde, 
bin es auch herzlich wohl zufrieden, wie es Gott mit 
! mir schicken wird; ich hetrauere nichts mehr, denn 
meine Gemahlin, meine Kinder und alle die redlichen 
j Leute, die ich verlassen soll. Mochte auch sein Leib 
von großen Schmerzen geplagt und seine Seele mit 
Trauer und Bangigkeit bei dem Gedanken erfüllt 
werden, daß die Acht noch auf ihm lag und er 
seinen Sohn als Erben des Landes in einem Alter 
zurückließ, wo dieser noch so sehr einer leitenden 
Hand und eines starken Schutzes bedurfte, so hielt 
er doch in frommer Ehrfurcht stille und ging mit 
Ergebung der Stunde entgegen, die ihn in die Ewigkeit 
rufen sollte. Seinen Freunden, die zagten und klagten 
und in tiefem Leid sein Lager umstanden, sprach er 
Trost zu mit den Worten deö 125. Psalms: der 
Gottlosen Scepter wird nicht bleiben über dem Häuf 
lein dex Gerechten, auf daß die Gerechten ihre Hand 
nicht ausstrecken zur Ungerechtigkeit; er selbst aber 
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