Full text: Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen // Amtlicher Kalender für Kurhessen // Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1860-1873)

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begann, gekostet hätte? In zwei Jahren viele tausend 
Thaler. Nun hatten die Kirschen des Königs dafür 
aber auch Ruhe? Bewahr' mich Gott, jetzt erst 
recht nicht! Bald gab es zwar keine Sperlinge, aber 
auch keine Kirschen mehr, und eben sowenig anderes 
Obst. Und auf den Bäumen war keine Spur von 
Laub mehr zu sehen, kahl und entblättert standen 
sie da; denn statt der Sperlinge hatten sich andere 
Gäste eingefunden — gierige und gefräßige Raupen — 
die kein grünes Spitzchen übrig ließen. Da erst sah 
der König ein, daß der Spatz seinen süßen Nachtisch 
nicht umsonst gehabt, daß er mit ihm vielmehr seine 
Jusektenspeise geschmelzt und gewürzt hatte. Das 
war unserm treuen Hausfreund aber um so mehr zu 
gönnen, als andere Vögel diesen Appetit nach In 
sekten nicht in dem Maße mit ihm theilen, daß sie 
seine Stelle hätten vertreten können. Der König 
widerrief zwar seinen Befehl, aber damit war das 
zweite Uebel nicht kurirt. Um das nöthige Gleich 
gewicht zwischen Vogel- und Jnsektenwelt wieder 
herzustellen, mußte der König die eben mit so vieler 
Lust vertilgte Spatzengattung sogar aus weiter Ferne 
wieder herbeischaffen lassen, und das war um so 
nothwendiger, als der Sperling zu denjenigen Stand 
vögeln gehört, die am liebsten an einem Orte bleiben 
und ihre Heimat so leicht nicht wechseln. So hatte 
sich hier recht auffallend gezeigt, was es zu bedeuten 
habe, wenn der Mensch sich herausnimmt, gewalt 
sam in den weisen Haushalt der Schöpfung Gottes 
einzugreifen. 
Vor vielen Jahren hatte man auch in unserm 
Lande einen Preis auf das Wegfangen und Tödten 
der Sperlinge gesetzt, damit die Gärten und Weizen 
äcker vor diesen Näschern und Dieben sicher wären. 
Aber gar bald erkannte man auch bei uns, daß das 
Spatzenköpfen nicht das rechte Mittel dazu sei und 
der muntere, lärmende, eine große Eßlust entwickelnde 
Vogel den Gärten und Feldern mehr Vortheil, als 
Schaden bringe. Darum werdet ihm nicht böse, 
wenn er sich des Tags manchmal ein paar Kirschen 
oder Weizenkörner holt, oder die frisch gelegten Erbsen 
aus der Erde hervorscharrt, wie es namentlich in 
diesem Jahr von manchem Gartenbesitzer nicht ohne 
Aeger vermerkt worden ist, er bringt es euch in 
anderer Weise wieder reichlich ein. Und nur lobend 
lst es anzuerkennen, daß aus dem Gebot zu tödten 
Ms Verbot geworden ist und die Insekten vertilgenden 
Vögel unter den Schutz der Obrigkeit gestellt sind. 
Die Wartburg mit ihren Erinnerungen. 
Es ist doch ein herrlicher Punkt die Wartburg 
in dem Thüringerland. Weit hinaus schweift das 
Auge in die gesegnete Landschaft, in welcher Berge 
und Thäler, Wälder und Flüsse, Dörfer und Städte, 
Fluren und Gärten in reicher Mannigfaltigkeit mit 
einander abwechseln, und schwer mag der Blick sich 
wegwenden von all dem Schönen und Herrlichen, 
das rings bte Burg umgibt. Und dieser Fleck deut 
scher Erde wird um so lockender und anziehender, 
fesselt unsere Theilnahme um so stärker und gewal 
tiger, als viele Erinnerungen an eine große Ver 
gangenheit sich an ihn knüpfen. Denn die Wartburg 
war einst der Sitz einer blühenden Fürstenfamilie, 
der mächtigen Landgrafen von Thüringen, die hoch 
angesehen und voll Kraft und Ehre im deutschen 
Lande walteten. Auch das Land zu Hessen war in 
früher Zeit mehr als hundert Jahre mit Thüringen 
vereinigt, bis der Tod des letzten Landgrafen Hein 
richs Raspe, des rühm- und kinderlosen Gegen 
königs Friedrichs II, im Jahr 1247 diese Verbindung 
löste und die Hessen in dem Sohne der Herzogin 
Sophie von Brabant, Heinrich dem Kinde, einen 
eigenen Fürsten sich wählten. Großes und Hohes 
haben die Mauern der Burg gesehen, Glanz und 
Reichthum, Ritterpracht und Fürstenherrlichkeit, männ 
liche Kraft und Tapferkeit, wie weibliche Anmuth und 
Frömmigkeit, und was Kunst und Wissenschaft hebt 
und fördert, was ein heiteres, fröhliches Leben wirket 
und schafft, das fand in der Fürstenburg Pflege und 
Gedeihen. Aber sie waren auch Zeuge von manchem 
Jammer und Elend, von menschlicher Schwachheit 
und zügelloser Begier, von heißen Thränen und bit 
terem Leid. Denn wo gibt es ein vollkommenes 
irdisches Leben, wo ein Herz, das des steten Frie 
dens sich erfreut und von der Welt sich unbefleckt 
erhält, wo ein Licht, das nicht durch dunkles Ge 
wölk getrübt wird? 
An einem hellen Sommermorgen wanderte ich 
einst gemächlich zur Burg hinauf und sah, ohne daß 
ich bemerkt wurde, in dem Schatten eines Raines eine 
Bäuerin, die ihr Wesen mit zwei Kindern hatte, einem, 
wie es schien, lockigen, bausbackigen Knaben, der auf 
ihrem Schoße lag, und einem etwas älteren Mädchen, 
das neben ihr im Grase mit den Blumen spielte. 
Schäkernd neigte sie sich zu dem Krauskopf herab, 
daß der mit beiden Füßen zappelte und in herzlichem 
Lachen sich schüttelte; dann zog sie das Mädchen zu sich 
heran, auf daß auch dieses an dem kleinen Bruder sich
	        
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