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dessen Ertragsfähigkeit der Besitzer mit Fug und Recht
rühmen kann. Nehmt Euch Reiser davon und pfropft
damit Eure hochfeinen Stämmchen um. Wendet Euch
außerdem an die Commission für landwirthschaftliche
Angelegenheiten zu Cassel, welcher viele der für unsere
Oertlichkeiten am meisten passenden Obstsorten bekannt
sind. Sie giebt Euch gern Reiser davon. In eini
gen Jahren kann sie Euch, wills Gott, auch Stämm
chen ablassen, denn sie hat eine große Bauntschule,
einen s. g. pomologischen Garten, bei Cassel ange
legt, in der sie all' diejenigen Obstsorten, welche
für die verschiedenen Gegenden unseres Vaterlandes
den höchsten Werth haben, in großer Menge ganz echt
und rein in musterhafter Weise erziehen wird. Schon
jetzt stehen viel tausend Stämmchen darin und wachsen
ihrer Bestimmung lustig entgegen.
Ihr klagt, lieber Vetter, daß es im Lande an
Leuten fehle, die den Obstbau und was dazu gehört
verstehen. Wenn man auch den besten Willen habe
und wolle was Rechtes anlegen, so komme man aus
diesem Grunde nicht weiter. Da habt Ihr mitten
ins Schwarze geschossen. Daran hängts. Das ist
ein weiterer Hauptgrund, warums mit unserem Obst
bau nicht vorwärts will. Aber das wird sich in
Zukunft auch schon zum Besseren wenden. Wie ich
vernömmen, soll in dem gedachten pomologischen
Garten alljährlich eine Anzahl junger Männer aus
dem Stande der Landleute und Kleingewerbtreibenden
demnächst Unterricht im Obstbau erhalten, es sollen
s. g. Baumwärter daselbst herangebildet werden.
Wenns dann einmal dahin gekommen ist, daß sich
in recht vielen Orten Männer finden, die den Obst
bau gründlich verstehen, die Jeder um Rath fragen
und bei denen man sich im richtigen Baumsatz, im
Ausputzen, Verjüngen, Veredeln, Umpfropfen rc.
durch das Beispiel belehren kann, dann wird sich
auch in unserm Lande der Obstbau schon heben.
Aber ohne solche Baumwärter gehts nicht. Das
lebendige Beispiel wirkt mehr und schneller, als die
besten Bücher und selbst die praktischsten Rathschläge.
Ich habe unser liebes Vaterland nach allen Rich
tungen hin durchpilgert und habe dabei ans den Obst
bau, der mir, wie Ihr wißt, gar sehr am Herzen
liegt, stets ein besonderes'Augenmerk gehabt. Da
hab ich denn gefunden, 'daß so ziemlich alle Fehler,
die beim Obstbau vorkommen können, bei uns so
recht zu Hause sind. Ich will sie Euch einmal kurz
hernennen. Ihr werdet mir gewiß Recht geben.
1) Ein sehr verbreiteter Fehler ist die Auswahl
ungünstiger, besonders zu feuchterLagen für j
die Pflanzung. Auf feuchtem Boden reift aber
das Holz nicht aus und erfrieren meistens die Blü-
thenknospeu. Daneben macht man gar häufig Miß
griffe hinsichtlich der anzubauenden Obstgattung; >
man pflanzt an Stellen, wo Kirschen trefflich gedeihen
würden, Aepfel und Birnen, oder man pflanzt Aepfel,
wo Birnen sicher gedeihen rc.
Ein weiterer Fehler ist 2) die Anpflanzung
zärtlicher Obstsorten in rauhe Lagen oder
frühreifende Sorten an Straßen. Die Bäume
der ersteren werden stets siech und krank und tragen
den Besitzern niemals etwas ein. Daran schließt sich
3) fehlerhafter Banmsatz. Die Bäume wer
den meist zu dicht, in zu kleinen Gruben, die nicht |
selten kaum 1\ Fuß tief und weit gemacht werden,
gepflanzt. Außerdem setzt man sie zu tief in die Löcher. |
Das alles bewirkt aber, daß die Bäume vor der Zeit
altern und sich nie recht ausbilden können, in Folge
dessen aber unfruchtbar werden.
4) Unrichtiges Beschneiden der Zweige
und Wurzeln; oft gänzliches Unterlassen desselben
beim Pflanzen.
5) Unterlassen des Zurückschneidens der
Kronenzweige im den ersten Jahren nach
der Pflanzung, obgleich dies das Hauptmittel ist,
der Krone eine schöne Form und den einzelnen Zwei
gen die gehörige Erstarkung zu geben.
6) Mangel des Auflockerns des Bodens I
um die Bäume herum, was bis zum zwanzigste» j
Jahre nach der Pflanzung jährlich geschehen sollte,
da dasselbe die Wurzelbildung gar sehr befördert,
auch der Boden dadurch fruchtbarer gemacht wird.
7) Mangelhaftes Anbinden und Mangel an >
starken, glatten Baumpfähleu. Letztere sind oft krumm, !
voller Astspitzen und verletzen die. Rinde der Bäume,
wodurch Brand und Krebs erzeugt werden.
8) Ungenügendes Ausputzen der Baum
kronen bei älteren Bäumen. Die Folge davon sind
geringe Obsterträge und schlechtes Obst.
9) Die Wunden der Bäume werden nicht
verstrichen, es erzeugt sich, namentlich beimApfel-
bäum, Brand und das blosgelegte Holz wird kernfaul.
Jeder Baumbesitzer sollte stets Theer im Vorrat»
haben, um alle größeren Wunden damit vor Lust
und Nässe und der dadurch verursachten Holzfäule
schützen zu können.
10) DasAbkratzen der abgestandenenRinde,
das Entfernen der Schmarotzergewächse, Moose und
Flechten kennt man an gar vielen Orten gar nicht,
I während dadurch die Lebensthätigkeit des Baumes >»