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der Dauer des Contractes ihre ganze Zeit
und Aufmerksamkeit dein ihnen überwiese
nen Dienst zu widmen.» — Also kein Tag in
der Woche gehört ihnen, nicht einmal der Sonntag,
wenn ihr »Herr» nicht will.
Aber wie lange dauert ein solcher Contract?
Das ist eine Frage, die ihnen kein Mensch beant
worten kann und die ganz von der Ehrlichkeit ihres
Herrn abhängt. Will er sie aber hinhalten — wie
das oft und oft geschehen ist — so kann derselbe zehn
und zwanzig Jahre und noch länger dauern, und
Vater und Mutter und Kinder können darüber zu
Grunde gehen.
Die gewaltsam aus einem solchen Vertrag befreiten
Menschen, die ich in Brasilien sprach, waren zehn
volle Jahre bei ihrem Herrn als Sclaven gewesen
und, seinen Büchern nach, ihm noch bis über die
Ohren verschuldet. Es hatte sich aber zufällig her
ausgestellt, daß er seine Bücher falsch geführt, daß
er nicht den halben Preis eingetragen, den er für
seinen Kaffee bekommen, daß er ihnen, was die Un
glücklichen nun einmal zum Leben nothwendig brauch
ten, zu unverschämten Preisen berechnete, und anderes
mehr, und den Gerichten wurden solche Beweise gege
ben, daß sie zuletzt nicht mehr umhin konnten, die
nur für ihre Passage zehn Jahre in Sclaverei
gehaltenen Menschen zu befreien.
Diese Colomen liegen meist alle weit im Innern
— selbst die, wohin die Wasunger Auswanderer ge
schasst werden sollten, lag nach Aussage des Agenten
vierzehn Tagereisen weit von der Küste entfernt.
Dorthinein muß also alles auf Maulthieren befördert
werden, was selbst die einfachsten Bedürfnisse enorm
vertheuert. Kleider, Branntwein, Tabak, Schuh
werk rc. muß der Arbeiter aber von seinem Herrn
in der Zeit, in welcher er für ihn arbeitet, entneh
men, und wer will den Pflanzer controliren, wenn
er dem armen Teufel l5 oder 20 Thaler für ein
Paar Hosen ansetzt?
Ich sage nicht, daß das immer geschieht, aber
ss kann geschehen, und der Deutsche, der überhaupt
>m Auslande vollkommen schutzlos dasteht, ist nach
Unterzeichnung eines solchen Contractes vollständig
nnd rettungslos in der Gewalt seines Herrn und hat
Ipäter niemanden weiter anzuklagen, als seine eigene
Dummheit, die ihn blind und toll in ein solches
Dienstverhältniß hineinspringen ließ.
Außerdem weiß er noch nicht einmal, wie tief er
m Schulden sinkt, bis er nur an Ort und Stelle
kommt, denn die Transportkosten werden ihm gewis
senhaft angerechnet. Die Seereise läßt sich leicht be
rechnen, aber von dem Moment an, wo er den frem
den Boden betritt, ist es vollständig unmöglich, auch
nur eine annähernde Berechnung fortzuführen. In
dem Hafen angekommen, bleibt es nämlich völlig unge
wiß, ja sogar sehr unwahrscheinlich, daß die nöthigen
Maulthiere sogleich bei der Hand sind, eine solche
Anzahl von deutschen Auswanderern mit ihren unprak
tischen, riesenhaften Koffern und Kisten zu befördern.
Vielleicht hat außerdem die Regenzeit gerade einge
setzt, und die Wege sind grundlos.
Wochen, ja Monate lang liegen die Auswande
rer solcher Art dann oft in einem ungesunden Hafen
orte, ehe sie befördert werden können, und zehren
indessen auf ihre eigenen Kosten, denn was sie
brauchen, gehört natürlich alles mit zur Reise und
wird ihnen allerdings gegeben, aber auch berechnet,
und vermehrt von Tag zu Tag ihre Schuldenlast.
In diesem speciellen Falle that die meiniugische
Regierung wirklich alles, was ihr noch zu thun übrig
blieb, ja mehr, als wol irgend noch geschehen
war, denn gewaltsam zurückhalten konnte sie die
Auswanderer nicht. Sie sandte aber auf eigene
Kosten einen Beamten nach Hamburg, um sich dort
mit den Behörden in Vernehmen zu setzen nnd den
armen Teufeln wenigstens jede Sicherstellung zu geben,
die bei einem solchen Privatcontracte möglich war.
Dort stellte es sich auch heraus, daß es die Aus
wanderer in diesem Falle, wie es schien, mit or
dentlichen Leuten zu thun hatten, nnd auch der Expe
dient, Äug. Bolten, ein Mann sei, der sich von allen
nicht reellen Geschäften fern halte. Es wurde mir
geschrieben, daß seine Betheiligung an diesem Unter
nehmen schon eine Gewähr dafür gebe, daß man es
nicht mit einem der schmutzigen Geschäfte zu
thun habe, die mit Recht in der letzten Zeit
die öffentliche Aufmerksamkeit ans sich ge
lenkt hätten.
Was aber wußten die Auswanderer von Wasun
gen davon, mit wem sie es dort zu thun bekamen,
wem sie in die Hände geliefert wurden , als sie ihr
Gepäck nach Hamburg schickten und ihm selber folgten
und sich dadurch den Rückweg in die Heimath voll
ständig abschnitten? Ebenso leichtsinnig werden aber
noch in jedem Monat, in jeder Woche fast in Deutsch
land ähnliche Contracte abgeschlossen, ähnliche Trupps
von Unglücklichen auf's Gerathewohl in die Welt
hinausgeschickt, nur zu oft dem Elend preisgegeben,
und nicht eher wird dem ein Ende gemacht werden,
bis man nicht daheim die Auswanderungs-Agenten